COVID-19: Immunität nach Genesung hält länger als gedacht
Bei einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bildet der Körper Antikörper, die den Erreger bekämpfen können. Es ist jedoch noch nicht eindeutig geklärt, wie lange dieser Immunschutz anhält. Wie Forschende aus Österreich nun berichten, bleiben Menschen, die von COVID-19 genesen sind, länger geschützt als erwartet.
Millionen Menschen weltweit haben sich bereits mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 angesteckt und die durch das Virus ausgelöste Erkrankung COVID-19 überstanden. Viele von ihnen hoffen, dass sie dadurch jetzt immun gegen das Virus sind. Nun gibt es neue Erkenntnisse zur Beständigkeit der Immunität.
Inzidenzzahlen nach Impfstatus aufgeschlüsselt
Laut einer aktuellen Mitteilung der Technischen Universität (TU) Wien arbeitet das Team rund um Niki Popper (TU Wien / dexhelpp) bereits seit Beginn der Corona-Pandemie daran, ihre Simulationsmodelle laufend zu verbessern.
Seit Juli stehen in Österreich wichtige neue Daten zur Verfügung: Die Inzidenzzahlen werden aufgeschlüsselt nach Impfstatus bekannt gegeben (doppelt geimpft, einfach geimpft oder ungeimpft) und beinhalten auch Informationen über Reinfektionen.
Dies bedeutet für die Computersimulationen einen wichtigen Sprung nach vorne: Parameter, die bisher nur auf Basis wissenschaftlicher Literatur abgeschätzt werden konnten, werden nun zugänglich.
So kann etwa im Simulationsmodell die Dauer der Immunität nach einer Genesung angepasst werden, um zu sehen, bei welchem Wert das Modell mit der Realität am besten übereinstimmt.
Diese Berechnungen weisen stark darauf hin, dass Genesene im Mittel deutlich länger gegen das Virus immun sind als die 180 Tage, von denen bisher ausgegangen wurde. Das ändert jedoch nichts daran, dass auch für Genesene eine Impfung den Schutz noch weiter erhöht.
Dunkelziffer abschätzen
„Es gibt ganz unterschiedliche Methoden, eine Pandemie wissenschaftlich zu beschreiben“, so Niki Popper.
„Man kann die Daten statistisch auswerten und daraus Prognosen ableiten. Man kann Formeln aufstellen, mit denen man aus den Infektionszahlen von heute auf die Infektionszahlen von nächster Woche schließen kann. Unser Zugang ist ein ganz anderer: Wir verwenden ein agentenbasiertes Modell.“
Bei einem solchen Modell werden einzelne virtuelle Menschen am Computer simuliert, wie sie auf andere Personen treffen, einander mit gewissen Wahrscheinlichkeiten anstecken oder sich impfen lassen.
Das hat Vor- und Nachteile: Einerseits ist ein solches Modell sehr komplex, und es enthält eine große Zahl von Parametern, die zuerst festgelegt werden müssen. Andererseits können mit einem solchen Modell auch Fragen beantwortet werden, die mit anderen Methoden nur schwer oder gar nicht zugänglich sind.
So kann etwa abgeschätzt werden, wie hoch die Dunkelziffer in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sein muss.
Wie viele Menschen sind tatsächlich geschützt?
„Besonders wichtig ist derzeit die Frage, wie viele Menschen tatsächlich vor einer Infektion geschützt sind“, sagt Niki Popper. „Einerseits gibt es immer Geimpfte, bei denen die Impfung nicht richtig gewirkt hat, andererseits gibt es Ungeimpfte, die bereits infiziert waren und ohne es zu wissen bereits immun sind.“
Werden Geimpfte und Genesene addiert, kommt man auf ungefähr 70 Prozent der Gesamtbevölkerung in Österreich. Der Anteil der derzeit gegen das Virus wirksam immunen Menschen hingegen dürfte laut Modell bei unter 55 Prozent liegen.
Das dämpft die Ausbreitung in gewissen Bereichen, ist dem Experten zufolge aber natürlich immer noch zu wenig, „um eine Ausbreitung der Pandemie endgültig zu verhindern. Wer noch nicht geimpft ist, sollte sich daher auf jeden Fall impfen lassen“, so Popper.
Mittlere Immunitätsdauer von etwa einem Jahr
Ein besonders interessantes Ergebnis zeigt sich, wenn die Inzidenzzahlen in der Gruppe der Genesenen analysiert werden: „Bisher ging man davon aus, dass Genesene ihren Immunschutz nach ungefähr einem halben Jahr verlieren“, erläutert Niki Popper.
„Wenn wir das in unser Modell so einbauen, dann bekommen wir aber eine viel höhere Zahl von genesenen Neuinfizierten als man in der Realität beobachtet. Dieser Parameter konnte daher so nicht stimmen.“
Wenn untersucht wird, in welchem Parameterbereich Simulation und Realität übereinstimmen, kommt man, im Mittel, nach einer überstandenen COVID-19-Infektion auf eine Immunitätsdauer von etwa einem Jahr.
„Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Genesene ein Jahr geschützt ist“, so der Wissenschaftler, „viele werden ihre Immunität bereits früher verlieren, viele auch erst viel später. Jedenfalls sollte man sich auch dann impfen lassen, wenn man zu den Genesenen gehört, dadurch wird der Schutz deutlich verbessert.“
Durch das Modell wird aber auch klar bestätigt, dass die erste Impfdosis gegen die Delta-Variante nicht viel nützt: Einfach Geimpfte infizieren sich demnach fast genauso häufig wie Ungeimpfte.
„Auf diese Weise generiert unser Modell also interessante Hypothesen, die man nun virologisch testen kann“, sagt Popper. „Und auch für die Politik sind diese Zahlen wichtig, etwa wenn man über 2G- oder 3G-Maßnahmen diskutiert. Und aktuell können wir so abschätzen, dass wir nicht mehr weit von der Lösung entfernt sind – aber noch ein kleines Stück.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Technische Universität Wien: COVID-19-Modellrechnungen: Genesene bleiben lange geschützt, (Abruf: 21.09.2021), Technische Universität Wien
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.