Darmkrebs: Bessere Vorhersage des Erkrankungsrisikos
Darmkrebs gehört zu den häufigsten Krebserkrankungen in Deutschland. Tückisch ist, dass der Tumor zum Zeitpunkt der Diagnose meist schon seit Jahren unbemerkt im Darm des Erkrankten wächst. Doch Forschende berichten nun über eine Möglichkeit, das Erkrankungsrisiko besser vorhersagen zu können.
Wie das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in einer aktuellen Mitteilung berichtet, lässt sich über die Bestimmung von sieben Mikro-RNAs (miRNAs) im Blut das Risiko für Darmkrebs besser vorhersagen als mit herkömmlichen Methoden – bereits viele Jahre vor der Diagnose. In einer Studie konnten Forschende vom DKFZ und vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg zeigen, dass das miRNA-Profil eine höhere Vorhersagekraft als genetische oder Lebensstil-basierte Verfahren zur Risikostratifizierung hat. Das könnte helfen, die Darmkrebsvorsorge künftig gezielter einzusetzen.
Vorsorge wird oft nicht wahrgenommen
Darmkrebs kann deutlich besser als andere Krebsarten durch konsequente Früherkennung verhütet werden. Mit der Vorsorge-Darmspiegelung steht eine Technik zur Verfügung, um Darmtumoren und ihre Vorstufen frühzeitig zu identifizieren und bei der Untersuchung auch gleich zu entfernen.
Ab dem Alter von 50 Jahren (bei Männern) beziehungsweise 55 Jahren (bei Frauen) übernehmen die Krankenkassen eine Vorsorge Darmspiegelung.
„Allerdings wird die invasive Untersuchung längst nicht von allen Berechtigten wahrgenommen, und noch immer trifft die Diagnose Darmkrebs jedes Jahr fast 60.000 Menschen in Deutschland“, sagt Hermann Brenner vom DKFZ und NCT.
„Die Darmkrebs-Vorsorge könnte möglicher Weise viel effektiver und gezielter eingesetzt werden, wenn wir die Möglichkeit hätten, das persönliche Erkrankungsrisiko mit einem Biomarker einzuschätzen.“
Individuelles Erkrankungsrisiko genauer ermitteln
In den letzten Jahren haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits genetische sowie Lebensstil-basierte Risikoprofile entwickelt, deren Vorhersagekraft allerdings bislang begrenzt war.
Ein Forschungsteam um Brenner hat jetzt ein neues, vielversprechendes Verfahren publiziert, mit dem das individuelle Erkrankungsrisiko einer Person genauer als bislang ermittelt werden konnte. Die Methode basiert auf der Messung sogenannter Mikro-RNAs im Blutserum.
Wie in der Mitteilung erklärt wird, bestehen Mikro-RNAs, kurz miRNAs, aus nur 20 bis 25 Nukleotidbausteinen. Sie enthalten keinen Bauplan für Proteine, sondern sie steuern eine Vielzahl an Zellfunktionen. Viele miRNAs werden in das Blut abgegeben.
Inzwischen sind schon über tausend verschiedene dieser erst in den 1990er Jahren entdeckten Moleküle bekannt. miRNAs kontrollieren auch zahlreiche zelluläre Prozesse, die die Krebsentstehung beeinflussen.
Deswegen wird derzeit intensiv untersucht, ob bestimmte miRNA-Expressionsmuster mit dem Auftreten bestimmter Krebsarten in Verbindung stehen und damit sogar eine Vorhersage des Erkrankungsrisikos ermöglichen können.
Panel von sieben miRNAs identifiziert
Das Forschungsteam um Brenner konnte jetzt ein Panel von sieben miRNAs identifizieren, das eng mit dem Auftreten von Darmkrebs korrelierte. Dazu wurden zunächst insgesamt 41 miRNA-Kandidaten anhand der Literatur und eigener Vorarbeiten ausgewählt.
In einem zweiten Schritt prüften die Forschenden diese Moleküle im Serum von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der ESTHER-Studie, einer großen Längsschnittstudie, die sie seit dem Jahr 2000 in enger Kooperation mit dem Krebsregister Saarland durchführen.
Insgesamt 198 der fast 10.000 ESTHER-Teilnehmenden waren innerhalb von 14 Jahren nach der Blutentnahme an Darmkrebs erkrankt.
Durch den Vergleich mit krebsfreien Probandinnen und Probanden konnte ein Risikoscore ermittelt werden, der am engsten mit dem Auftreten von Darmkrebs in Beziehung stand.
Weitaus bessere Vorhersagekraft
Aber wie verhält es sich mit der Vorhersagekraft von miRNA-Panels im Vergleich zu anderen Methoden?
Die Forscherinnen und Forscher verglichen das neue Verfahren mit dem bisher aussagekräftigsten genetischen Risikoscore, der auf 140 sogenannten Einzelnukleotid-Polymorphismen basiert, sowie mit einem Lebensstil-basierten Risikoprofil, das unter anderem Rauchverhalten, Körpergewicht oder den Grad der körperlichen Aktivität berücksichtigt.
Dabei zeigte sich, dass das miRNA Panel das individuelle Erkrankungsrisiko deutlich besser voraussagen konnte als die beiden anderen Verfahren. So hatten Studienteilnehmende mit den höchsten Werten des miRNA Risikokoscores (höchste 20 Prozent) ein etwa 20-fach höheres Risiko im Vergleich zu Personen mit den niedrigsten Werten (niedrigste 20 Prozent).
Für den genetischen Risikoscore ergab sich bei einem entsprechenden Vergleich ein weitaus geringerer, nur etwa vierfacher Unterschied.
Aussagekräftiger Biomarker
„Die besondere Stärke unserer Studie ist die lange Laufzeit von inzwischen 14 Jahren“, erläutert Janhavi Raut, die Erstautorin der aktuellen, in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlichten Arbeit.
„Die Blutproben der Teilnehmer wurden bereits viele Jahre vor der Darmkrebs-Diagnose gewonnen. Unsere Daten zeigen, dass die Änderungen im miRNA-Profil der Erkrankung um Jahre vorausgehen können“, so die Wissenschaftlerin.
„Das miRNA-Panel ist eine vielversprechende Möglichkeit, das individuelle Darmkrebsrisiko besser abzuschätzen als das mit bisher verfügbaren Methoden möglich war. Wenn sich die Vorhersagekraft in unabhängigen Studien mit langer Laufzeit bestätigen lässt, hätten wir einen aussagekräftigen Biomarker zur Verfügung, der die Darmkrebsvorsorge entscheidend verbessern könnte“, sagt Studienleiter Hermann Brenner. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsches Krebsforschungszentrum: Mikro-RNAs im Blut geben Auskunft über Darmkrebsrisiko, (Abruf: 17.08.2021), Deutsches Krebsforschungszentrum
- Janhavi R. Raut, Ben Schöttker, Bernd Holleczek, Feng Guo, Megha Bhardwaj, Kaya Miah, Petra Schrotz-King & Hermann Brenner: A microRNA panel compared to environmental and polygenic scores for colorectal cancer risk prediction; in: Nature Communications, (veröffentlicht: 10.08.2021), Nature Communications
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.