Disease Interception: Krankheiten vor ihrem Auftreten abfangen
Wenn wir krank sind oder Schmerzen haben, gehen wir zu einem Arzt oder einer Ärztin und lassen uns untersuchen. Zu diesem Zeitpunkt sind viele Krankheiten jedoch bereits weit fortgeschritten. In einem neuen Ansatz namens „Disease Interception“ soll nun ein neues Prinzip mit dem Umgang von Krankheiten getestet werden. Dabei sollen anhand bestimmter Merkmale drohende Krankheiten erkannt werden, sodass gegengesteuert werden kann, bevor sie sich manifestieren.
Forschende des Instituts für Sozial- und Gesundheitsrecht (ISGR) der Ruhr-Universität Bochum (RUB) stellen einen neuen Ansatz zur Verhinderung von Krankheiten vor. „Disease Interception“ soll es möglich machen, durch die Auswertung von Daten Erkrankungen schon während ihrer Entstehung zu erkennen und zu verhindern. Die Arbeitsgruppe testet das Konzept derzeit im Rahmen einer zweijährigen Studie.
Lassen sich Krankheiten abfangen?
Wie das Forschungsteam berichtet, verfolgt „Disease Interception“ das Ziel, Krankheiten bereits in ihrer Entstehungsphase entgegenzuwirken. Dazu müssen Prozesse, die mit der Entwicklung einer Krankheit in Verbindung stehen, zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt aufgedeckt werden. Auf diese Weise könne bereits vor der Entstehung gegengesteuert werden.
Vor chronischen Krankheiten schützen
Besonders vielversprechend erscheint das Konzept bei Krankheiten, die sich über einen längeren Zeitraum hinweg langsam entwickeln. Solche chronischen Erkrankungen seien in einem fortgeschrittenen Stadium oft nur noch schlecht oder gar nicht mehr behandelbar. Beispiele hierfür seien bestimmte Krebsformen oder die Alzheimer-Krankheit.
Moderne Daten-Analysen ermöglichen das Konzept
Sogenannte Big-Data-Analysen haben es in den letzten Jahren möglich gemacht, große Datenmengen von Millionen Patientinnen und Patienten zu durchforsten. So konnten neue Früherkennungsmerkmale bei zahlreichen Krankheiten aufgedeckt werden. Eine künstliche Intelligenz (KI) ist in der Lage, Veränderungen, Faktoren oder Hinweise zu entdecken, die auf bestimmte Krankheiten hindeuten.
Wird „Disease Interception“ zur Kassenleistung?
„Aufgrund der Tatsache, dass die überwältigende Mehrheit der in Deutschland lebenden Personen gesetzlich krankenversichert ist und damit die Verfügbarkeit von bestimmten medizinischen Maßnahmen faktisch davon abhängt, ob diese im Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) enthalten sind, liegt ein Schwerpunkt des Projekts auf dem Leistungsrecht“, erläutert Lara Wiese aus dem Forschungsteam.
Im Hinblick auf eine mögliche Implementierung dieses Ansatzes bestehe ein expliziter Regelungsbedarf. Geklärt werden müsse unter anderem, wie und ob sich „Disease Interception“ in das System des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) eingliedern kann. Dies sei ausschlaggebend dafür, ob Krankenversicherte zukünftig Anspruch auf solche Leistungen haben können.
Universitätsmedizin Essen testet das Konzept
Die Arbeitsgruppe kooperiert bei der medizinischen Umsetzung mit Medizinerinnen und Medizinern um Professor Dr. Stefan Huster der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Unter dem Namen „Smart Hospital“ soll hier bereits versucht werden, die erhobenen Daten für die frühzeitige Erkennung von Krankheitsrisiken und -anzeichen einzusetzen, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern.
Auch eine rechtliche Frage
Das rechtliche Problemfeld von „Disease Interception“ reiche vom Datenschutz über komplizierte Zertifizierungsverfahren für Geräte, Verfahren oder Apps bis hin zu Fragen der Aufklärung und Einwilligung. „Dank der Unterstützung von Dr. Anke Diehl, Chief Transformation Officer der Universitätsmedizin Essen, und durch die Einbindung sowohl von ärztlichem Personal als auch von Patientinnen und Patienten können die mit dem Konzept der Disease Interception verbundenen Chancen, aber auch Schwierigkeiten aus der Perspektive des Rechts und der medizinischen Praxis beleuchtet werden“, so Stefan Huster.
Vernetzung von Medizinrecht und Medizin
Die Vernetzung von Medizinrecht und Medizin diene als Grundlage dafür, die Bedürfnisse und tatsächlichen Begebenheiten der Praxis realitätsnah zu untersuchen und zu bewerten. Im Rahmen des Projektes sollen sich konkrete und praktikable Lösungen herauskristallisieren sowie mögliche Verbesserungsvorschläge erarbeitet werden.
Projekt soll eine erste Orientierung ermöglichen
„Die Ergebnisse sollen politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern, Krankenhäusern sowie sonstigen Stakeholdern im deutschen Gesundheitssystem eine erste Orientierung bieten, welche Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Konzept der Disease Interception zu bewältigen sind“, resümiert Huster. Das Projekt wird mit rund 170.000 Euro vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Ruhr-Universität Bochum: Krankheiten im Keim ersticken (veröffentlicht: 08.07.2021), news.rub.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.