Ursachen für Fortschritt der Alzheimer-Krankheit identifiziert
Zum ersten Mal konnte ein Forschungsteam aufzeigen, wie sich die Alzheimer-Krankheit im Gehirn ausbreitet. Dabei stellte die Arbeitsgruppe fest, dass sich die degenerative Erkrankung „ganz anders entwickelt als bisher angenommen.“ Demnach sind mehrere Herde von schädlichen Ablagerungen im Gehirn für den Krankheitsverlauf verantwortlich.
Forschende der University of Cambridge zeigten erstmals, dass sich die Alzheimer-Krankheit ganz anderes im Gehirn ausbreitet, als bislang vermutet. Lokale Vermehrungen von Proteinablagerungen, die langsam, aber exponentiell in mehreren Krankheitsherden gleichzeitig ansteigen, sind laut der Studie für das Fortschreiten der Krankheit verantwortlich. Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Science Advances“ publiziert.
Alzheimer bricht in mehreren Gehirnregionen gleichzeitig aus
Bislang wurde überwiegend angenommen, dass die Alzheimer-Krankheit von einem Punkt in Gehirn ausgeht und dann eine Kettenreaktion in Gang setzt, die letztendlich zum Absterben von Gehirnzellen führt. Die aktuellen Studienergebnisse zeichnen jedoch ein anderes Bild. Offenbar beginnt die neurodegenerative Erkrankung bereits frühzeitig in mehreren Regionen des Gehirns gleichzeitig durch das Ansammeln sogenannter Tau-Fibrillen und Amyloid-Plaque.
Diese schädlichen Ablagerungen vermehren sich den Forschenden zufolge langsam, jedoch mit exponentiellem Verlauf. Dieser Vorgang erkläre, warum die Krankheit mit leichten kognitiven Einschränkungen beginnt und dann langsam aber fortlaufend immer schlimmer wird, bis im Endstadium der Tod eintritt. Die Arbeitsgruppe entwickelte erstmals ein Modell, welches den Verlauf der Krankheit abbildet.
Krankheitsverlauf umfassend dokumentiert
Das internationale Team werte Gehirnproben von verstorbenen Alzheimer-Patientinnen und Patienten aus. Zudem führten die Forschenden Gehirn-Scans (PET) an lebenden Alzheimer-Betroffenen in verschiedenen Krankheitsstadien durch – beginnend bei leichten kognitiven Störungen bis hin zum Spätstadium mit starken Verklumpungen im Gehirn.
Zwei Schlüsselproteine lassen die Krankheit fortschreiten
Es war im Vorfeld bereits bekannt, dass das Fortschreiten der Krankheit mit zwei Schlüsselproteinen in Verbindung steht. Im Verlauf der Erkrankung lagern sich zunehmend Proteine vom Typ Tau und Amyloid-beta im Gehirn an und bilden Plaques und Verklumpungen, die das Gehirn in der Funktion einschränken. Solche Ablagerungen werden in der Medizin als Alzheimer-Aggregate bezeichnet.
In Folge der Anreicherung sterben Gehirnzellen ab und das Gehirn beginnt zu schrumpfen. Dies äußert sich bei den Betroffenen durch Gedächtnisverlust, Persönlichkeitsveränderungen und Schwierigkeiten bei der Verrichtung alltäglicher Aufgaben.
Krankheitsverlauf konnte erstmals abgebildet werden
Durch die gesammelten Daten in den verschiedenen Krankheitsstadien und einem mathematischen Modell ist es den Forschenden gelungen, den Mechanismus, der das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit steuert, abzubilden. Dabei offenbarte sich erstmals, dass sich die Krankheit nicht, wie überwiegend angenommen, von einer Hirnregion auf die andere ausbreitet, sondern in mehren Hirnregionen gleichzeitig wächst.
Die Erkenntnisse erweitern das Verständnis der Alzheimer-Krankheit sowie für anderer neurodegenerative Erkrankungen. Gleichzeitig eröffnet die Forschung neue Ansätze für mögliche Behandlungen.
Auf dem Holzweg
Laut dem Forschungsteam wurde die Alzheimer-Krankheit seit vielen Jahren als eine Kettenreaktion oder Kaskade im Gehirn beschrieben. Da sich die Krankheit langsam über viele Jahrzehnte ausbreitet und es erst kürzlich möglich wurde, Betroffene im Frühstadium zu identifizieren, war eine Untersuchung des Krankheitsverlaufs vom Anfang- bis zum Endstadium bislang nur eingeschränkt möglich. Zudem haben sich viele Forschungsergebnisse überwiegend auf Tiermodelle gestützt.
Möglicher Grund für das Scheitern früherer Behandlungsansätze
„Bisher dachte man, dass sich Alzheimer ähnlich wie viele Krebsarten entwickelt: Die Aggregate bilden sich in einer Region und breiten sich dann im Gehirn aus“, erklärt Studienerstautor Dr. Georg Meisl von der University of Cambridge. „Stattdessen haben wir herausgefunden, dass zu Beginn der Alzheimer-Krankheit bereits Aggregate in mehreren Regionen des Gehirns vorhanden sind, so dass der Versuch, die Ausbreitung zwischen den Regionen zu stoppen, die Krankheit kaum verlangsamen kann.“
Paradigmenwechsel bei der Alzheimer-Krankheit
Nach den Angaben der Arbeitsgruppe ist es das erste Mal, dass anhand an Menschen gesammelter Daten verfolgt wurde, welche Prozesse die Entwicklung der Alzheimer-Krankheit vorantreiben. „Diese Forschung zeigt, wie wertvoll es ist, mit menschlichen Daten zu arbeiten, anstatt mit unvollkommenen Tiermodellen“, betont Professor Tuomas Knowles aus der Forschungsgruppe. Die vorliegenden Ergebnisse seien ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer funktionierenden Therapie.
Angriffspunkt entdeckt
Die Forschungsergebnisse machen zudem auf einen möglichen Angriffspunk aufmerksam. Denn die Replikation von Tau-Aggregaten verlaufe erstaunlich langsam. „Neuronen sind sehr gut darin, die Bildung von Aggregaten zu verhindern, aber wir müssen Wege finden, sie noch besser zu machen, wenn wir eine wirksame Behandlung entwickeln wollen“, resümiert Professor Sir David Klenerman, der am UK Dementia Research Institute an der University of Cambridge tätig ist. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- University of Cambridge: Scientists identify the cause of Alzheimer’s progression in the brain (veröffentlicht: 29.10.2021), cam.ac.uk
- Deutsches Ärzteblatt: Wie sich der Morbus Alzheimer im Gehirn ausbreitet (veröffentlicht: 01.11.2021), aerzteblatt.de
- Georg Meisl et al. ‘In vivo rate-determining steps of tau seed accumulation in Alzheimer’s disease.’ Science Advances (2021). DOI: 10.1126/sciadv.abh1448, science.org
Wichtiger Hinweis:
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