Fledermäuse als Coronavirus-Reservoir
Erneut berichten Forschende von einem bislang unbekannten Coronavirus. Diesmal jedoch nicht in China, sondern in Großbritannien. Das in Fledermäusen gefundene Virus ist eng mit SARS-CoV-2 verwandt, dem Virus, das für die COVID-19-Pandemie verantwortlich ist. Stellt das neue Coronavirus eine Gefahr für den Menschen dar?
Eine Arbeitsgruppe der University of East Anglia, der Zoological Society of London sowie der Gesundheitsbehörde Public Health England weisen in britischen Hufeisennasen-Fledermäusen ein bislang unbekanntes Coronavirus nach, welches eng mit SARS-CoV-2 verwandt ist. Das Team gibt dem Virus den Namen „RhGB01“. Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich in dem renommieren Fachjournal „Scientific Reports“ präsentiert.
Erstmals neues Sarbecovirus in Großbritannien entdeckt
Die Forschenden sammelten und analysierten Kotproben von mehr als 50 kleinen Hufeisennasen (Rhinolophus hipposideros) in Somerset, Gloucestershire und Wales. Eine der Proben enthielt das bislang unbekannte Coronavirus RhGB01. Laut der Forschungsgruppe ist es das erste mal, dass in England ein sogenanntes Sarbecovirus, also ein SARS-verwandetes Coronavirus, in Fledermäusen nachgewiesen wurde.
Stellt das Virus eine Gefahr für Menschen dar?
Die Arbeitsgruppe gibt zunächst Entwarnung für Menschen, solange das Virus nicht in eine entsprechende Richtung mutiert. Der Grund: Obwohl das Virus zu 77 Prozent SARS-CoV-2 und zu 81 Prozent dem ersten SARS-Coronavirus ähnelt, gibt es nach Angaben der Forschenden große Abweichungen in der Rezeptorbindungsstelle, mit der das Virus in Zellen eindringt.
Vorerst Entwarnung
Während die Bindungsstelle bei SARS-CoV-2 fast perfekt auf bestimmte menschliche Rezeptoren ausgelegt ist, besitzt das neue Coronavirus „RhGB01“ Bindungsstellen, die nicht in der Lage zu sein scheinen, an menschliche Zellen zu binden, wodurch das Virus für den Menschen vorerst nicht gefährlich ist. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass das Virus durch Mutation eine solche Fähigkeit erlangt.
Das Risiko für die Entwicklung einer für den Menschen gefährlichen Variante des neuentdeckten Coronavirus würde steigen, wenn RhGB01 mit SARS-CoV-2 interagiert, schätzen die Forschenden. Dies könnte beispielsweise passieren, wenn eine an COVID-19 erkrankte Person mit infizierten Fledermäusen in Kontakt kommt. Jeder, der diesen Fledermäusen oder deren Kot zu nahe kommt, sollte deshalb eine entsprechende Schutzausrüstung tragen.
Hufeisenfledermäuse als Coronavirus-Reservoir
„Hufeisenfledermäuse kommen in ganz Europa, Afrika, Asien und Australien vor und die Fledermäuse, die wir getestet haben, liegen am westlichen Ende ihres Verbreitungsgebietes“, erläutert Professorin Diana Bell, eine Expertin für neu auftretende zoonotische Krankheiten. Ähnliche Viren seien bereits bei anderen Fledermäusen dieser Art in China, Südostasien und Osteuropa gefunden worden.
„Unsere Forschung erweitert sowohl die geografischen als auch die Artbereiche dieser Virustypen und deutet darauf hin, dass sie bei mehr als 90 Arten von Hufeisennasen-Fledermäusen weit verbreitet sind“, unterstreicht die Virus-Expertin.
Coronaviren seit Jahrtausenden in Fledermäusen?
Es sei das erste Mal, dass diese Viren auch bei britischen Fledermäusen nachgewiesen wurden, doch es sei möglich, dass die Viren bereits seit sehr langer Zeit in den Tieren kursieren, wahrscheinlich sogar seit vielen tausend Jahren. Die Viren seien zuvor nicht entdeckt worden, weil niemand die entsprechenden Tests durchgeführt habe.
Ein Schmelztiegel für Mutationen
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die natürliche Verbreitung von Sarbecoviren und die Möglichkeiten der Rekombination durch Zwischenwirte unterschätzt wurden“, ergänzt Professor Andrew Cunningham von der Zoological Society of London. Zwar stelle ein Großteil der Viren für den Menschen keine Gefahr dar, „das Problem ist jedoch, dass jede Fledermaus, die ein SARS-ähnliches Coronavirus beherbergt, als Schmelztiegel für die Mutation des Virus fungieren kann“, verdeutlicht der Professor.
Vorsicht beim Kontakt mit Fledermäusen
Die Verhinderung der Übertragung von SARS-CoV-2 von Menschen auf Fledermäuse und damit die Verringerung der Möglichkeiten zur Virusmutation ist bei der derzeitigen weltweiten Massenimpfkampagne gegen dieses Virus von entscheidender Bedeutung, warnt die Arbeitsgruppe. „Wie alle Wildtiere stellen sie, wenn man sie in Ruhe lässt, keine Bedrohung dar“, gibt Bell abschießend zu bedenken. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- University of East Anglia: NOVEL CORONAVIRUS DISCOVERED IN BRITISH BATS (veröffentlicht: 19.07.2021), uea.ac.uk
- Jack M. Crook, Ivana Murphy, Daniel P. Carter, et al.: Metagenomic identification of a new sarbecovirus from horseshoe bats in Europe; in: Scientific Reports, 2021, nature.com
- Deutsches Ärzteblatt: SARS-CoV-2: Verwandtes Coronavirus bei Fledermäusen in Großbritannien entdeckt (veröffentlicht: 21.07.2021), aerzteblatt.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.