Bestimmte Genmutation schützt vor Herzinfarkt
Menschen mit hohem Lipoprotein(a)-Spiegel haben ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt. Doch eine häufig vorkommende Lp(a)-Genmutation verringert diese Gefahr.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass ein hoher Lipoprotein(a)-Spiegel ebenso wie ein erhöhter LDL-Cholesterinspiegel das Herz-Kreislauf-Risiko steigert. Eine häufig auftretende Lp(a)-Genmutation reduziert dieses Risiko jedoch.
Schutz vor kardiovaskulären Erkrankungen
Laut einer aktuellen Mitteilung ist es einem Forschungsteam um Stefan Coassin und Florian Kronenberg von der Medizinischen Universität Innsbruck gelungen, in einer schwer sequenzierbaren Region des LPA-Gens eine häufige Mutation zu entdecken, die alleine bereits zehn Prozent der Lp(a)-Konzentrationen erklärt und vor kardiovaskulären Erkrankungen schützt. Die Mutation ist die mit dem wahrscheinlich größten Einfluss auf Lipoprotein(a) in der Bevölkerung.
Rund 20 Prozent der Bevölkerung betroffen
Wie es in der Mitteilung heißt, ist Lipoprotein(a) [Lp(a)] ein Bestandteil der Blutfette, hohe Konzentrationen davon werden fast ausschließlich durch ein einziges Gen namens LPA kontrolliert und zählen zu den wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren.
Den Angaben zufolge wurde die Kausalität dieses Zusammenhanges erstmals in den 90er Jahren vom Innsbrucker Humangenetiker und Pionier der Lp(a)-Forschung, Gerd Utermann, nachgewiesen.
Etwa 20 Prozent der Bevölkerung weisen Lp(a)-Spiegel auf, die mit einem erhöhten Infarkt-Risiko einhergehen.
Mutation war bisher übersehen worden
In einer neuen, vor kurzem in der renommierten Fachzeitschrift „Journal of the American College of Cardiology“ veröffentlichten Forschungsarbeit konnte das Team des Instituts für Genetische Epidemiologie unter der Leitung von Stefan Coassin und Florian Kronenberg nun eine Mutation im LPA Gen enttarnen, die durch einen sogenannten Splice-Defekt zur Senkung der Lp(a)-Konzentration führt und damit vor Herzinfarkt und Schlaganfall schützt.
Wie in der Mitteilung erklärt wird, wird unter Splicing (Spleißen: miteinander verbinden, zusammenkleben) ein wichtiger Schritt der Weiterverarbeitung der Ribonukleinsäure (RNA) verstanden.
Die jetzt entdeckte genetische Mutation, ein sogenannter SNP (engl. Single Nucleotide Polymorphism), konnte dank innovativer Technologien in einer schwer zugänglichen Genomregion identifiziert werden.
Mit genetischen Daten von fast einer halben Million Teilnehmenden belegten die Forscherinnen und Forscher zudem, dass die Lp(a)-senkende Mutation das kardiovaskuläre Risiko in der Bevölkerung maßgeblich mitbestimmt und in der Tat bei knapp 40 Prozent der Bevölkerung vorkommt. Die Mutation war bisher aufgrund ihrer schwer zugänglichen Lage übersehen worden.
Noch weiße Flecken auf der genetischen Landkarte
„LPA ist eine typische ‚dark region‘ in der Genomforschung, umso mehr freuen wir uns über die erfolgreiche Spurensuche“, erläutert Molekulargenetiker Stefan Coassin und meint damit, dass sich 60 bis 70 Prozent des Gens in einem Abschnitt – genannt KIV-2 Repeat – befinden, der in einem Menschen einmal und in einer anderen Person bis zu 40 Mal vorhanden sein kann.
Mit herkömmlichen Methoden sind solche, in ihrer Kopienanzahl variablen Sequenzen, nur schwer bis gar nicht im großen Maßstab untersuchbar. Also bleiben auch 20 Jahre nach der ersten Genom-Sequenzierung noch immer viele weiße Flecken auf der genetischen Landkarte.
„Das Spannende dabei ist, dass Lp(a)-Werte zwischen Personen trotz gleicher Kopienanzahl um mehr als das 200-fache schwanken können. Wir wissen, dass dies größtenteils genetisch durch das LPA-Gen bedingt ist, kennen aber die genauen Ursachen dafür nicht“, sagt Stefan Coassin, der die Arbeitsgruppe für komplexe Genomregionen am Institut für Genetische Epidemiologie leitet.
„Mit zunehmendem Einblick in die Relevanz des neuen SNPs wurde dieses Projekt jedenfalls zu einem richtigen Gemeinschaftsprojekt, bei dem alle Dissertantinnen und Arbeitsbereiche des Instituts ineinandergriffen“, erklären Kronenberg und Coassin.
Bereits recht moderate Lp(a)-Senkung reicht aus
Den Angaben zufolge wurde die neue, auf „KIV-2 4733 G>A“ getaufte genetische Variante mittels angepasster Hochdurchsatz-Technologie typisiert und analysiert. „Wir stellten fest, dass die Variante für sich schon rund zehn Prozent der Lp(a)-Varianz in der Bevölkerung erklärt, was für einen einzelnen SNP ein wirklich beträchtlicher Wert ist“, so die Erstautorin und Doktorandin Johanna Schachtl-Rieß, die für die Datenanalyse federführend zuständig war.
Mit der Adaptierung diverser Sequenzierungs- und Genotypisierungsansätze konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Genetischen Epidemiologie vor wenigen Jahren erstmals die Untersuchung von Mutationen in der KIV-2 Region in großen Populationen ermöglichen, sodass bereits 2017 eine Mutation in dieser Region gefunden werden konnte, die eine Senkung des Lp(a)-Spiegels bewirkt.
Die Forschenden um Kronenberg und Coassin standen schließlich vor der Herausforderung, den Lp(a)-senkenden Effekt auch für die Wirkung auf kardiovaskuläre Erkrankungen und damit dessen klinische Relevanz belegen zu können.
Eine Voraussetzung dafür sind große Studien mit zehntausenden Menschen. In diesem Fall wurde die zuerst in 5.000 Proben der GCKD (German Chronic Kidney Disease) Studie identifizierte neue Variante schließlich auch in den genetischen Daten der UK Biobank – mit mehr 460.000 Teilnehmenden eine der größten genetisch-epidemiologischen Studien der Welt – untersucht.
Die Analysen ergaben, dass die durch diese Mutation bedingte, insgesamt doch noch recht moderate Lp(a)-Senkung um etwa 14 mg/dL schon ausreicht, um das kardiovaskuläre Risiko um neun Prozent herabzusetzen. Das untermauert den starken Einfluss von Lp(a) auf das Risiko für Herz- Kreislauferkrankungen.
Derzeit werden spezifische Medikamente, die das Blutfett Lp(a) senken, in Phase III-Studien getestet, das ideale Ausmaß der Lp(a)-Senkung wird jedoch noch immer kontrovers diskutiert. „Unsere Ergebnisse sind ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur zielgerichteten Risikominimierung“, sagt Kronenberg. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Medizinische Universität Innsbruck: Häufige Lp(a)-Genmutation reduziert Herzinfarkt-Risiko, (Abruf: 28.07.2021), Medizinische Universität Innsbruck
- Johanna F. Schachtl-Riess, Azin Kheirkhah, Rebecca Grüneis, Silvia Di Maio, Sebastian Schoenherr, Gertraud Streiter, Jamie Lee Losso, Bernhard Paulweber, Kai-Uwe Eckardt, Anna Köttgen, Claudia Lamina, Florian Kronenberg, Stefan Coassin & GCKD Investigators: Frequent LPA KIV-2 Variants Lower Lipoprotein(a) Concentrations and Protect Against Coronary Artery Disease; in: Journal of the American College of Cardiology, (veröffentlicht: 26.07.2021), Journal of the American College of Cardiology
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.