Aus chronischen Darmentzündungen kann Darmkrebs entstehen
Hunderttausende Menschen in Deutschland leiden an chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Es ist schon länger bekannt, dass solche Krankheiten das Risiko für Darmkrebs erhöhen. Forschende haben jetzt einen neuartigen Mechanismus gefunden, der die DNA-Reparatur bei Personen mit chronischen Darmentzündungen stören und so zu Krebs führen kann.
Einer älteren Mitteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zufolge leiden in Deutschland etwa 400.000 Menschen an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Dabei handelt es sich um schubweise auftretende Entzündungen des Magen-Darm-Trakts, die mit blutigen Stuhlgängen, Durchfällen und starken Beeinträchtigungen der Lebensqualität einhergehen. Menschen mit einer CED haben auch ein erhöhtes Risiko, an Darmkrebs zu erkranken.
Schutzmechanismen sind aufgehoben
Wie der Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen in einer aktuellen Mitteilung schreibt, wird Darmkrebs bei CED-Patientinnen und -Patienten dadurch begünstigt, dass die DNA in den Darmschleimhautzellen durch chronische Entzündungsprozesse beschädigt wird.
Wenn die DNA in einer Zelle geschädigt wird, so schützt sich im gesunden Zustand die Zelle vor der Anreicherung eines fehlerhaften Genoms dadurch, dass sie sich nicht mehr weiter teilt. Unter Entzündungsbedingungen sind diese Schutzmechanismen aber aufgehoben und begünstigen die Entstehung von Darmkrebs.
Weshalb jedoch bei chronischer Entzündung diese Schutzmechanismen aufgehoben sind, ist bislang nicht verstanden.
Ein Team aus dem Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) hat jetzt gezeigt, dass das Gen XBP1, welches ein Risikogen für CED ist, ganz entscheidend darauf einwirkt, wie eine Darmschleimhautzelle mit entstandenem DNA-Schaden umgeht und sich somit vor der Entstehung von Krebs schützt.
Zusätzlich konnten die Forschenden um Professor Philip Rosenstiel und PD Dr. Konrad Aden vom Institut für klinische Molekularbiologie (IKMB) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, erste Hinweise auf den möglichen dahinterliegenden Mechanismus finden. Ihre Ergebnisse wurden in dem renommierten Fachjournal „Gastroenterology“ veröffentlicht.
Neuer Mechanismus identifiziert
Im gesunden, nicht-veränderten Zustand kodiert das Gen XBP1 für ein Protein, welches für das molekulare Gleichgewicht in der Darmschleimhaut sorgt und vor Entzündungen schützt. Bei CED-Betroffenen kann ein Funktionsverlust dieses Gens im Darm zu einer gestörten Barriere und ungebremster Entzündung führen.
Die Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben in der neuen Studie gezeigt, dass das Gen auch für die Entstehung von Darmkrebs eine Rolle spielen könnte. Wenn das Gen in den Deckzellen der Darmschleimhaut fehlt, wird ein wichtiger Reparaturmechanismus des Erbgutes nicht mehr korrekt ausgeführt.
„Wenn das CED-Risikogen XBP1 in Darmepithelzellen fehlt, dann kommt es zu Schäden der DNA und zu vermehrter Zellteilung. Tiere mit einem defekten XBP1 Gen entwickelten einen invasiven Darmkrebs“, erläutert die Erstautorin Lina Welz.
Im nächsten Schritt wollten die Forscherinnen und Forscher genauer verstehen, über welchen Mechanismus das Gen XBP1 die DNA-Reparatur reguliert und daher bei Fehlfunktion zu Krebs führt. Hierbei stießen sie auf den bereits bekannten molekularen Schalter p53, einen sogenannten Tumorsuppressor, welcher die Zelle vor der malignen Entartung schützt. p53 gilt als „Wächter des Genoms“ und spielt eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle des Zellwachstums.
Das Team konnte zeigen, dass XBP1 die Aktivität des p53 Tumorsuppressors koordiniert. Darüber hinaus konnten die Fachleute einen neuen Mechanismus identifizieren, wie der Tumorsuppressor p53 das unkontrollierte Wachstum von intestinalen Epithelzellen unterdrückt.
„Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass XBP1 und p53 gemeinsam über den sogenannten mTOR Signalweg verhindern, dass sich eine geschädigte Darmepithelzelle unkontrolliert vermehrt und damit entarten kann“, berichtet einer der Seniorautoren, PD Dr. Konrad Aden.
Folgeschäden deutlich reduziert
Den Angaben zufolge wird der mTOR-Signalweg in der Medizin schon länger für andere Krankheiten als therapeutisches Ziel genutzt und könnte einen neuen frühen Zugang zur Krebstherapie bieten.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben Mäuse und Zellsysteme mit erhöhten DNA-Schäden und defektem XBP1-Gen mit einem spezifischen Hemmstoff des mTOR-Wegs, dem Wirkstoff Rapamycin, behandelt. „In unseren Modellen konnten durch Rapamycin die vermehrte Zellteilung und die daraus resultierenden Folgeschäden deutlich reduziert werden“, so Aden.
„Obwohl wir schon länger wissen, dass aus chronischen Darmentzündungen Krebs entstehen kann, wissen wir nur relativ wenig über die zugrundeliegenden Prozesse. Unsere Ergebnisse liefern nun eine neue Verknüpfung von Entzündung, gestörter Zellteilung und Reparatur des Erbgutes“, erklärt Seniorautor Professor Philip Rosenstiel.
„Wir werden daher in weiteren Studien untersuchen, wie die gezielte Hemmung des mTOR-Signalweges für die Prävention von Darmentzündungen und von Darmkrebs genutzt werden kann“, sagt Rosenstiel. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen: Wie aus chronischer Darmentzündung Krebs entstehen kann, (Abruf: 30.10.2021), Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen
- Welz L, Kakavand N, Hang X, Laue G, Ito G, Silva MG, Plattner C, Mishra N, Tengen F, Ogris F, Jesinghaus M, Wottawa F, Arnold P, Kaikkonen L, Stengel S, Tran F, Das S, Kaser A, Trajanoski Z, Blumberg R, Roecken C, Saur D, Tschurtschenthaler M, Schreiber S, Rosenstiel P & Aden K: Epithelial XBP1 coordinates TP 53-driven DNA damage responses and suppression of intestinal carcinogenesis; in: Gastroenterology, (veröffentlicht: 29.09.2021), Gastroenterology
- Bundesministerium für Bildung und Forschung: Darmentzündungen ohne Nebenwirkungen therapieren, (Abruf: 30.10.2021), Bundesministerium für Bildung und Forschung
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.