Arteriosklerose mit Muttermilch behandelbar?
Fachleuten zufolge leiden etwa vier Millionen Menschen in Deutschland an Atherosklerose (auch Arteriosklerose oder Arterienverkalkung genannt). Die Krankheit gilt als Hauptursache von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Herzschwäche und Schlaganfall. Nun wird berichtet, dass menschliche Muttermilch gegen die Erkrankung helfen könnte.
Vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an Arteriosklerose, erläutert die Deutsche Gefäßliga. Zu den wichtigsten möglichen Folgeerkrankungen einer Arterienverkalkung zählen Herzinfarkt, Schlaganfall, periphere arterielle Verschlusskrankheit und Nierenschwäche/Nierenversagen, schreibt der Berufsverband Deutscher Internisten auf seiner Webseite „Internisten im Netz“. Menschliche Muttermilch könnte bei der Behandlung der Erkrankung helfen.
Oft über viele Jahre unbemerkt und symptomlos
Wie in einem Beitrag von „scilog“, dem Magazin des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) erklärt wird, begünstigen fettreiche Ernährung, zu wenig Bewegung, Rauchen und Diabetes die Entstehung einer der häufigsten Wohlstandskrankheiten – der Atherosklerose.
Bei dieser Herz-Kreislauf-Erkrankung lagern sich Blutfette wie Cholesterin an den Gefäßwänden ab. Ausgangspunkt solcher Ablagerungen können kleine Verletzungen innerhalb der Gefäße sein, die unter anderem durch Hypertonie (Bluthochdruck) entstehen.
Sie lösen den Einsatz von speziellen Immunzellen aus, sogenannten Makrophagen, die als „Aufräumtrupp“ im Körper Viren, Bakterien oder auch Fettpartikel aufnehmen, jedoch auch Entzündungsreaktionen auslösen. Die Fettaufnahme verändert zudem die Aufräumzellen. Ein Teil von ihnen wird zu sogenannten Schaumzellen, die sich auch an den Gefäßwänden ablagern und dort entstehen so immer mehr Schichten einer entzündlichen „Plaque“.
Diese Vorgänge bleiben häufig über viele Jahre unbemerkt und symptomlos. Doch irgendwann kann es dazu kommen, dass die Ablagerungen das Gefäß vollkommen verschließen – mit oft tödlichen Folgen in Form von Thrombosen, Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Oligosaccharide übernehmen vielfältige Funktionen
Die Molekularbiologin Ariane Pessentheiner beschäftigt sich bereits seit mehr als zwölf Jahren mit der Erforschung von Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die Wissenschaftlerin, die heute am Institut für Molekularbiologie und Biochemie der Medizinischen Universität Graz tätig ist, hat unter anderem jahrelang an der University of California in San Diego daran geforscht, wie die Inhaltsstoffe der menschlichen Muttermilch genutzt werden könnten, um die Entstehung von Atherosklerose zu bremsen.
Ihre Forschungen in den USA bauen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen auf, wonach die menschliche Muttermilch bis zu 200 sogenannte Oligosaccharide, bestimmte auf Laktose aufbauende Zuckerarten, beinhaltet. Diese übernehmen vielfältige Funktionen für die optimale Ernährung, den Schutz und das Wachstum eines Babys. Zum Vergleich: Kuhmilch verfügt nur über weniger als ein Zehntel dieser Vielfalt.
„Menschliche Muttermilch ist ein wahres Wunderding. Mit ihr hat die Natur die ideale Ernährung für ein Kind nach der Geburt geschaffen“, sagt Pessentheiner. „Die Vielfalt der Oligosaccharide spielt eine wichtige Rolle dabei. Doch bisher konnte man erst die Funktion einiger weniger Milchzuckerarten tatsächlich entschlüsseln.“
Entzündungshemmende Eigenschaften
Eine Besonderheit einiger dieser Zuckermoleküle ist, dass sie nicht im Darm verdaut und umgewandelt werden, sondern direkt in den Blutkreislauf gelangen und dort auf Zellen wirken können. Zudem machten frühere Forschungsergebnisse klar, dass manche der Oligosaccharide entzündungshemmende Eigenschaften mitbringen. Diese unterstützen das Immunsystem eines Babys, ohne dass es zu einer überschießenden und schädlichen Immunreaktion kommt.
„Nachdem die Atherosklerose auch eine entzündliche Krankheit ist, hatten wir die Idee, die entzündungshemmenden Eigenschaften des Zuckers aus der Muttermilch für eine zukünftige Behandlung zu erproben“, so Pessentheiner. „Die Annahme war, dass die betreffenden Oligosaccharide auch in einem fortgeschrittenen Menschenalter positive Wirkungen erzielen.“
In einem ersten Schritt wollten die Forscherinnen und Forscher bestätigen, dass ein Zuckergemisch von Spendermüttern tatsächlich entzündungshemmende Eigenschaften aufweist. Dazu wurden mit Makrophagen versetzte Zellkulturen, die einen Schlüsselmechanismus der Arterienverkalkung abbilden, mit dem Zuckergemisch versetzt.
Das Ergebnis war eindeutig: „Es hat sehr, sehr gut funktioniert“, sagt die Molekularbiologin. Daraufhin wurden die Milchzuckerbestandteile der Muttermilch immer wieder in Fraktionen zerlegt und weiter getestet, um genau jene Zuckermoleküle zu identifizieren, deren entzündungshemmende Kraft am größten ist.
Entwicklung von Atherosklerose bremsen
Jenes Oligosaccharid, das als Sieger aus diesem Ausscheidungsprozess hervorging, wurde dann biotechnologisch hergestellt und anschließend in einer vorklinischen Studie an einem Mausmodell erprobt. Einem Teil der Tiere, die eine Atherosklerose begünstigende, fettreiche Ernährung bekamen, wurde zusätzlich diese Zuckerart verabreicht, dem anderen Teil als Kontrollgruppe dagegen nicht.
Für die Forscherin gab es auch hier ein eindeutiges Ergebnis: „Die Verabreichung des Zuckers war eine sehr erfolgreiche Methode, um die Entwicklung von Atherosklerose zu bremsen. Die Krankheit war bei den behandelten Mäusen viel weniger stark ausgeprägt.“
Bevor das entzündungshemmende Oligosaccharid als Medikament oder Nahrungsergänzungsmittel einsetzbar wird, müssen aber noch viele weitere Untersuchungen folgen. „Es ist naheliegend, dass eine Substanz, die ursprünglich aus der Muttermilch stammt, nicht schädlich sein kann. Dennoch muss getestet werden, ob sie auch isoliert von ihrem natürlichen Vorkommen keine Nebenwirkungen zeigt“, erläutert die Expertin.
„Zudem stellt sich die Frage, welche Konzentrationen verträglich und zielführend sind. Ist das alles abgeklärt, könnte beispielsweise ein mit dem Zucker versetzter Milchshake eine sinnvolle Anwendung sein.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- scilog, Magazin des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF: Muttermilch als Ideengeberin für neue Herz-Kreislauf-Medikamente, (Abruf: 14.11.2021)
- Deutsche Gefäßliga e.V.: Arteriosklerose, (Abruf: 14.11.2021)
- Berufsverband Deutscher Internisten: Arterienverkalkung: Symptome & Auswirkungen & Vorsorge, (Abruf: 14.11.2021), Internisten im Netz
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.