Coronavirus: Guillain-Barré-Syndrom nach COVID-19-Impfung
In den vergangenen Monaten hat sich gezeigt, dass Impfungen gegen die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste Krankheit COVID-19 mit verschiedenen, teilweise schwerwiegenden, Nebenwirkungen einhergehen können. Nun gibt es Hinweise, dass auch das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) eine mögliche Komplikation sein kann.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben festgestellt, dass es bei manchen Menschen nach einer überstandenen COVID-19-Erkrankung zu neurologischen Langzeitfolgen kommt. So wurde etwa bei einigen Personen nach einer SARS-CoV-2 Infektion das Guillain-Barré-Syndrom diagnostiziert. Zu dieser sehr seltenen Autoimmunerkrankung kann es auch nach einer COVID-19-Impfung kommen.
Zeitlicher Zusammenhang mit der Impfung
Laut einer aktuellen Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) kann es im Zusammenhang mit COVID-19-Impfungen in sehr seltenen Fällen zu Komplikationen kommen.
Erst kürzlich berichtete die US-amerikanische Zeitung New York Times unter Berufung auf das nationale „Vaccine Adverse Event Reporting System (VAERS)“ von 100 Fällen eines Guillain-Barré-Syndroms (GBS) im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung des Vakzins von Johnson & Johnson. 95 der Betroffenen mussten demnach stationär aufgenommen werden, eine Person verstarb.
Auch im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung mit dem Impfstoff von AstraZeneca wurden GBS-Fälle berichtet.
Die von den Behörden erhobenen Zahlen stellten jedoch keine besorgniserregende Erhöhung der GBS-Rate dar und derzeit gebe es auch keinen Beleg für einen kausalen Zusammenhang, kommentiert Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN.
Dauerhaft neurologische Beschwerden möglich
Wie auf dem öffentlichen Gesundheitsportal Österreichs „Gesundheit.gv.at“ erklärt wird, ist das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) eine sehr seltene Autoimmunerkrankung, die auch als „akute idiopathische Polyneuritis“ bezeichnet wird.
Durch eine überschießende Autoimmunreaktion, oft in Folge von Infekten, wird die Myelinschicht der peripheren Nerven geschädigt, so dass die Nervenfasern keine Reize mehr übertragen können.
Nachweisbar sind beim GBS häufig Autoantikörper gegen Baubestandteile der Nervenmembranen (Ganglioside) im Blut. Folgen sind Lähmungen (Paresen), die meistens beidseitig in den Beinen beginnen und dann auch die Arme und das Gesicht betreffen.
Bei einigen Patientinnen und Patienten kann sogar die Atemmuskulatur in Mitleidenschaft gezogen werden, so dass sie beatmet werden müssen.
Laut der DGN erhalten die Betroffenen zur Therapie entweder hochdosiert intravenös Immunglobuline oder es erfolgt eine Plasmapherese, ein extrakorporales Blutreinigungsverfahren, bei dem die krankheitsauslösenden Autoantikörper herausgefiltert werden.
Es dauert oft viele Wochen, bis sich die Symptome zurückbilden, bei einigen Patientinnen und Patienten bleiben dauerhaft neurologische Beschwerden bestehen.
SARS-CoV-2-assoziierte GBS-Fälle
Es ist bekannt, dass etwa Dreiviertel aller GBS-Fälle in Folge von Infektionen auftreten, sei es durch eine bakterielle Darmentzündung mit Campylobacter jejuni oder eine Infektion der oberen Luftwege mit dem Zytomegalievirus oder anderen Viren.
Zudem berichtete die DGN bereits im letzten Jahr über SARS-CoV-2-assoziierte GBS-Fälle einschließlich der GBS-Variante des Miller Fisher-Syndroms (MFS).
Auffällig dabei war: Während es sonst oft zwei bis vier Wochen dauert, bis ein infektassoziiertes GBS auftritt, kam es bei einer Coronavirus-Infektion bereits nach fünf bis zehn Tagen zu dieser schweren neurologischen Komplikation.
Einer Auswertung zufolge gab es jedoch keine epidemiologischen oder genotypischen Hinweise für einen Kausalzusammenhang zwischen einer SARS-CoV-2-Infektion und dem Auftreten eines GBS.
Beidseitige Gesichtslähmung
Auch im Zusammenhang mit der Impfung gegen SARS-CoV-2 wurden schon GBS-Fälle berichtet: In einem Zeitraum von vier Wochen zwischen Mitte März und Mitte April 2021 beobachteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in drei Distrikten des indischen Bundesstaats Kerala bei sieben Menschen binnen zwei Wochen nach Erstimpfung mit ChAdOx1-S (AstraZeneca) ein GBS.
Wie die Medizinerinnen und Mediziner in ihrer Fallserie berichten, lag die Inzidenz mit 5,8 pro Million Menschen in dieser Gruppe etwa 1,4- bis 10-mal so hoch, wie es in diesem Zeitraum sonst zu erwarten gewesen wäre.
Die Patientinnen und Patienten befanden sich in ihrer fünften bis siebten Lebensdekade, sechs waren Frauen. Alle hatte ein GBS mit beidseitiger Gesichtslähmung, eine Symptomatik, die sonst bei weniger als 20 Prozent der GBS-Erkrankungen vorkommt. 57 Prozent hatten auch andere Hirnnervenbeteiligungen, was in Indien bislang bei weniger als fünf Prozent der GBS-Fälle beobachtet worden war.
Kein kausaler Zusammenhang abzuleiten
Ebenso gab es Fallberichte aus Großbritannien im Zusammenhang mit der Gabe des Impfstoffs von AstraZeneca. Die Patienten, vier Männer im Alter zwischen 20 und 57 Jahren, hatten eine beidseitige Gesichtslähmung sowie Parästhesien.
Bei zwei Betroffenen besserten sich die Symptome unter der Therapie mit 60 mg/d Prednisolon über fünf Tage, bei einem nach Gabe von intravenösen Immunglobulinen und bei einem spontan.
Weder in der PCR aus dem Nasopharynx-Abstrich noch aus serologischen Antikörpertests, dem Röntgenbild des Thorax oder der Anamnese ergaben sich Hinweise auf eine Infektion mit dem Coronavirus.
Serologische und Liquoruntersuchungen auf andere mögliche infektiöse Auslöser der Gesichtslähmungen fielen laut den Fachleuten negativ aus.
Die Symptome begannen 11-22 Tage nach der ersten Impfdosis, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die maximale Immunantwort auf die Impfung zu erwarten wäre. Ein kausaler Zusammenhang kann daraus allerdings nicht abgeleitet werden.
Risiko wird als gering eingestuft
Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA (European Medicines Agency) zählte bis einschließlich Ende Mai 2021 insgesamt 156 Fälle eines GBS im zeitlichen Zusammenhang mit der Gabe des Vakzins von AstraZeneca – bei bis dato etwa 40 Millionen verimpften Dosen.
Aber wie Professor Peter Berlit, DGN-Generalsekretär, ausführt, ist auch hier ein zeitlicher Zusammenhang nicht mit einer kausalen Beziehung gleichzusetzen. „Die Inzidenz des GBS in Deutschland beträgt 1,6–1,9 pro 100.000 Einwohner. Bei 83,13 Mio. Einwohnern treten in Deutschland jährlich zwischen 1300 und 1570 GBS-Fälle auf.“
Dem Fachmann zufolge hatten sie in einem Editorial „berechnet, dass, wenn im 2. und 3. Quartal etwa 50 % der Bevölkerung geimpft worden wäre, in dieser Population rein statistisch zwischen 325 und 392 GBS-Fälle zu erwarten gewesen wären.“
Derzeit ist in Deutschland erst 43 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft „und damit müssten auch die erwartbaren Fälle etwa 10% niedriger liegen, also zwischen 290 und 350“, sagt der Experte.
„Es wird deutlich, dass die von der EMA erhobene Zahl keine besorgniserregende Erhöhung der GBS-Rate darstellt und es derzeit auch keinen Beleg für einen kausalen Zusammenhang gibt. Hinzu kommt, dass natürlich die Fälle des impfassoziierten GBS denen bei COVID-19-Infektion gegenübergestellt werden müssten.“
Das abschließende Fazit von Professor Peter lautet: „Insgesamt ist das GBS-Risiko durch die Impfung gegen SARS-CoV-2 nach heutigem Kenntnisstand als sehr gering einzustufen – und wir haben zum Glück eine wirksame Therapie dieses Krankheitsbilds zur Verfügung.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Guillain-Barré-Syndrom nach Impfung gegen SARS-CoV-2: Ein kausaler Zusammenhang ist nicht sicher, das Risiko gering, (Abruf: 14.07.2021), Deutsche Gesellschaft für Neurologie
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie: SARS-CoV-2 kann das gefürchtete Guillain-Barré-Syndrom auslösen, (Abruf: 14.07.2021), Deutsche Gesellschaft für Neurologie
- Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Guillain-Barré-Syndrom (Abruf: 14.07.2021), Gesundheit.gv.at
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.