Keimbestimmung bei Parodontitis oft sinnlos
Parodontitis gehört zu den am weitesten verbreiteten chronischen Erkrankungen der Mundhöhle in Deutschland – rund 12 Millionen Menschen sind Schätzungen zufolge hierzulande betroffen. Die anhaltende Zahnfleischentzündung kann unter anderem für verfrühten Zahnausfall sorgen. Oft wird Parodontitis zu spät erkannt, weil die Entzündung zunächst kaum oder keine Schmerzen bereitet. Sind mikrobiologische Tests, die oft nicht von den Krankenkassen übernommen werden, zur Erkennung sinnvoll?
Eine Parodontitis entsteht durch Bakterien. Entsprechend liegt es nahe, sich diese genauer anzuschauen. Das geht mit speziellen Tests. Deren Nutzen ist aber sehr begrenzt, sagt ein Experte. Das Geld für die Tests, die mitunter mehr als 100 Euro kosten und aus eigener Tasche bezahlt werden müssen, können sich Patientinnen und Patienten in der Regel sparen, wie Zahnmediziner Professor Peter Eickholz betont.
Markerkeim-Bestimmung in den meisten Fällen nutzlos
Zahnmediziner Professor Peter Eickholz ist ein ausgewiesener Experte im Bereich Parodontologie. Er ist Direktor der Poliklinik für Parodontologie an der Uni Frankfurt am Main und hat zahlreiche Buch- und Zeitschriftenbeiträge zu Parodontologie verfasst. Im Interview erklärt er, warum die sogenannte Markerkeim-Bestimmung in den meisten Fällen keinen Nutzen für die Behandlung und damit für Betroffene bringt.
Was ist von mikrobiologischen Parodontitis-Tests zu halten?
Peter Eickholz: „Parodontitis ist nicht allein die Folge einer Infektion mit wenigen Bakterienarten, sondern wird durch die Reaktion der Infektabwehr des Patienten auf die bakteriellen Zahnbeläge – den Biofilm – ausgelöst. Tests auf wenige Bakterienarten, so wie sie jetzt zur Verfügung stehen, beeinflussen keine therapeutische Entscheidung und liefern keine sinnvollen Informationen über die klinische Diagnostik hinaus.“
„Das heißt, für die Auswahl von Antibiotika zur Behandlung zum Beispiel sind sie nicht hilfreich. Das steht so deutlich in der Leitlinie zur unterstützenden Gabe von Antibiotika in der Behandlung von Parodontitis von 2018, die auf Basis von wissenschaftlichen Daten und medizinischem Konsens verfasst wurde. Für die Hersteller der Tests ist das schmerzlich, aber das kann in diesem Fall kein Entscheidungskriterium sein.“
Gibt es denn Fälle, wo die Tests sinnvoll sind?
Eickholz: „Ja, aber nur in seltenen Ausnahmen. Zum Beispiel, wenn die Therapie einfach nicht anschlägt, obwohl man davon überzeugt ist, alles richtig gemacht zu haben: Der Patient putzt gut, die Zahnfleischtaschen wurden gründlich gereinigt und es liegen keine Allgemeinerkrankungen vor, die die Infektabwehr schwächen.“
„Oder, wenn man den Verdacht hegt, dass eine ganz bestimmte Unterart eines Bakteriums, das vor allem in West- und Nordafrika vorkommt, Auslöser der Parodontitis ist. In Europa wird dieses Bakterium allerdings extrem selten nachgewiesen.“
Warum werden die Tests dann in Praxen angeboten?
Eickholz: „Zunächst einmal bin ich als Patient auf die Expertise des Zahnarztes angewiesen, zu dem ich gehe. Er hat also einen Vertrauensvorschuss. Bietet er mir so einen Test an, dann kann ich fragen: «Welchen Unterschied hinsichtlich der Therapie macht der Test?» Darauf muss der Zahnarzt eine Antwort geben können.“
„Ein Test, von dem therapeutisch nichts abhängt, nützt nichts. Wenn der Mediziner dann sagt: «Er hilft mir bei der Auswahl des Antibiotikums», dann kann man sich als Patient auf die Leitlinie von 2018 beziehen und anmerken, dass man dafür keinen mikrobiologischen Test brauche.“
Test-Anwendung gilt als überholt
„Ich selbst habe 25 Jahre lang bei schweren Fällen die Gabe von Antibiotika zusätzlich zur antiinfektiösen Parodontitis-Therapie, also der Taschenreinigung, vom Ergebnis mikrobiologischer Tests abhängig gemacht. Aber dieses Konzept ist überholt. Seit der Leitlinie von 2018, an der ich selbst mitgearbeitet habe, entscheiden wir nur noch nach klinischen Kriterien.“
„Aber: Diese Veränderungen sind relativ neu. Es dauert zumeist eine Weile, bis neue Leitlinienempfehlungen bei den niedergelassenen Kollegen ankommen. Neue Erkenntnisse und Entscheidungen nehmen oft einen langen Weg bis in die klinische Realität im Praxisalltag. Diese Zeitverzögerung zwischen der Veröffentlichung von Empfehlungen bis zur tatsächlichen Berücksichtigung in der täglichen Praxis erklärt, warum mikrobiologische Tests noch empfohlen werden.“ (vb / Quelle: Tom Nebe, dpa)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- KASSENZAHNÄRZTLICHE BUNDESVEREINIGUNG (KZBV): Ursachen und Auswirkungen von Parodontitis (Abruf: 22.06.2021), kzbv.de
- Leitlinie "Die Behandlung von Parodontitis Stadium I bis III - Die deutsche Implementierung der S3-Leitlinie „Treatment of Stage I–III Periodontitis“ der European Federation of Periodontology (EFP)" (Stand: 19.2.2021), awmf.org
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.