Altersforschung: Kann die Zellalterung gestoppt werden?
Unsere Zellen altern ein Leben lang und sterben dann irgendwann ab. Mit den Zellen altert auch der Mensch. Bekannt ist, dass der Alterungsprozess von Zellen verlangsamt werden kann. Lässt sich die Zellalterung aber auch stoppen?
Welche Veränderungen durchlebt der Organismus, während wir altern? Laut einem aktuellen Beitrag von „scilog“, dem Magazin des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung), haben es sich die Biotechnologen Johannes Grillari und Markus Schosserer zur Aufgabe gemacht, dem gesunden Altwerden auf Zellebene auf die Spur zu gehen. Inzwischen ist es ihnen gelungen, das Leben von Fliegen, Würmern sowie Hefezellen zu verlängern und gleichzeitig deren Fitness zu steigern. Das gelang durch Veränderungen an den Ribosomen.
Verlängerung der Lebens- und Gesundheitsspanne
Noch vor rund 100 Jahren wurden die Menschen durchschnittlich gerade einmal 50 Jahre alt. Mittlerweile erleben immer mehr ihren hundertsten Geburtstag. Die steigende Lebenserwartung kann als große Erfolgsgeschichte der Menschheit betrachtet werden, doch sie bringt auch Herausforderungen mit sich.
Denn im Laufe der Jahre verursachen körpereigene Vorgänge sowie Umweltfaktoren zunehmend Veränderungen in den Zellen. Diese Veränderungen bilden wiederum den Nährboden für altersassoziierte Erkrankungen wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Osteoporose und Krebs.
Besonders physiologischer und oxidativer Stress – beispielsweise durch UV-Strahlung oder freie Radikale – beschleunigen die Zellalterung. Genau darin liegt das Forschungsgebiet von Johannes Grillari und Markus Schosserer vom Institut für Molekulare Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur Wien.
Die beiden Wissenschaftler haben sich drei Jahre lang im Zuge eines vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekts der Rolle von spezialisierten Ribosomen in der Zellalterung gewidmet. Dabei wirkten auch Forschungsteams aus Deutschland sowie der Schweiz mit.
„Wir vermuteten, dass ein komplexer Prozess wie Alterung Einfluss auf die Struktur und Zusammensetzung der Ribosomen hat. Und auch umgekehrt, dass verschieden aufgebaute Ribosomen positive wie negative Effekte auf Zellen während des Alterns ausüben“, erläutert Johannes Grillari die Anfänge der Forschung.
Ihre Ergebnisse haben diese Vermutung bestätigt. Den Forschenden ist es tatsächlich gelungen, durch gezielte Manipulation der Ribosomen die Lebens- und Gesundheitsspanne von Modellorganismen (Hefe, Fadenwurm und Fruchtfliege) zu verlängern.
Spezialisierte Ribosomen helfen der Zelle
Wie in dem Beitrag erklärt wird, gibt es in den Zellen eines Organismus molekulare Maschinen, die Erbinformation dekodieren und dann anhand dieser Baupläne Eiweißstoffe (Proteine) herstellen können. Diesen Ablauf kann man sich ähnlich wie bei einem 3-D-Drucker vorstellen.
„In den letzten Jahren wurde klar, dass dies kein starrer Prozess ist, sondern Ribosomen spezielle Proteine abhängig von den Bedingungen der Umgebung erzeugen. Darüber wussten wir lange nichts“, so Schosserer.
Wenn sich also ein Ribosom, welches aus tausenden Bausteinen besteht, nur in einem Baustein ändert, so ist es ein spezialisiertes Ribosom geworden. Diese spezialisierten Ribosomen helfen der Zelle, schnell auf Einflüsse von außen zu reagieren.
Auch die Fitness wurde besser
Über 200 verschiedene Modifikationen alleine eines Bausteins der Ribosomen sind möglich. Die Wissenschaftler haben sich drei davon angesehen. „Es würde zwar bereits die technischen Möglichkeiten geben, um alle Modifikationen zu untersuchen, wir mussten uns aber wegen des finanziellen Aufwands auf drei beschränken.“
Es zeigte sich, dass winzige Schalter auf den molekularen Komplexen das Altern von Hefe, Fadenwurm und Fruchtfliege positiv beeinflussen können, da dadurch die Synthese spezieller Eiweißstoffe angekurbelt wird, die für Organismen in Stresssituationen notwendig sind.
„Wenn man bei Fliegen, Würmern und Hefe einen Eiweißstoff namens NSUN-5 entfernt oder vermindert, erhöht sich deren durchschnittliche Lebensspanne um bis zu 20 Prozent“, erklärt Schosserer.
Es verlängerte sich jedoch nicht nur die Lebensspanne, auch die Fitness wurde besser. Bei Würmern und Fliegen zeigte sich dies etwa in mehr Beweglichkeit, bei Hefe durch höhere Resistenz gegen oxidativen Stress. Ein ähnlicher Eiweißstoff namens NSUN-1 wirkt sich laut den Fachleuten ebenfalls auf Alterungsprozesse in Fadenwürmern aus.
„Wobei wir diesen positiven Effekt nur bei Organismen im höheren Alter feststellen konnten“, sagt Schosserer. „Nach einer Modifikation von NSUN-1 in jungen Jahren beobachteten wir hingegen in Folge verringerte Fruchtbarkeit.“
Aussagekräftige Ergebnisse
Und wie aussagekräftig sind Ergebnisse bei Hefe, Fliegen und Fadenwürmern für den menschlichen Organismus? „In einem laufenden und vom FWF geförderten Nachfolgeprojekt scheint ein Mausmodell diese Experimente zu bestätigen. Ich würde sagen, die Ergebnisse sind aussagekräftig“, so Schosserer.
Für die Praxis könnte das eines Tages neue Interventionen für Patientinnen und Patienten bedeuten. „Oder auch neue Marker, um zu sehen, wer altert schneller oder langsamer, und wer ist anfällig für bestimmte Krankheiten“, meint Grillari.
„Die Altersforschung gehört zu den großen Themen der Zukunft. Es sind nicht nur klimatische Veränderungen, die uns beschäftigen sollten, sondern auch demografische Veränderungen“, so der Wissenschaftler, der betont, dass Grundlagenforschung im Bereich der Alterungsprozesse essenziell sei.
Das oberste Ziel sei möglichst lange gesund leben zu können, wobei ethische Überlegungen stets mitbedacht werden sollten. Denn eine Verlängerung der Lebensspanne bedeutet nicht automatisch eine Verlängerung von Gesundheit.
Dieses Forschungsprojekt trägt laut den Fachleuten zu einem besseren Verständnis spezialisierter Ribosomen und biologischer Alterungsprozesse bei und zeigt möglicherweise neue Strategien auf, wie in Zukunft Gesundheit und Lebensqualität im Alter sichergestellt werden können.
Ihre Forschungsergebnisse wurden in den Fachzeitschriften „eLife“, „Nucleic Acids Research“ und „Nature Communications“ veröffentlicht. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- scilog, Magazin des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF: Lässt sich Zellalterung stoppen?, (Abruf: 27.09.2021)
- Heissenberger C., Grillari J., Schosserer M. et al.: The ribosomal RNA m5C methyltransferase NSUN-1 modulates healthspan and oogenesis in Caenorhabditis elegans; in: eLife, (veröffentlicht: 08.12.2020), eLife
- Heissenberger C., Grillari J., Schosserer M. et al.: Loss of the ribosomal RNA methyltransferase NSUN5 impairs global protein synthesis and normal growth; in: Nucleic Acids Research, (veröffentlicht: 13.11.2019), Nucleic Acids Research
- Schosserer M., Grillari J. et al.: Methylation of ribosomal RNA by NSUN5 is a conserved mechanism modulating organismal lifespan; in: Nature Communications, (veröffentlicht: 30.01.2015), Nature Communications
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.