Neigung zur Entstehung von Blutgerinnseln
In den vergangenen Monaten sind Thrombosen verstärkt in das Interesse der Öffentlichkeit geraten, da es sowohl bei Menschen, die sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten, als auch nach Impfungen gegen COVID-19 zu Blutgerinnseln kam, die teilweise zum Tod der Betroffenen führten. Doch warum sind manche Menschen anfälliger für dieses Krankheitsbild? Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Forscher in München.
Wie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) auf seinem Portal „gesundheitsinformation.de“ erklärt, ist von einer Thrombose die Rede, wenn ein Gefäß durch ein Blutgerinnsel verstopft wird. Doch warum entstehen bei bestimmten Menschen im Körper Blutgerinnsel – und warum leiden sie häufig mehrmals im Leben daran? Antworten sucht Konstantin Stark von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Die Hypothese des Forschers: Das Immunsystem spielt eine zentrale Rolle.
Jedes Jahr etwa 100.000 Erkrankungen
Laut einer aktuellen Mitteilung der LMU prägen sogenannte Zwei-Photonen-Fluoreszenz-Mikroskope das Bild in den Labors des Münchner Forschers. Dies sind spezielle Mikroskope, die besonders präzise und mit hoher Auflösung detaillierte Einblicke in lebende biologische Strukturen geben.
„Wir untersuchen hier Gewebeschnitte von Menschen, aber auch von Mäusen, auf Blutgerinnsel“, erklärt der Wissenschaftler am Klinikum der Universität München. „Wir wollen verstehen, warum manche Menschen überhaupt Thrombosen entwickeln, viele sogar mehrmals in ihrem Leben“, so der Kardiologe.
Neue Therapien sollten früh im Krankheitsprozess ansetzen. Der Bedarf dafür ist riesig: Pro Jahr erkranken hierzulande verschiedenen Schätzungen zufolge etwa 100.000 Menschen an einer Venenthrombose und bis zu 40.000 sterben an einer Lungenembolie.
Neigung zur Entstehung von Blutgerinnseln nicht heilbar
Die Medizin kennt zwar schon lange wichtige Ursachen von Thrombosen, nämlich eine zu geringe Strömungsgeschwindigkeit des Blutes, Schäden an der inneren Wandschicht von Blutgefäßen oder Veränderungen der Blutzusammensetzung.
Doch zur Erklärung reichen solche Modelle nicht aus, denn wichtige physiologische Hintergründe bleiben im Dunkeln: Patientinnen und Patienten müssen oft ein Leben lang Medikamente zur Blutverdünnung einnehmen, um die Entstehung erneuter Thrombosen zu verhindern; die Neigung zur Entstehung von Blutgerinnseln lässt sich aber nicht heilen.
„Vor allem fragen wir uns, warum Thrombosen nicht nur einmal auftreten, sondern öfter wiederkehren. Hier scheinen Prozesse eine Rolle zu spielen, die durch die erstmalige Thrombose ausgelöst werden“, so der Wissenschaftler. Seine Hypothese lautet, dass der Körper im Rahmen der Thrombose eine Immunreaktion entwickelt und dadurch neue Blutgerinnsel entstehen.
„Noch können wir aber nicht sagen, ob es sich lediglich um eine akute Entzündungsreaktion handelt oder ob auch längerfristig immunologische Veränderungen im Körper auftreten“, sagt Stark.
Möglicherweise sorge ein bislang unbekannter thrombotischer Gedächtniseffekt dafür, dass immer wieder Thrombosen entstehen. Der Forscher versucht nun, seinen Verdacht experimentell zu bestätigen. Sein Team arbeitet mit Mausmodellen sowie Patientenproben. Komplexe Vorgänge wie die Blutgerinnung lassen sich nicht allein mit Zellkulturen abbilden.
Blutgerinnsel bei COVID-19-Erkrankten
Starks Arbeiten haben seit Beginn der Corona-Pandemie weiter an Bedeutung gewonnen. Bereits früh wurden bei Patientinnen und Patienten, die aufgrund von COVID-19 gestorben waren, Blutgerinnsel im Körper nachgewiesen.
Zusammen mit Kollegen fand auch der LMU-Forscher zahlreiche Thrombosen in kleinsten Blutgefäßen von COVID-19-Erkrankten, bei denen die Krankheit einen schweren Verlauf genommen hatte. Betroffen waren die Lungen, das Herz sowie die Nieren.
„Es handelt sich folglich nicht nur um eine reine Infektionskrankheit; auch das Gefäßsystem ist davon betroffen“, erläutert Stark.
Perspektiven für eine Behandlung
Weitergehende Untersuchungen haben gezeigt, dass Thromben überwiegend aus Blutplättchen und aktivierten Entzündungszellen, sogenannten neutrophilen Granulozyten, bestehen.
Außerdem fanden Forschende im Blut beatmungspflichtiger COVID-19-Erkrankter mit Lungenversagen stark aktivierte neutrophile Granulozyten und Blutplättchen. Beide Zelltypen regen sich wechselseitig an, was dann zu Gefäßverschlüssen in den Lungen führen kann.
„Entzündliche Prozesse lösen die Blutgerinnung aus, indem sie Blutplättchen und Entzündungszellen aktivieren“, so Stark. „Das haben wir schon lange im Rahmen der Thrombose untersucht – und konnten es jetzt bei Patienten mit COVID-19 sehen.“
Daraus lassen sich auch Perspektiven für eine Behandlung ableiten. Leitlinien empfehlen bei bestimmten Patientinnen- und Patientengruppen mittlerweile, routinemäßig Medikamente zur Antikoagulation zu geben.
„Unser Ziel sollte jedoch sein, in Entzündungsreaktionen einzugreifen, weit bevor die Blutgerinnung einsetzt – und ohne die körpereigene Infektabwehr zu beeinträchtigen“, so Stark. „Die Immunothrombose ist ein vielversprechender Ansatzpunkt in der Prävention und Therapie des Lungenversagens sowie anderer thrombotischer Komplikationen bei COVID-19.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Ludwig-Maximilians-Universität München: Medizin: Spurensuche im Blutgerinnsel, (Abruf: 11.10.2021), Ludwig-Maximilians-Universität München
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: Tiefe Venenthrombose (TVT), (Abruf: 11.10.2021), gesundheitsinformation.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.