Starke Entzündungsschübe bei COVID-19 verhindern
Eine überschießende Immunantwort kann im Zuge von COVID-19 schwere Lungenschäden verursachen. Ein Forschungsteam aus Österreich konnte nun die Treiber dieser Reaktion dingfest machen und so gleichzeitig einen Angriffspunkt für die Therapie von schweren COVID-19-Verläufen identifizieren.
Forschenden der medizinischen Universität Innsbruck ist es gelungen, die entzündungsfördernden Treiber der folgenschweren Immunreaktion zu bestimmen, die bei COVID-19 für schwere Lungenschäden verantwortlich sind. Die Blockade dieser Treiber bietet eine vielversprechende therapeutische Angriffsfläche für die Verhinderung von schweren COVID-19-Verläufen. Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich im „Journal of Allergy and Clinical Immunology“ vorgestellt.
Was ist das Komplementsystem?
Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der aktuellen Studie erläutern, ist das sogenannte Komplementsystem Teil des angeborenen Immunsystems. Die dazugehörenden Zellen und Proteine haben wichtige Funktionen für den Schutz des Organismus vor Viren und anderen Krankheitserregern. Sie bieten den ersten Schutzwall, bevor der Körper spezialisierte T-Zellen und Antikörper bildet.
Coronavirus-Interaktionen nachvollzogen
Das Team um Doris Wilflingseder und Wilfried Posch entwickelte ein menschliches 3D-Modelle für den oberen und unteren Respirationstrakt. An diesem Modell ließen sich Interaktionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 simulieren und nachvollziehen. „Unser humanes System erlaubt einen sehr realistischen Nachbau des mehrschichtigen Epithels von Atemwegen und Lunge“, erklärt die Infektionsbiologin Wilflingseder.
Was sind Epithelien?
Bei Epithelien handelt es sich um die Deckschichten auf allen äußeren und inneren Oberflächen mehrzelliger Organismen. Das Epithel hat zum einen eine mechanische Schutz- und Abdichtungsfunktion. Zum anderen kontrolliert die Deckschicht den Stoffaustausch zwischen dem innen liegenden Gewebe und der Gewebsaußenwelt.
Coronavirus-Infektion live beobachtet
In den hoch differenzierten 3D-Modellen von Gewebesystemen des Respirationstraktes haben die Forschenden Coronaviren vom Typ SARS-CoV-2 eingesetzt. So konnte die Arbeitsgruppe quasi live beobachten, wie Epithelzellen des Atmungstraktes auf das Virus reagieren.
Entzündungstreiber identifiziert
Dabei zeigte sich, dass die Epithelzellen lösliche Komplementfragmente namens C5a und C3a freisetzen, wenn sie mit dem Virus in Kontakt kommen. Diese sogenannten Anaphylatoxine wurden bereits bei COVID-19-Betroffenen mit kritischen Verläufen im erhöhten Maße festgestellt. C5a und C3a können starke Entzündungsreaktionen auslösen, sodass infolge pro-inflammatorische Botenstoffe (Zytokine) am Infektionsherd gebildet werden.
Ein Sturm aus Zytokinen
Daraus könne ein sogenannter „Zytokinsturm“ resultieren, der weitere Immunzellen anlockt. Die Kettenreaktion kann in ein gewebsschädigendes und lebensbedrohliches Infektionsgeschehen ausarten. Solche Hyperinflammationen wurden oft bei kritischen COVID-19-Verläufen dokumentiert.
Blocker zeigte überzeugende Wirkung
Da die Forschenden die Anaphylatoxine C3a und C5a als Auslöser identifizierten, konnte das Team Maßnahmen ergreifen, um diese zu hemmen. Dafür setzte die Arbeitsgruppe chemische Blocker ein, die überzeugend vor der Zerstörung des Lungengewebes schützten. „Wir haben basolateral, also auf der nach innen gewandten Seite des Epithels, die chemischen Blocker zugegeben und gesehen, dass vor allem bei Blockade des C5a Rezeptors keine Übertragung und keine Virusreplikation stattfand“, resümiert Molekularbiologe Posch.
Altes Medikament mit neuer Wirkung
„Das wäre ein Hinweis darauf, dass das Virus die Hyperinflammation braucht, um sich gut vermehren zu können“, folgert der Studienautor. In diesem Zusammenhang könne sich ein anti-C5-Antikörper mit der Bezeichnung Eculizumab als hilfreich erweisen. Der Antikörper sei bereits zur Therapie komplementvermittelter Krankheiten im Einsatz.
Neben der Aufdeckung einer neuen therapeutischen Angriffsfläche liefert die aktuelle Studie somit gleichzeitig ein Konzept für neue Anwendungsmöglichkeiten eines bereits zugelassenen Arzneimittels. Die Zeitspanne bis zur Anwendung könne so drastisch reduziert werden.
Realistische Modelle statt Tierversuche
Gleichzeitig sollen die realistischen humanen 3D-Modelle Tierversuche reduzieren. „Im Rahmen unseres in Innsbruck etablierten MUI animalFree Research Clusters und in enger Zusammenarbeit mit dem Austrian Drug Screening Institute (ADSI) verfolgen wir das Ziel, valide Alternativen zu Tierversuchen voranzutreiben und so die Testung von potentiellen antimikrobiellen Wirkstoffen mittels modernster Technologien zu erleichtern“, unterstreicht Wilflingseder. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Wilfried Posch, Jonathan Vosper, Asma Noureen, et al.: C5aR inhibition of nonimmune cells suppresses inflammation and maintains epithelial integrity in SARS-CoV-2–infected primary human airway epithelia; in: The Journal of Allergy and Clinical Immunology, 2021, jacionline.org
- Medizinische Universität Innsbruck: COVID-19: Humanes 3D-Modell enthüllt neues Angriffsziel zur Verhinderung schwerer Verläufe (veröffentlicht: 20.05.2021), i-med.ac.at
Wichtiger Hinweis:
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