Verbindung zwischen Alzheimer und Herpesviren?
Ein in den USA neu zugelassenes Medikament zum Abbau von Plaques soll trotz widersprüchlicher Studienergebnisse als Therapie bei Alzheimer eingesetzt werden. Fachleute bezweifeln jedoch, dass bei Personen im fortgeschrittenen Stadium von Alzheimer eine Entfernung der vorliegenden Plaques zu einer Besserung beiträgt. Denn die Ursache liegt möglicherweise nicht in den Plaques, sondern in Herpesviren und anderen pathogenen Erregern.
Aducanumab soll Plaques abbauen
In den USA wurde das Medikament Aducanumab (Aduhelm) durch die FDA zur Behandlung von Alzheimer als Therapeutikum zugelassen, obwohl es durchaus widersprüchliche Ergebnisse zur Wirksamkeit in verschiedenen Studien gab. Durch die Behandlung mit dem Arzneimittel soll ein Abbau von Aggregaten aus β-Amyloid (Aβ) im Gehirn erzielt werden, welche häufig auch als sogenannte Plaques bezeichnet werden.
Zweifelhafte Wirksamkeit von Aducanumab
Allerdings besteht das Problem, dass bislang unklar bleibt, ob diese Plaques wirklich die alleinige Ursache des bei Alzheimer auftretenden kognitiven Abbaus sind und ob eine Beseitigung dieser Plaques wirklich zur Besserung von Demenz beiträgt, wenn betroffene Personen sich bereits im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung befinden.
Die FDA hat als Bedingung für die Zulassung die Hersteller Biogen und Eisai dazu aufgefordert, den klinischen Nutzen einer Aducanumab-Therapie in einer weiteren randomisierten, kontrollierten Studie nachzuweisen. Hier bleibt abzuwarten, ob die neue Untersuchung überzeugende Ergebnisse liefern wird – Zweifel bestehen durchaus.
Aβ nicht alleiniger Ursprung von Alzheimer
Die Zweifel beruhen auch darauf, dass viele Fachleute der Ansicht sind, Beta-Amyloid-Plaques seien zwar an der Pathologie der Erkrankung beteiligt, aber keineswegs alleiniger Ursprung. Es gebe weitere wichtige Marker, wie Apolipoprotein E (ApoE), Fibrillen aus τ-Protein und eine Neuroinflammation. Zum Vorgang, wie diese Marker einen für Alzheimer typischen Gedächtnisverlust auslösen, gibt es verschiedene Vermutungen und Theorien.
Lösen Infektionen Alzheimer aus?
Eine dieser Theorien bezieht sich auf Infektionen im Körper. Diese Infektions-Hypothese geht davon aus, dass Alzheimer durch bestimmte Pathogene ausgelöst werden kann. Da diese Theorie lange Zeit als Gegensatz zur Amyloid-Hypothese angesehen wurde, wurde sie zunächst nicht wirklich ernst genommen. Im Laufe der Zeit hat allerdings ein Umdenken unter den Fachleuten stattgefunden und viele gehen mittlerweile davon aus, dass beide Hypothesen miteinander in Einklang stehen.
Aβ könnte Funktion eines antimikrobiellen Peptids erfüllen
Ein neuer und heiß diskutierter Erklärungsansatz legt nahe, dass Beta-Amyloid im Gehirn die Funktion eines antimikrobiellen Peptids erfüllt. Erreger werden dabei die Produktion von Plaques eingeschlossen und so unschädlich gemacht. Mit einem ansteigenden Alter oder einer vorliegenden auf der Genetik aufbauenden Veranlagung können diese Plaques allerdings nicht mehr entfernt werden, daher sammeln sie sich an und lösen eine Neuroinflammation und zusätzlich die Bildung von sogenannten τ-Fibrillen aus. Dies bewirkt das Absterben von Neuronen und die Bildung weiterer Plaques, so die Erläuterung des Ansatzes in dem renommierten englischsprachigen Fachblatt „Nature“.
Für die Fachleute stellt sich besonders die Frage, welche Erreger diesen Prozess in Gang setzen können. Vor allem drei Herpesviren und drei Bakterien werden hierfür als möglicher Auslöser angesehen: HSV-1, HHV-6A und HHV-7, Chlamydia pneumoniae, Borrelia burgdorferi und Porphyromonas gingivalis. Allerdings gelten Herpesviren hier als die wahrscheinlichsten Auslöser.
2,5 mal höheres Risiko für Demenz durch Herpesinfektion
Eine in der englischsprachigen Fachzeitschrift „Neurotherapeutics“ veröffentlichte Untersuchung aus dem Jahr 2018 hat beispielsweise festgestellt, dass Menschen mit einer Herpesinfektion tatsächlich ein 2,5-fach höheres Risiko für die Entwicklung von Demenz aufweisen. Erstaunlicherweise konnte dieses erhöhte Risiko durch eine antivirale Behandlung fast vollständig negiert werden, berichtet das Team.
Die Infektions-Hypothese wird von Fachleuten durchaus als interessant angesehen, aber es gibt immer noch keine endgültigen Beweise für ihre Richtigkeit, erläutert Dr. Anthony L. Komaroff vom Brigham & Women’s Hospital der Harvard Medical School in Boston in einem Beitrag zum Thema in dem englischsprachigen Fachblatt „JAMA“.
Entzündungshemmende Medikamente gegen Alzheimer?
Der Experte ist der Meinung, dass zur Lösung des Problems zunächst wichtige Fragen geklärt werden müssten, beispielsweise ob Neuroinflammation Ursache oder Folge der Plaque- und Fibrillenbildung ist und ob Infektionen zumindest in einigen Fällen die Ursache von Neuroinflammation sind. Der Mediziner nimmt an, dass Medikamente zur Bekämpfung der auftretenden Entzündung oder Arzneimittel gegen bestimmte Pathogene sich in Zukunft als wirksam zur Prävention oder Therapie von Alzheimer-Demenz erweisen könnten. Dies müsse allerdings erst durch weitere Untersuchungen bewiesen werden.
Eine medikamentöse Prophylaxe bei Menschen, welche sowohl mit HSV-1 infiziert sind, als auch das Alzheimer-Risikogen mit der Bezeichnung ApoE4 in sich tragen, könnte die Verwendung des Virostatikums Valaciclovir umfassen, eventuell zusammen mit einem Entzündungshemmer, erläutert Dr. Ruth F. Itzhaki in einer Diskussionrunde auf der Alzheimer’s Association International Conference (AAIC) von der University of Manchester, deren Ergebnisse in der englischsprachigen Fachzeitschrift „Nature Reviews Neurology“ nachzulesen ist. Ein in Algen enthaltener Stoff mit der Bezeichnung Fucoidan biete sich hier an, weil er bereits in vitro synergistische Wirkung gegen HSV-1 mit Valaciclovir erzielt hat, fügt die Expertin hinzu.
In dieser Diskussionsrunde wies Professor Dr. Ben Readhead von der Arizona State University zusätzlich auf zwei laufende Untersuchungen hin. In diesen Studien wird die mögliche Wirksamkeit von Valaciclovir bei Menschen analysiert, welche HSV-1-positiv sind und bei denen bereits Alzheimer begonnen hat. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen könnten nach Ansicht des Mediziners eventuell bereits ab dem Jahr 2022 vorliegen. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Alison Abbott: Are infections seeding some cases of Alzheimer’s disease?, in Nature (veröffentlicht 10.11.2020), Nature
- Nian-Sheng Tzeng, Chi-Hsiang Chung, Fu-Huang Lin, Chien-Ping Chiang, Chin-Bin Yeh et al.: Anti-herpetic Medications and Reduced Risk of Dementia in Patients with Herpes Simplex Virus Infections—a Nationwide, Population-Based Cohort Study in Taiwan, in Neurotherapeutics (veröffentlicht 27.02.2018), Neurotherapeutics
- Anthony L. Komaroff: Can Infections Cause Alzheimer Disease?, in JAMA (veröffentlicht 08.06.2020), JAMA
- Ruth F. Itzhaki, Todd E. Golde, Michael T. Heneka, Ben Readhead: Do infections have a role in the pathogenesis of Alzheimer disease?, in Nature Reviews Neurology (veröffentlicht 09.03.2020), Nature Reviews Neurology
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.