Komplikationen bei Diabetes mit neuem Ansatz vermeiden
Ein experimenteller Wirkstoff reduziert die Komplikationen bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes, indem er hilft, die typischen Folgen der Erkrankung zu verhindern: Zelltod, Entzündungen und Organschäden. Dies könnte zu einer deutlichen Verbesserung der Behandlung genutzt werden.
In einer aktuellen Untersuchung unter Beteiligung von Forschenden der NYU Grossman School of Medicine wurde an Mäusen festgestellt, dass eine neuartige Klasse von Verbindungen die Fähigkeit eines Proteins mit der Bezeichnung RAGE blockiert, Entzündungssignale weiterzuleiten, welche bei Diabetes Herz und Nieren schädigen und die Heilung diabetischer Wunden verlangsamen. Die Ergebnisse wurden in dem englischsprachigen Fachblatt „Science Translational Medicine“ veröffentlicht.
Rolle des Immunsystems bei Diabetes
Die Ergebnisse beziehen sich auf das körpereigene Immunsystem, welches normalerweise in den Körper eindringende Bakterien und Viren erkennt und diese vernichtet. Eine Aktivierung dieses Systems ist mit Entzündungen und Reaktionen wie Schwellungen und Schmerzen verbunden, welche sich aus dem Eindringen von Immunzellen in Infektions- oder Verletzungsherde ergeben, erläutern die Forschenden. Es gebe viele Erkrankungen, beispielsweise auch Diabetes, welche mit einer fehlgeleiteten Entzündung einhergehen, die das Gewebe schädigt, fügen die Fachleute hinzu.
RAGE229 reduziert Komplikationen bei Diabetes
Experimente an menschlichen Zellen und Mausmodellen haben laut dem Team ergeben, dass die Leitsubstanz der Studie, RAGE229, die kurz- und langfristigen Komplikationen von Diabetes deutlich reduziert.
„Unsere Ergebnisse etablieren das molekulare Gerüst von RAGE229 als Grundlage für einen neuen Ansatz, der auf intrazelluläre RAGE-Aktionen abzielt, um diabetischen Gewebeschäden entgegenzuwirken”, erläutert Studienautorin Dr. Ann Marie Schmidt von der NYU Grossman School of Medicine in einer Pressemitteilung.
Die Medizinerin fügt hinzu, dass durch weitere Verfeinerungen RAGE229 und seine Abkömmlinge ein großes Potenzial haben, vorhandene Lücken in der Behandlung von Diabetes zu schließen, schon alleine, weil die meisten aktuellen Medikamente nur gegen Typ-2-Diabetes wirken.
Rolle von Insulin bei Diabetes
Laut dem Team gehen viele Erklärungen für Diabetes davon aus, dass Ernährung und Alter (Typ 2) oder genetische Unterschiede (Typ 1) die Wirkung oder Produktion des Hormons Insulin reduzieren. Dieses Hormon sei dafür bekannt, dass es den Blutzuckerspiegel in Schach hält, nachdem der Körper durch Mahlzeiten mit Energie versorgt wurde.
Entzündungsschäden durch hohen Blutzucker
Auch sei bekannt, dass ein hoher Blutzuckerspiegel sogenannte Entzündungsschäden verursacht. Trotzdem habe frühere Forschung gezeigt, dass Mechanismen, welche bei beiden Typen von Diabetes zu einem späteren Zeitpunkt auftreten und bei beiden gemeinsam sind, von neuen möglichen Arzneimitteln separat angegangen werden könnten.
Ein Problem von hohem Blutzucker sei, dass er eine größere Anzahl geladener Teilchen erzeugt, welche Zellbestandteile wie die DNA zerreißen, so das Team. Durch diesen Vorgang werden Zellen abgetötet, die dann auseinanderfallen und ihren Inhalt freigeben, einschließlich der schadensassoziierten molekularen Muster (DAMPS), erläutern die Forschenden.
Diese Gefahrenmoleküle informieren den Körper darüber, dass ein Gewebe unter Stress steht, was in einigen Fällen durch Aktivierung von RAGE geschieht, berichtet das Team. Wenn ein DAMP an RAGE auf der äußeren Oberfläche einer Zelle andockt, verändere es die Form des Rezeptors, um Nachrichten in das innere Kompartiment der Zelle, das sogenannte Zytoplasma, weiterzuleiten.
Die Forschungsgruppe konnte bereits zuvor aufzeigen, dass ein Teil von RAGE (ctRAGE) mit einem Protein namens DIAPH1 interagiert, um genau solche Botschaften weiterzuleiten, welche dann letztlich die Entzündungsgene aktivieren.
RAGE229 reduziert Entzündungswert deutlich
Für die aktuelle Forschungsarbeit wurde zunächst eine Bibliothek mit 59.000 Verbindungen analysiert, um schließlich RAGE229 zu entwickeln, welches die Interaktion zwischen DIAPH1 und ctRAGE am effektivsten unterbricht.
An Mäusen wurde dann mit der Hilfe eines speziellen Tests, der bei den Tieren Entzündungen auslöste, nachgewiesen, dass die mit RAGE229 behandelten Mäuse einen deutlich niedrigeren Entzündungswert von 2,5 (auf einer Skala von 1 bis 5) aufwiesen. Zum Vergleich: Mäuse, welchen ein sogenanntes inertes Lösungsmittel (auch als Vehikel bezeichnet) verabreicht wurde, hatten einen Entzündungswert von 3,3.
Erhöhtes Herzinfarktrisiko durch Diabetes
Andere Experimente spiegelten laut dem Team bereits das vorhandene erhöhte Herzinfarktrisiko bei Menschen mit Diabetes wider, welches zumindest teilweise durch höhere Entzündungswerte verursacht werde.
Bei männlichen Mäusen mit Typ-1-Diabetes und einer vorübergehenden Verstopfung einer Koronararterie, welche einen Herzinfarkt simulierte, stellten die Forschenden fest, dass die Menge des abgestorbenen Herzmuskels (sogenanntes Infarktvolumen) nach der Verstopfung bei den mit RAGE229 behandelten Tieren lediglich 28 Prozent betrug. Zum Vergleich: Bei Mäusen, welche mit dem sogenannten Vehikel behandelt wurden, lag der Wert bei 38 Prozent.
Die Fachleute mischten darauf das RAGE229-Molekül in das Futter von Mäusen, weil sich anhand der Nahrungsaufnahme besser bestimmen lässt, inwieweit es langfristige Komplikationen wie diabetische Wunden rückgängig machen kann.
Hoher Blutzucker beeinträchtigt Narbengewebe
So zeigte sich, dass hoher Blutzucker und damit verbundene Entzündungen die Zellen beeinträchtigen, welche Narbengewebe zum Schließen von Wunden bilden. Es stellte sich laut den Fachleuten heraus, dass der Prozentsatz des Wundverschlusses nach 21 Tagen bei männlichen Tieren mit Typ-2-Diabetes, welche für die Studie mit RAGE229 behandelt wurden, bei 90 Prozent lag. Bei Mäusen, die mit dem Vehikel behandelt wurden, lag der Wert dagegen nur bei 65 Prozent.
Verbesserte Wundheilung dank RAGE229
Darüber hinaus habe sich gezeigt, dass die Wundheilung auch auf mikroskopischer Ebene (histologisch) deutlich besser bei Tieren ausfiel, welche mit RAGE229 behandelt wurden, verglichen mit Mäusen, die mit dem Vehikel behandelten wurden.
Weniger Nierenschäden durch RAGE229
Außerdem wurde bei der Studie festgestellt, dass männliche und weibliche Mäuse mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes, die mit RAGE229-Futter gefüttert wurden, deutlich weniger Nierenschäden aufwiesen als Mäuse, die mit dem Kontrollfutter gefüttert wurden. Dies galt gleich in mehrfacher Hinsicht, einschließlich einer geringeren entzündungsbedingten Mesangialsklerose. Dabei handelt es sich laut Aussage der Forschungsgruppe um eine Eiweißablagerung, welche die Fähigkeit der Organe verringert, Abfälle ordnungsgemäß aus dem Blutkreislauf zu filtern.
Arzneimittel mit optimaler Wirksamkeit in Aussicht
„Das in unserer Studie verwendete RAGE229 wird nicht die Version sein, die für klinische Versuche am Menschen empfohlen wird. Wir werden weiterhin intensiv neue Verbindungen synthetisieren und testen und RAGE229 chemisch modifizieren. Diese neuen Moleküle versprechen, in absehbarer Zeit einen endgültigen Arzneimittelkandidaten mit optimaler Wirksamkeit hervorzubringen“, resümiert Studienautorin Dr. Schmidt. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Michaele B. Manigrasso, Piul Rabbani, Lander Egaña-Gorroño, Nosirudeen Quadri, Laura FryeBoyan Zhou, et al.: Small-molecule antagonism of the interaction of the RAGE cytoplasmic domain with DIAPH1 reduces diabetic complications in mice; in: Science Translational Medicine (veröffentlicht Vol 13, Issue 621, 24.11.2021), Science Translational Medicine
- NYU Langone Health / NYU Grossman School of Medicine: Experimental Compound Counters Diabetic Complications (veröffentlicht 24.11.2021), NYU Langone Health / NYU Grossman School of Medicine
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.