Blutvergiftung: Neue Strategie gegen bakterielle Sepsis
Eine Sepsis (Blutvergiftung) kann als lebensbedrohliche Komplikation bei verschiedenen Infektionskrankheiten entstehen. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Erkrankung weltweit an jedem fünften Todesfall Schuld. Forschende aus Deutschland berichten nun über einen neuen Therapieansatz, der ohne Antibiotika auskommt.
Kaum eine Krankheit wird so unterschätzt wie die Blutvergiftung (medizinisch: Sepsis). Sie kann innerhalb weniger Stunden tödlich verlaufen und ist eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Betroffene werden häufig mit Antibiotika behandelt. Ein neuer Therapieansatz macht die Behandlung auch ohne solche Medikamente möglich.
Körpereigene Immunabwehr wird angeregt
Wie das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) in einer aktuellen Mitteilung schreibt, verlaufen manche Blutvergiftungen mild, viele haben jedoch einen tödlichen Ausgang – die Gründe für diese Unterschiede sind trotz jahrzehntelanger Forschung im Dunkeln geblieben.
Forschende der Universität Tübingen und des DZIF haben jetzt eine mögliche Ursache entdeckt und auf dieser Grundlage eine neue experimentelle Strategie zur Bekämpfung der bakteriellen Sepsis entwickelt.
Den Angaben zufolge kommt der Therapieansatz gegen die lebensbedrohliche Blutvergiftung ohne den Einsatz von Antibiotika aus und setzt stattdessen auf die Anregung der körpereigenen Immunabwehr durch Gabe des Wirkstoffs Acetat.
Verlauf wurde deutlich verbessert
Als Folge einer lokalen Infektion kann es zum Eindringen von Bakterien in die Blutbahn kommen, was zu einer lebensbedrohlichen Sepsis und einem septischen Schock mit Organversagen führen kann.
Zu den häufigsten Verursachern einer solchen Blutvergiftung gehören Methicillin-resistente Staphylococcus aureus-Bakterien (MRSA), welche gegen viele der gängigen Antibiotika Resistenzen gebildet haben.
Das Forschungsteam unter der Leitung von Professor Andreas Peschel sowie Dr. Dorothee Kretschmer konnte zeigen, dass die körpereigene Immunabwehr gegenüber Staphylokokken durch Gabe des Essigsäuresalzes Natrium-Acetat gestärkt wird, so dass der Körper besser mit der schweren Infektion fertig werden kann.
Laut der Mitteilung wurde in Experimenten mit Mäusen, die über das Trinkwasser oder eine Injektion Acetat erhielten, der Verlauf einer bakteriellen Sepsis deutlich verbessert.
Bakterium konnte sich weniger gut vermehren
Eine bakterielle Infektion wird vom menschlichen Körper durch weiße Blutkörperchen bekämpft. Die häufigsten weißen Blutkörperchen in unserem Blutkreislauf sind sogenannte neutrophile Granulozyten, die Krankheitserreger erkennen, aufnehmen und zerstören können.
Neutrophile besitzen auf ihrer Oberfläche verschiedene Mustererkennungsmoleküle, Rezeptoren, an die bakterienspezifische Komponenten binden und so die Anwesenheit von Bakterien signalisieren.
Eine solche Komponente ist Acetat, das von vielen Bakterien gebildet wird, vor allem von Infektionserregern wie Staphylococcus aureus sowie von Darmbakterien beim Verdauen der Nahrung. Acetat wird von dem Rezeptor GPR43 auf den Neutrophilen erkannt.
„Wir konnten in unserer Studie zum ersten Mal eingehend untersuchen, welche Auswirkungen die Bindung des Acetats an Neutrophile hat. Es scheint ein Verstärker zu sein, der die Granulozyten sozusagen aufweckt und in Alarmbereitschaft versetzt“, erläutert Dorothee Kretschmer.
„Acetat wirkt über die Aktivierung des GPR43-Rezeptors regulatorisch, sodass eine adäquate und zielgerichtete körpereigene Immunantwort auf mehreren Ebenen stattfinden kann.“
Wenn Granulozyten bereits vor einer Infektion in Alarmbereitschaft versetzt werden, können sie effektiver auf die eindringenden Krankheitserreger reagieren. Sie wandern dann schneller aus dem Blut zum Infektionsort, nehmen mehr Bakterien auf und produzieren sogenannte Sauerstoffradikale, die die Erreger abtöten.
Das führte dazu, dass sich die Bakterien bei einer anschließenden Sepsis durch das Bakterium Staphylococcus aureus weniger gut vermehren und in den Organen verteilen konnten.
Verträglichkeit bereits erwiesen
In Experimenten belegten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass eine Acetat-Injektion oder die Gabe von Acetat-haltigem Trinkwasser bei Mäusen zu einer verbesserten Immunantwort führt.
„Bei einer anschließenden Sepsis durch Infektion mit Staphylokokken konnten die Bakterien schneller und effizienter abgetötet und so ein tödlicher Verlauf verhindert werden“, so Kretschmer.
Die Tiere seien rascher genesen, was unter anderem an einer schnelleren Gewichtszunahme zu erkennen gewesen sei. „Interessanterweise konnten wir denselben Effekt beobachten, wenn wir das Acetat erst nach Beginn der Sepsis verabreichten“, sagt die Erstautorin der Studie Katja Schlatterer vom beteiligten Exzellenzcluster CMFI. „Dies führte in gleicher Weise zu einer verbesserten Immunantwort und Infektionsabwehr.“
Die Forschenden halten es für denkbar, dass Acetat beim Menschen sowohl vorbeugend als auch zur Behandlung einer Sepsis zum Einsatz kommen könnte. Acetat fände bereits Anwendung im klinischen Bereich, beispielsweise als Säure-Basen-Regulator in Infusionen, die bei Flüssigkeitsverlust gelegt werden. Somit sei die Verträglichkeit beim Menschen bereits erwiesen.
An der Studie, die in dem Fachmagazin „Communications Biology“ veröffentlicht wurde, waren Forscherinnen und Forscher des Exzellenzclusters „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ (CMFI), des Interfakultären Instituts für Mikrobiologie und Infektionsforschung an der Universität Tübingen (IMIT) sowie des DZIF beteiligt. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsches Zentrum für Infektionsforschung: Tübinger Forschungsteam entwickelt neue Strategie gegen Sepsis, (Abruf: 02.08.2021), Deutsches Zentrum für Infektionsforschung
- Katja Schlatterer, Christian Beck, Ulrich Schoppmeier, Andreas Peschel & Dorothee Kretschmer: Acetate sensing by GPR43 alarms neutrophils and protects from severe sepsis; in: Communications Biology, (veröffentlicht: 30.07.2021), Communications Biology
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.