Durchbruch beim Kampf gegen Antibiotikaresistenz
Jetzt wurde das erste lebende Medikament zur Behandlung von antibiotikaresistenten Bakterien entwickelt, welches über eine einfache Injektion in den Körper verabreicht werden kann. Diese neue Form der Behandlung basiert darauf, dass einem verbreiteten Bakterium die Fähigkeit genommen wurde, Krankheiten zu verursachen, und es stattdessen zum Angriff auf schädliche Mikroben umprogrammiert wurde.
In einer aktuellen Studie hat ein spanisches Forschungsteam ein lebendes Medikament verwendet, um antibiotikaresistente Bakterien zu bekämpfen, welche auf der Oberfläche von medizinischen Implantaten wachsen. Diese neue experimentelle Behandlung wurde an infizierten Kathetern in vitro, ex vivo und in vivo getestet, wobei bei allen Testmethoden ein Erfolg erzielt werden konnte. Die Ergebnisse sind in dem englischsprachigen Fachblatt „Molecular Systems Biology“ nachzulesen.
82 Prozent der Behandlungen waren erfolgreich
Durch eine Injektion mit dem neuen Medikament unter die Haut von Mäusen konnten 82 Prozent der Tiere erfolgreich behandelt werden, so das Team. Die Ergebnisse seien ein wichtiger erster Schritt für die Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten bei Infektionen durch medizinische Implantate wie beispielsweise Kathetern, Herzschrittmacher und Gelenkprothesen.
Solche Infektionen nach Einsatz eines Implantats sprechen oftmals nicht auf eine Behandlung mit Antibiotika an und machen einen erheblichen Anteil aller im Krankenhaus erworbenen Infektionen aus, fügen die Fachleute hinzu.
Verbindung zwischen Biofilmen und Antibiotikaresistenz
Die neue Behandlung zielt speziell auf Biofilme ab, mit anderen Worten: Kolonien von Bakterienzellen, welche auf einer Oberfläche zusammenkleben. Die Oberflächen medizinischer Implantate bieten ideale Wachstumsbedingungen für Biofilme, wo sie undurchdringliche Strukturen bilden, welche verhindern, dass Antibiotika oder das menschliche Immunsystem die darin eingebetteten Bakterien vernichten, erklären die Forschenden. Dabei können Biofilm-assoziierte Bakterien tausendmal resistenter gegen Antibiotika sein als frei schwimmende Bakterien.
Eine der häufigsten Arten von Biofilm-assoziierten Bakterien stellt Staphylococcus aureus dar. Infektionen mit Staphylococcus aureus können nicht mit herkömmlichen Antibiotika behandelt werden. Als alternative Therapien können Antikörper oder Enzyme eingesetzt werden. Der Nachteil dabei ist, dass solche sogenannten Breitspektrum-Behandlungen hochgiftig für normales Gewebe und Zellen sind und zusätzlich noch unerwünschte Nebenwirkungen verursachen, so das Team.
Infektionen mit Enzymen behandeln
Die an der Studie beteiligten Fachleute stellten die Hypothese auf, dass die Einführung lebender Organismen, welche direkt in der Nähe von Biofilmen Enzyme produzieren, eine sicherere und kostengünstigere Methode zur Behandlung von Infektionen darstellt. Bakterien seien ein idealer Vektor, da sie kleine Genome haben, welche durch einfache genetische Manipulationen verändert werden können.
Modifizierte Bakterien genutzt
Das Team nutzte Mycoplasma pneumoniae, eine weit verbreitete Bakterienart, der eine Zellwand fehlt. Dies trägt dazu bei, dass die Freisetzung der therapeutischen Moleküle zur Bekämpfung der Infektion erleichtert wird. Gleichzeitig wird eine Identifizierung durch das menschlichen Immunsystem verhindert.
M. pneumoniae wurde zunächst so verändert, dass es keine Krankheiten verursacht. Durch weitere Veränderungen wurde es dazu gebracht, zwei verschiedene Enzyme zu produzieren. Diese können Biofilme auflösen und die Zellwände der darin eingebetteten Bakterien angreifen. Zusätzlich wurde M. Pneumoniae so verändert, dass es antimikrobielle Enzyme effizienter absondert.
Besondere Vorteile der Verwendung von M. pneumoniae als Vektor seien das geringe Risiko, dass es zu neuen Mutationen kommt, und die Tatsache, dass es nicht in der Lage ist, seine veränderten Gene auf andere in der Nähe lebende Mikroben zu übertragen, erläutern die Forschenden.
Atemwegserkrankungen als erstes Behandlungziel
Das Team plant die modifizierten Bakterien zunächst zur Behandlung von Biofilmen einzusetzen, welche sich um Atemschläuche herum bilden, da M. pneumoniae von Natur aus an die Lunge angepasst ist.
„Unsere Technologie, die auf synthetischer Biologie und lebenden Biotherapeutika basiert, wurde so konzipiert, dass sie alle Sicherheits- und Wirksamkeitsstandards für die Anwendung in der Lunge erfüllt, wobei Atemwegserkrankungen eines der ersten Ziele sind. Unsere nächste Herausforderung ist die Produktion und Herstellung in großem Maßstab, und wir gehen davon aus, dass wir 2023 mit klinischen Versuchen beginnen können”, berichtet Studienautorin María Lluch in einer Pressemitteilung.
Behandlung von anderen Krankheiten möglich
Die modifizierten Bakterien könnten langfristig auch für andere Krankheiten eingesetzt werden. Bakterien sind laut Studienautor Luis Serrano ideale Transportmittel für lebende Medizin, da sie jedes beliebige therapeutische Protein tragen können, um die Ursache einer Krankheit zu behandeln. Einer der großen Vorteile dieser Technologie bestehe darin, dass die bakteriellen Vektoren, sobald sie ihren Bestimmungsort erreicht haben, eine kontinuierliche und lokalisierte Produktion des therapeutischen Moleküls ermöglichen.
Die Bakterien können mit verschiedenen Nutzlasten modifiziert werden, die auf unterschiedliche Krankheiten abzielen, so dass es in Zukunft möglicherweise noch mehr Anwendungsfelder geben wird, fügt der Experte hinzu. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Victoria Garrido, Carlos Piñero-Lambea, Irene Rodriguez-Arce, Bernhard Paetzold, Tony Ferrar, et al.: Engineering a genome-reduced bacterium to eliminate Staphylococcus aureus biofilms in vivo; in: Molecular Systems Biology (veröffentlicht 06.10.2021), Molecular Systems Biology
- Center for Genomic Regulation: ‘Living medicine’ created to treat drug-resistant infections (veröffentlicht 06.10.2021), Center for Genomic Regulation
Wichtiger Hinweis:
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