Kaiserschnitt: Erhöhtes Risiko für Atemwegserkrankungen?
In Deutschland werden etwa 30 Prozent aller Kinder durch einen Kaiserschnitt (lateinisch Sectio caesarea, manchmal auch nur kurz „Sectio“ genannt) geboren. Frühere Untersuchungen haben darauf hingedeutet, dass Kinder, die auf diese Weise zur Welt gekommen sind, ein erhöhtes Risiko für Atemwegserkrankungen haben. Eine neue Studie zeigt jedoch, dass diese Gefahr offenbar nicht besteht.
Eine umfangreiche Langzeitstudie geleitet durch Forschende des Inselspitals, Universitätsspital und der Universität Bern konnte keine erhöhten Risiken für Atmungsprobleme nach Kaiserschnittgeburt ermitteln. Die im „American Journal of Obstetrics and Gynecology“ veröffentlichte Arbeit weist für Kaiserschnittgeborene weder nach einem Jahr noch nach sechs Jahren vermehrt auftretende Erkrankungen des Atmungssystems nach.
Langzeit-Untersuchungen sind noch spärlich
Laut einer aktuellen Mitteilung des Universitätsspitals Bern kommen in der Schweiz etwa 33 Prozent aller Neugeborenen per Kaiserschnitt zur Welt. In entwickelten Ländern liegt dieser Wert zwischen 20 und 40 Prozent.
Mehrere Studien haben einen Zusammenhang zwischen der Geburt per Sectio und dem Auftreten eines erhöhten Risikos für spätere Atemprobleme festgestellt. Langzeit-Untersuchungen bei älteren Kindern sind aber noch spärlich, wobei ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Allergien und Erkrankungen des Atmungssystems postuliert wird.
Es wird angenommen, dass weitere Faktoren, die die Entwicklung des Mikrobioms und des Immunsystems des Neugeborenen beeinflussen, eine große Rolle spielen.
Hier werden der Kontakt mit dem Mikrobiom der Mutter im Geburtskanal, jedoch auch der Zeitpunkt und die Art des Einsatzes von Antibiotika unter der Geburt, sowie epigenetische Effekte von Stress unter der Geburt erwähnt.
Überraschende Ergebnisse
Deshalb hat die Forschungsgruppe der Kinderklinik am Inselspital erstmals eine sehr eingehende und systematische Untersuchung von Erkrankungen des Atmungssystems bei einer Gruppe von Kindern in zwei Altersabschnitten vorgenommen: Während des ersten Lebensjahrs sowie nach sechs Jahren.
Die Ergebnisse überraschen: bereits im ersten Lebensjahr konnte kein Zusammenhang zwischen Kaiserschnitt-Geburten und Erkrankungen des Atmungssystems mehr nachgewiesen werden.
Den Angaben zufolge wiesen die Lungenfunktionen von Kindern nach Normalgeburt und nach Kaiserschnitt keinen Unterschied auf, weder sechs Wochen nach Entbindung noch nach sechs Jahren.
Hohe Aussagekraft
Die Studie schloss 578 gesunde Termingeborene aus der BILD-Kohorte (Basel Bern Infant Lung Development Cohort) ein. Während des ersten Lebensjahres wurden wöchentlich detailliert die Symptome von Atemwegserkrankungen erhoben, sowie im Alter von sechs Wochen eine Lungenfunktion durchgeführt.
Nach sechs Jahren wurden die Lungenfunktion und erworbene Erkrankungen des Atmungssystems und die Allergieneigung erhoben.
Laut den Fachleuten ist eine solche Längsstudie über sechs Jahre bisher einzigartig in der Tiefe und der Breite der beobachteten Parameter. Daher wird die Aussagekraft der Resultate als hoch eingestuft.
Keine voreiligen Schlüsse
„Wir können zum jetzigen Zeitpunkt nur Aussagen über die Gruppe von Kindern machen, die wir studiert haben. Es gilt auch zu berücksichtigen, dass die Anzahl Kinder mit Asthmasymptomen relativ klein ist“, so die Studienleiterin PD Dr. med. Sophie Yammine.
„Daher ist Vorsicht vor voreiligen Schlüssen angebracht. Was wir aber feststellen können, und das hat durchaus Relevanz für die Geburtsberatung, sind die fehlenden Unterschiede zwischen Normalgeborenen und per Kaiserschnitt geborenen Kindern“, sagt die Oberärztin der Kinderklinik.
„Schon nach einem Jahr und erst recht nach sechs Jahren waren in der untersuchten Gruppe die möglichen Nachteile durch Kaiserschnitt vollständig kompensiert worden. Es konnte kein erhöhtes Risiko für Erkrankungen des Atmungssystems und für Allergien für Kaiserschnittgeborene nachgewiesen werden.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universitätsspital Bern: Kaiserschnittgeburt: Kein erhöhtes Risiko für Atemwegserkrankungen, (Abruf: 29.08.2021), Universitätsspital Bern
- Salem Y, Oestreich M-A, Fuchs O, Usemann J, Frey U, Surbek D, Amylidi Mohr S, Latzin P, Ramsey K, Yammine S, on behalf of the BILD study group: Are children born by cesarean section at higher risk for respiratory sequelae?; in: American Journal of Obstetrics and Gynecology, (veröffentlicht: 29.07.2021), American Journal of Obstetrics and Gynecology
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.