Makrophagen des Immunsystems fressen Gefäßablagerungen
Immuntherapien, bei der das eigene Immunsystem unterstützt wird, um Krankheiten zu bekämpfen, haben sich bei der Behandlung von einigen Krebsarten bereits bewährt. Fortschritte in der Forschung auf dem Gebiet der Immunonkologie zeigen nun neue Wege der Nutzbarkeit auf. Offenbar lässt sich eine bestimmte Immuntherapie auch zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere Arteriosklerose, einsetzen. Die Therapie scheint Fresszellen des Immunsystems dazu zu motivieren, die schädlichen Plaques in den Gefäßen aufzufressen.
Forschende aus Heidelberg und Stanford (USA) stellen einen neuen Therapieansatz der Immunonkologie vor, der auch in der Herzmedizin genutzt werden kann. Das Team zeigte, dass eine Methode namens „Makrophagen-Checkpoint-Hemmung“ Potenzial für die Arteriosklerose-Therapie hat. Die entsprechenden Forschungsergebnisse wurden kürzlich im renommierten „New England Journal of Medicine“ vorgestellt und von der Deutschen Herzstiftung mit dem Wilhelm P. Winterstein-Preis ausgezeichnet.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit Immuntherapien behandeln?
Die Grundlage hierzu legte nun das Team um Dr. med. Kai-Uwe Jarr vom Universitätsklinikum Heidelberg und Professor Dr. med. Nicholas J. Leeper von der Stanford University. Die Arbeitsgruppe untersuchte, inwiefern ein Antikörper, der bereits in der Krebstherapie eingesetzt wird, auch zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen genutzt werden kann. „Unsere Arbeit zielt darauf ab, Regulatoren der Immunüberwachung zu finden und therapeutisch zu beeinflussen, um kranke oder sterbende Zellen besser zu entfernen“, erklärt Dr. Jarr.
Wie kann das Immunsystem gegen Arteriosklerose helfen?
Nach Angaben der Forschungsgruppe basiert die Idee auf der sogenannten „Makrophagen-Checkpoint-Hemmung“. Bei der Immuntherapie gegen Krebs werden Antikörper (Magrolimab in Kombination mit Rituximab) eingesetzt, die den Zelloberflächen-Marker CD47 blockieren. In der aktuelle Studie dokumentieren die Forschenden erstmals, dass diese Blockade mit einer Verringerung von Gefäßentzündungen verbunden ist. Die Therapie wirke sich somit möglicherweise positiv auf den Verlauf von Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus.
Das Immunsystem kontrolliert pausenlos den Körper
Wie die Forschenden erläutern, sucht das Immunsystem ohne Pause nach allem, was körperfremd oder verändert ist. Das können zum Beispiel Viren, Bakterien, Krebszellen, aber auch tote oder sterbende körpereigene Zellen sein. Um Erreger und Fremdkörper zu beseitigen, werden unter anderem Makrophagen (Fresszellen) gerufen. Diese nehmen das Objekt in sich auf und zersetzen es.
Alles ohne CD47-Marker wird von Makrophagen verschlungen
Damit intakte Körperzellen nicht von den Makrophagen verschlungen werden, besitzen sie den Oberflächenmarker CD47. Dieser übermittelt den Makrophagen ein „Friss mich nicht“-Signal. Fremdkörper, Erreger und tote Zellen besitzen diesen Marker in der Regel nicht und sind somit zur Zersetzung freigegeben.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Bei Krebszellen ist die Besonderheit, dass sie den CD47-Marker auf der Oberfläche besitzen. Folglich werden sie nicht von den Makrophagen aufgefressen. Durch eine Immuntherapie wird der Marker auf den Krebszellen gehemmt, wodurch diese von den Immunzellen angegriffen werden können.
Was hat dieser Prozess mit Arteriosklerose zu tun?
Bei Arteriosklerose handelt es sich um einen schleichenden Prozess, bei dem es zunehmend zur Bildung von entzündlichen Gefäßwandveränderungen durch Plaques kommt. Die Ablagerungen enthalten Verkalkungen, Bindegewebe und Cholesterin. Langfristig verengen sie die Herzkranzgefäße und stören die Durchblutung des Herzens. Löst sich ein Stück der Plaques besteht zudem die Gefahr für einen kompletten Verschluss der Blutbahn, was zu einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall.
Ebenso wie bei Krebszellen sind die Makrophagen nicht in der Lage, die Plaques ausreichend zu entfernen. Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass Signalstoffe des Immunsystems, die an lokalen und systemischen Entzündungen beteiligt sind, zu einer übermäßigen Präsentation des CD47-Signals beitragen.
„Normalerweise würden Makrophagen erkrankte und sterbende Zellen, die die Plaquebildung fördern, wegräumen“, verdeutlicht Dr. Jarr. Die übermäßige Präsentation des CD47-Signals führe jedoch dazu, dass sich auch hier die erkrankten Zellen dem Immunsystem entziehen.
Ein völlig neuer Ansatz gegen Arteriosklerose
Derzeitige Therapien bei Arteriosklerose fokussieren sich auf Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung, hohes Cholesterin und Risikokrankheiten wie Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck, Diabetes und Adipositas.
„Aber was wäre, wenn die Möglichkeit bestünde, den ,Appetit‘ der Makrophagen zu erhöhen beziehungsweise die übermäßige Präsentation der ,Don‘t eat me‘-Signale therapeutisch zu beeinflussen und damit die Plaquebildung sowie die Gefäßentzündung zu reduzieren“, so Dr. Jarr. Genau dies sei das Prinzip der Makrophagen-Checkpoint-Hemmung.
An neun Menschen getestet
In ersten Tests an Menschen wurden neun Personen mit unterschiedlichen Risikofaktoren ausgewählt, an denen die „Makrophagen-Checkpoint-Hemmung“ getestet wurde. Die Teilnehmenden litten unter Grunderkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Arteriosklerose, koronare Herzkrankheit (KHK) oder hatten bereits einen Herzinfarkt erlitten.
Gefäßablagerungen beseitigen
Die Ergebnisse der Tests deuten darauf hin, dass die Therapie das Entfernen von Plaques in den Blutgefäßen reaktivieren kann. Mit anderen Worten: Die Behandlung kann erreichen, dass die Makrophagen damit beginnen, die schädlichen Ablagerungen in den Blutgefäßen zu beseitigen.
„Weitere klinische Studien sind nun notwendig, um zu zeigen, inwiefern diese Therapieoption das Auftreten von Plaques und das Risiko von Schlaganfällen und Herzinfarkten verringern kann“, betont Dr. Jarr.
Eine ausgezeichnete Forschungsarbeit
„Die von den Wissenschaftlern veröffentlichten Ergebnisse bilden eine wichtige Grundlage für zukünftige Arbeiten und zeigen auf elegante Weise den gelungenen Transfer von Erkenntnissen aus der Immuntherapie zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, fügt der Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung Professor Dr. med. Thomas Voigtländer hinzu. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Jarr KU, Nakamoto R, Doan BH, Kojima Y, Weissman IL, Advani RH, Iagaru A, Leeper NJ. Effect of CD47 blockade on Vascular Inflammation. N Engl J Med. 2021, nejm.org
- Deutsche Herzstiftung: Mechanismen der Immunabwehr gegen Gefäßentzündungen (veröffentlicht: 03.11.2021), herzstiftung.de
- Universitätsklinikum Heidelberg: Wilhelm P. Winterstein-Preis für Dr. Kai-Uwe Jarr und Prof. Nicholas Leeper (veröffentlicht: 04.11.2021), klinikum.uni-heidelberg.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.