Nebenschilddrüsenmedikament nicht mehr erhältlich
Die Nebenschilddrüsen produzieren das Hormon Parathormon, das den Kalziumhaushalt im Körper steuert. Für seine Aufgaben benötigt das Nebenschilddrüsen-Hormon Vitamin D. Viele Menschen mit einer Nebenschilddrüsen-Unterfunktion nehmen daher ein Vitamin D-Derivat ein. Doch ein solches Standardmedikament ist nun nicht mehr erhältlich.
Patientinnen und Patienten, die an einer Unterfunktion der Nebenschilddrüsen, dem sogenannten Hypoparathyreoidismus, leiden, müssen oft das Vitamin D-Derivat Dihydrotachysterol (Handelsname AT10® oder Tachystin®) als Kalziumregulator einnehmen. Doch das bewährte und preiswerte Medikament wurde im Juli 2021 vom Markt genommen und ist jetzt nicht mehr erhältlich.
Anspruchsvolle Umstellung
Wie die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE) in einer aktuellen Mitteilung schreibt, ist die Umstellung auf andere Medikamente durchaus anspruchsvoll, weil die Dosierung, der Wirkungsbeginn und die Wirkungsdauer der Alternativen sehr unterschiedlich zu Dihydrotachysterol sind.
Daher rät die DGE allen betroffenen Patientinnen und Patienten, umgehend einen Termin mit ihrer Hausärztin oder ihrem Hausarzt beziehungsweise Endokrinologin oder Endokrinologen zur rechtzeitigen Umstellung der Therapie zu vereinbaren.
So soll ein sanfter Übergang ermöglicht und Komplikationen vermieden werden.
Parathormon reguliert den Kalziumstoffwechsel
Die Nebenschilddrüsen, die aus vier linsengroßen Drüsen bestehen, die außen an der Schilddrüse liegen, produzieren das Parathormon (PTH). Dieses reguliert den Kalziumstoffwechsel im Körper. Der Organismus benötigt Kalzium für den Knochen- und Zahnaufbau, die Nerven- und Muskelfunktion und für die Blutgerinnung.
Typische Beschwerden, die auf eine Unterfunktion hindeuten können, sind unter anderem leichtes Zittern, Gefühlsstörungen bis hin zu Muskelkrämpfen (Tetanie).
„Die häufigste Ursache des Hypoparathyreoidismus ist die versehentliche Schädigung der Nebenschilddrüsen im Zuge einer Schilddrüsenoperation“, erklärt Professorin Dr. med. Heide Siggelkow, Ärztliche Leiterin MVZ Endokrinologikum Göttingen, Zentrum für Hormon- und Stoffwechselerkrankungen, Nuklearmedizin und Humangenetik.
Stabile Einstellung des Vitamin-D-Spiegels
Den Angaben zufolge kommt es in Deutschland in etwa ein bis sechs Prozent der Fälle nach einer operativen Schilddrüsenentfernung zu einem dauerhaften Hypoparathyreoidismus. Doch auch Autoimmunerkrankungen gehören zu den Auslösern der Störung.
„Die Behandlung der Nebenschilddrüsenunterfunktion besteht in der Normalisierung des Kalziumspiegels, etwa durch die Gabe von Calcium- und Vitamin-D-Präparaten“, erläutert Siggelkow.
Die dafür oft eingesetzten Vitamin D-Derivate wie Dihydrotachysterol wirken lange im Körper. Deshalb eignen sie sich für eine stabile Einstellung des Vitamin-D-Spiegels. Aber bei etwaigen Störungen der Nierenfunktion können sie auch eher zu Komplikationen führen.
Umstellung kann unterschiedlich verlaufen
„Als Alternativsubstanzen kommen Calcitriol – 1,25 Vitamin D beziehungsweise Vitamin D3 – sowie Alfacalcidol infrage“, sagt die Endokrinologin. Aber die Wirkdauer dieser Pharmazeutika sei deutlich kürzer: „Während Dihydrotachysterol 21 Tage wirksam ist, sind es bei den anderen Medikamenten nur drei bis sieben Tage.“
Auch könne die Umstellung bei den Betroffenen unterschiedlich verlaufen. Die Medizinerin empfiehlt, zunächst das Dihydrotachysterol abzusetzen und für eine Woche keine neue Medikation zu geben. Nach Ablauf dieser Zeit könne dann auf das entsprechende Ersatz-Präparat gewechselt werden.
Laut der Expertin seien Messungen von Parathormon, Vitamin D und 1,25 Vitamin D in dieser Phase nicht notwendig. Es sollten aber in jedem Fall Calcium, Calcium adaptiert für Albumin, Phosphat, Kreatinin und Magnesium überprüft werden.
„Eine ausführliche Kontrolle nach Umstellung der Medikation ist dann im weiteren Verlauf erforderlich: Hier sollte dann die Kalziumausscheidung unter der geänderten Medikation überprüft und die entsprechende Medikation gegebenenfalls angepasst werden.“
Die Medikamentendosis müsse individuell für jede Patientin und jeden Patienten durch Kontrolle des Kalziumspiegels im Blut ermittelt werden.
Vorrat an Dihydrotachysterol überprüfen
„Patienten sollten nun ihren Vorrat an Dihydrotachysterol überprüfen und rechtzeitig einen Termin mit ihrem Arzt ausmachen, damit die Umstellung auf ein Ersatzpräparat reibungslos verläuft“, rät DGE-Mediensprecher Professor Dr. med. Stephan Petersenn von der ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg.
Der Experte fügt an: „Bei Patienten, die mit einem hochdosierten Vitamin D-Präparat nicht komplikationslos einstellbar sind, besteht zudem die Möglichkeit, gentechnologisch hergestelltes Parathormon zu verabreichen.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie: Unterfunktion der Nebenschilddrüsen: Standardmedikament AT10®/Tachystin® nicht mehr erhältlich – Therapie rechtzeitig umstellen, (Abruf: 01.08.2021), Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.