Demenz: microRNAs deuten Risiko für geistigen Abbau an
Immer mehr Menschen erkranken an Demenz. Die Krankheit ist bislang nicht heilbar, doch durch die richtige Behandlung kann der Verlauf verzögert werden. Betroffene können umso länger selbstständig bleiben, je früher die Erkrankung diagnostiziert wird. Bei der Früherkennung können in Zukunft möglicherweise auch neue Erkenntnisse von Forschenden aus Deutschland helfen. Sie fanden im Blut Warnsignale für Demenz.
Laut Fachleuten leben in Deutschland rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Der Großteil von ihnen ist von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Der Verlauf der Krankheit lässt sich durch verschiedene Medikamente und nicht medikamentöse Behandlungen positiv beeinflussen – aufhalten oder heilen kann man sie aber nicht. Eine möglichst frühe Diagnose ist wichtig, um die therapeutischen Möglichkeiten auszuloten. Helfen könnte dabei künftig auch eine Blutuntersuchung.
Messung der Konzentration von microRNAs
Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) haben im Blut Moleküle aufgespürt, die auf eine bevorstehende Demenz hindeuten können.
Ihre Befunde, die in dem Fachjournal „EMBO Molecular Medicine“ veröffentlicht wurden, stützen sich auf Untersuchungen an Menschen und auf Laborstudien. An den Untersuchungen waren bundesweit auch mehrere Universitätskliniken beteiligt.
Wie es in einer Mitteilung heißt, beruht der von einem Team um Prof. André Fischer beschriebene Biomarker auf der Messung der Konzentration sogenannter microRNAs.
Das Verfahren ist noch nicht praxistauglich; Ziel der Forschenden ist daher die Entwicklung eines einfachen Bluttests, um im ärztlichen Routinebetrieb das Risiko für eine Demenzerkrankung abschätzen zu können. Laut den Studiendaten könnten microRNAs möglicherweise auch Ziele für die Demenztherapie sein.
Bei bemerkbaren Symptomen ist Gehirn bereits geschädigt
„Wenn sich Symptome einer Demenz bemerkbar machen, ist das Gehirn schon massiv geschädigt. Gegenwärtig geschieht die Diagnose viel zu spät, um überhaupt eine Chance auf eine wirkungsvolle Behandlung zu haben. Wird eine Demenz frühzeitig erkannt, dann steigen die Aussichten, den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen“, so André Fischer, Forschungsgruppenleiter und Sprecher am DZNE-Standort Göttingen sowie Professor an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG.
„Wir benötigen Tests, die idealerweise bereits dann ansprechen, wenn noch keine Demenz ausgebrochen ist und zuverlässig das Risiko für eine spätere Erkrankung abschätzen. Die also frühzeitig warnen. Wir sind zuversichtlich, dass unsere aktuellen Studienergebnisse den Weg für solche Tests bereiten.“
Molekulare Signatur
Der Biomarker, den die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefunden haben, beruht auf der Messung sogenannter microRNAs im Blut. Wie in der Mitteilung erklärt wird, sind microRNAs Moleküle mit regulatorischer Wirkung: Sie beeinflussen die Herstellung von Proteinen und damit einen zentralen Vorgang im Stoffwechsel eines jeden Lebewesens.
„Es gibt viele verschiedene microRNAs und jede einzelne davon kann ganze Netzwerke von untereinander abhängigen Proteinen regulieren und damit komplexe Vorgänge im Organismus beeinflussen. MicroRNAs wirken also in der Breite. Wir wollten herausfinden, ob es spezielle microRNAs gibt, deren Aufkommen im Blut mit der geistigen Fitness korreliert“, erläutert Fischer.
Durch umfangreiche Untersuchungen an Menschen, Mäusen und Zellkulturen konnten die Forscherinnen und Forscher letztlich drei microRNAs identifizieren, deren Konzentration mit der geistigen Leistungsfähigkeit zusammenhängt.
Dafür analysierten sie Daten sowohl von jungen, kognitiv unauffälligen Menschen, als auch Daten älterer Personen mit „MCI“ – das Kürzel steht für milde kognitive Störungen. Für die Daten von gesunden Menschen kooperierten die Göttinger Forschenden mit dem LMU Klinikum München.
Die Daten von MCI-Betroffenen stammten aus einer bereits seit Jahren laufenden Studie des DZNE, an der Universitätskliniken bundesweit mitwirken.
Vorbote von Demenz
Laut den Fachleuten korrelierte die Konzentration der microRNAs bei gesunden Menschen mit der geistigen Fitness. Je niedriger der Blutwert, umso besser schnitten die Probandinnen und Probanden bei Kognitionstests ab.
Bei Mäusen wiederum stieg dieser Wert, noch bevor die Tiere geistig abbauten – gleichermaßen, ob altersbedingt oder weil sie Krankheitssymptome ähnlich denen einer Alzheimer-Demenz entwickelten.
Weitere Indizien kamen von MCI-Betroffenen: Von denjenigen, bei denen der Blutmarker stark erhöht war, entwickelten rund 90 Prozent innerhalb von zwei Jahren eine Alzheimer-Erkrankung.
„Ein erhöhter Blutspiegel dieser drei microRNAs sehen wir daher als Vorbote von Demenz“, sagt Fischer. „Wir schätzen, dass dieser Biomarker beim Menschen eine Entwicklung andeutet, die etwa zwei bis fünf Jahre in der Zukunft liegt.“
Mehr als Warnsignale
Außerdem stellten die Forschenden in ihren Studien an Mäusen und Zellkulturen fest, dass die drei identifizierten microRNAs Entzündungsprozesse im Gehirn und die „Neuroplastizität“ beeinflussen – diese beinhaltet unter anderem die Fähigkeit von Nervenzellen, sich untereinander zu verknüpfen. Dies lässt vermuten, dass die drei microRNAs mehr sind als Warnsignale.
„Nach unserer Einschätzung sind sie nicht nur Marker, sondern wirken auch aktiv auf pathologische Prozesse. Das macht sie zu möglichen Ansatzpunkten für die Therapie“, so Fischer.
„Tatsächlich sehen wir, dass sich die Lernfähigkeit von Mäusen verbessert, wenn diese microRNAs durch Pharmaka blockiert werden. Das haben wir sowohl bei Mäusen mit altersbedingten geistigen Defiziten beobachtet, als auch bei Mäusen mit Hirnschädigungen, wie sie in ähnlicher Weise bei einer Alzheimer-Erkrankung auftreten.“
Erhöhtes Demenzrisiko frühzeitig erkennen
Der neu gefundene Indikator muss noch weiter geprüft werden, zudem ist das aktuelle Messverfahren zu aufwändig für die Praxis: „In künftigen Studien wollen wir diesen Biomarker klinisch validieren. Außerdem möchten wir ein simples Testverfahren entwickeln“, erklärt Fischer.
„Unser Ziel ist ein kostengünstiger Test, ähnlich dem Schnelltest auf SARS-CoV-2 mit dem Unterschied, dass man für unsere Zwecke einen Blutstropfen benötigen würde“, so der Experte.
„Ein solcher Test könnten bei Routine-Untersuchungen in der ärztlichen Praxis eingesetzt werden, um ein erhöhtes Demenzrisiko frühzeitig zu erkennen. Menschen, bei denen die Ergebnisse auffällig sind, könnten sich dann einer aufwändigeren Diagnostik unterziehen.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE): Göttinger Forschende finden im Blut Warnsignale für Demenz, (Abruf: 12.10.2021), Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE)
- Rezaul Islam, Lalit Kaurani et al.: A microRNA signature that correlates with cognition and is a target against cognitive decline; in: EMBO Molecular Medicine, (veröffentlicht: 11.10.2021), EMBO Molecular Medicine
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.