Corona: Verzögerte Impfantwort bei älteren Menschen
In Deutschland wurden bereits mehr als 55 Millionen Impfdosen gegen die durch das Coronavirus ausgelöste Krankheit COVID-19 verabreicht. Vollständig geimpft sind über 18 Millionen Menschen. Dennoch kommt es hierzulande immer mal wieder zu SARS-CoV-2-Ausbrüchen in Pflegeheimen. Dies könnte auch damit zu tun haben, dass die Impfantwort bei Älteren verzögert und reduziert ist.
Immer wieder gibt es Berichte über Corona-Ausbrüche in Pflegeheimen trotz vollständiger Impfung der Bewohnerinnen und Bewohner. Um dieses Phänomen besser zu verstehen, hat ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin einen solchen Ausbruch in einer Berliner Einrichtung virologisch analysiert und die Immunreaktion älterer Personen auf die Impfung untersucht. Die Ergebnisse belegen die Wirksamkeit der Impfung, deuten jedoch auch auf eine verzögerte und leicht reduzierte Immunantwort bei älteren Menschen hin.
Sehr hohe Wirksamkeit
Wie es in einer Mitteilung der Charité – Universitätsmedizin Berlin heißt, gilt die Wirksamkeit der COVID-19-Impfung mit dem Vakzin von BioNTech/Pfizer als sehr hoch: Eine Woche nach der zweiten Dosis verhinderte sie in den Zulassungsstudien mehr als 90 Prozent der symptomatischen Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2.
Die hohe Wirksamkeit der Impfung hat sich auch in großen Beobachtungsstudien in der Bevölkerung bestätigt. Trotzdem kann es nach der Impfung in Einzelfällen noch zu Infektionen kommen. Doch wie erklärt sich, dass es trotz vollständiger Impfung der Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeheimen noch größere Ausbrüche gibt?
In zwei zusammenhängenden Arbeiten bestätigt ein interdisziplinäres Forschungsteam der Charité nun, was Medizinerinnen und Mediziner anhand ihrer Erfahrung mit anderen Impfstoffen vermutet hatten: Das Immunsystem von alten Menschen reagiert nicht ganz so effizient auf die Impfung wie das von jüngeren.
Ausbruch in einer Pflegeeinrichtung
Für die Untersuchung arbeiteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst einen Ausbruch in einer Berliner Pflegeeinrichtung auf, der im Februar bemerkt worden war. Dabei hatten sich – neben elf Pflegekräften ohne vollständigen Impfschutz – auch 20 Bewohnerinnen und Bewohner mit SARS-CoV-2 angesteckt. Bis auf vier von ihnen waren alle vollständig mit dem BioNTech/Pfizer-Impfstoff geimpft.
Während die vier Ungeimpften so schwer erkrankten, dass sie in einem Krankenhaus behandelt werden mussten, zeigte nur rund ein Drittel der Geimpften Krankheitszeichen wie zum Beispiel Husten oder Atemnot.
Durch eine Bestimmung der Virusmenge in den Abstrich-Proben stellten die Forschenden fest, dass Geimpfte tendenziell weniger Virus im Rachen aufwiesen als Ungeimpfte. Bei ihnen wurde der Erreger zudem über einen deutlich kürzeren Zeitraum nachgewiesen, im Schnitt über knapp acht statt 31 Tage.
Vier weitere geimpfte im Pflegeheim wohnende Personen steckten sich trotz Exposition während des Ausbruchs nicht mit dem Coronavirus an. Weitere Übertragungen in andere Bereiche der Einrichtung wurden durch konsequente Hygienemaßnahmen verhindert.
Mildere Krankheitsverläufe nach Impfung
Dennoch mussten zwei der 16 geimpften COVID-19-Patientinnen und -Patienten in eine Klinik eingeliefert werden. Im Krankenhaus starb eine Patientin nach einem starken Anstieg des Blutdrucks an einer Hirnblutung.
Eine zweite Frau starb im Heim, nachdem sie über zwei Wochen schon kein Virus mehr ausgeschieden hatte. Den Angaben zufolge hatten die beiden Verstorbenen keine Atemwegssymptome entwickelt.
Deshalb gehen die Forschenden nicht von einem ursächlichen Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Infektion aus.
„Auf der einen Seite sehen wir an diesem Ausbruch, dass die Impfung die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims insgesamt geschützt hat, denn ihre Krankheitsverläufe waren deutlich milder“, erläutert Dr. Victor Corman, Stellvertretender Leiter des Konsiliarlabors für Coronaviren am Institut für Virologie der Charité und einer der drei leitenden Autoren der Studie.
„Die kürzere Virusausscheidung hat außerdem vermutlich weitere Übertragungen verhindert. Gleichzeitig wird durch die Häufung der Infektionen klar, dass die hohe Wirksamkeit der Impfung bei alten Menschen manchmal nicht voll zum Tragen kommt“, ergänzt der Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF).
Höhere Virusmenge im Rachen
Einen der möglichen Gründe dafür sehen die Forschenden darin, dass der Ausbruch von der jetzt Alpha genannten Virusvariante B.1.1.7 ausgelöst worden war, die mit einer höheren Virusmenge im Rachen und einer größeren Übertragbarkeit einhergeht.
Einen zweiten Grund fanden die Fachleute in der Immunantwort der Betroffenen auf die Impfung selbst. Dazu verglich das Forschungsteam die Immunreaktion auf die BioNTech/Pfizer-Impfstoffe bei über 70-jährigen Patientinnen und Patienten einer Hausarztpraxis mit der von Charité-Beschäftigten, die im Schnitt 34 Jahre alt waren.
Dabei zeigten Blutanalysen, dass bereits drei Wochen nach der ersten Dosis etwa 87 Prozent der Jüngeren Antikörper gegen SARS-CoV-2 gebildet hatten, unter den Älteren waren es lediglich rund 31 Prozent.
Einen Monat nach der zweiten Dosis hatten fast alle jungen Impflinge (99 Prozent) SARS-CoV-2-spezifische Antikörper im Blut, unter den älteren waren es mit rund 91 Prozent etwas weniger. Zusätzlich reiften die Antikörper bei den Älteren auch langsamer, sie konnten das Virus also schlechter binden. Und der zweite wichtige Arm der Immunreaktion, die T-Zell-Antwort, fiel ebenfalls schwächer aus.
„Unsere Studie zeigt also, dass bei älteren Menschen die Immunantwort nach der Impfung deutlich verzögert ist und nicht das Niveau von jungen Impflingen erreicht“, sagt Prof. Dr. Leif Erik Sander, Impfstoffforscher von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité und ebenfalls leitender Autor der Studie.
„Man kann die Wirksamkeit der Impfung nicht anhand eines einzelnen Ausbruchs berechnen. Insgesamt sind die Infektionszahlen in den Pflegeheimen seit Beginn der Impfkampagne dramatisch gesunken. Aber es gibt einzelne Ausbrüche und dann scheinen ältere Menschen empfänglicher zu sein als jüngere, da bei manchen die Immunantwort etwas schwächer ausfällt.“
Weiterhin Hygienemaßnahmen und Testungen
„Zwar hat nach der vollständigen Impfung nur knapp jeder Zehnte der über 70-Jährigen keine Antikörper im Blut“, betont der dritte leitende Autor der Studie, Privatdozent Dr. Florian Kurth von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité.
„Da wir aber derzeit keine Möglichkeit haben, die Personen mit geringem Impfschutz anhand einzelner Messwerte zu erkennen, können wir uns für den Schutz dieser besonders gefährdeten Risikogruppe nicht allein auf die Impfung verlassen“, erklärt der Wissenschaftler.
„Stattdessen spielen zum jetzigen Zeitpunkt, wo große Teile der Bevölkerung noch nicht immun sind, Hygienemaßnahmen und Testungen noch eine wichtige Rolle. Insbesondere die Impfung des pflegerischen Personals sowie der Besucherinnen und Besucher ist immens wichtig, um Ausbrüche in Pflegeheimen zu verhindern. Mittelfristig kommt sicherlich auch eine weitere Auffrischimpfung für ältere Menschen infrage, um deren Impfschutz zu verbessern.“
Die Ergebnisse der Forschenden wurden in dem Fachblatt „Emerging Infectious Diseases“ veröffentlicht. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Charité – Universitätsmedizin Berlin: Warum es in Pflegeheimen weiter zu SARS-CoV-2-Ausbrüchen kommt - Studie belegt verzögerte Impfantwort bei Älteren, (Abruf: 09.06.2021), Charité – Universitätsmedizin Berlin
- Tatjana Schwarz, Pinkus Tober-Lau, David Hillus, Elisa T. Helbig, Lena J. Lippert, Charlotte Thibeault, Willi Koch, Irmgard Landgraf, Janine Michel, Leon Bergfeld, Daniela Niemeyer, Barbara Mühlemann, Claudia Conrad, Chantip Dang-Heine, Stefanie Kasper, Friederike Münn, Kai Kappert, Andreas Nitsche, Rudolf Tauber, Sein Schmidt, Piotr Kopankiewicz, Harald Bias, Joachim Seybold, Christof von Kalle, Terry C. Jones, Norbert Suttorp, Christian Drosten, Leif Erik Sander, Victor M. Corman & Florian Kurth: Delayed Antibody and T-Cell Response to BNT162b2 Vaccination in the Elderly, Germany; in: Emerging Infectious Diseases, (veröffentlicht: 08.06.2021), Emerging Infectious Diseases
- Pinkus Tober-Lau, Tatjana Schwarz, David Hillus, Jana Spieckermann, Elisa T. Helbig, Lena J. Lippert, Charlotte Thibeault, Willi Koch, Leon Bergfeld, Daniela Niemeyer, Barbara Mühlemann, Claudia Conrad, Stefanie Kasper, Friederike Münn, Frank Kunitz, Terry C. Jones, Norbert Suttorp, Christian Drosten, Leif Erik Sander , Florian Kurth & Victor M. Corman: Outbreak of SARS-CoV-2 B.1.1.7 Lineage after Vaccination in Long-Term Care Facility, Germany, February–March 2021; in: Emerging Infectious Diseases, (veröffentlicht: 08.06.2021), Emerging Infectious Diseases
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