Wie sich Darm, Herz und Medikamente beeinflussen
Wie sich Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf die Darmflora auswirken und wie umgekehrt Darmbakterien die Herzgesundheit beeinflussen war zentrales Thema einer aktuellen Studie eines europäischen Forschungsteams. Dabei wurde auch untersucht, welche Wechselwirkungen durch Medikamente in diesem Prozess hervorgerufen werden.
Forschende des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin untersuchten die Wechselwirkungen zwischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dem Mikrobiom im Darm. Besonderes Augenmerk wurde zudem darauf gelegt, wie Medikamente dieses Zusammenspiel beeinflussen. Dabei deckte das Team sowohl positive als auch negative Einflüsse auf. Die Forschungsergebnisse wurden nun in dem renommierten Fachjournal „Nature“ präsentiert.
Warum Herz und Darm unzertrennlich sind
Das Darmmikrobiom, oft als Darmflora bezeichnet, umfasst alle lebenden Mikroorganismen, die in unserem Darm leben. Dass diese Kleinstlebewesen einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit haben, wurde bereits in zahlreichen aktuellen Studien nachgewiesen. Dennoch sind viele Fragen in diesem Gebiet unbeantwortet. Ein europäisches Forschungsteam konnte nun den Zusammenhang zwischen der Herzgesundheit und der Zusammensetzung der Darmflora näher beleuchten. Dabei zeigte das Team auch, welchen Einfluss Medikamente auf diese Wechselwirkung haben können.
„Wir wollten herausfinden, wie sich kardiometabolische Erkrankungen und das Mikrobiom gegenseitig beeinflussen, welche Rolle die verordneten Medikamente und auch Antibiotika dabei spielen und wie sich die beobachteten Effekte künftig womöglich nutzen lassen, um die jetzigen Behandlungsmöglichkeiten zu verfeinern und zu verbessern“, fasst Studienleiterin Dr. Sofia Forslund die Intention der Forschungsarbeit zusammen.
Diabetes-Medikament Metformin beeinflusst die Darmflora
Bereits in einer früheren Studie, an der die Bioinformatikerin Forslund beteiligt war, entdeckte sie, dass das Diabetes-Medikament Metformin das Darmmikrobiom verändert. Der Einfluss des Medikaments auf die Darmflora sei sogar stärker als der Einfluss der Krankheit auf die Darmbakterien. „Unsere jetzt publizierte Studie baut auf dieser Entdeckung auf“, so Forslund. Ihr zufolge werden offenbar viele erwünschte sowie unerwünschte Effekte von Medikamenten über bislang wenig erforschte Veränderungen in der Darmflora erzielt.
Verborgene Auswirkungen von Medikamenten
Die Arbeitsgruppe analysierte die Daten von 2.173 Teilnehmenden mit kardiometabolischen Erkrankungen. Dem Team gelang es mithilfe einer neu entwickelten Auswertungsmethode die Auswirkungen von Krankheiten und Medikamenten getrennt voneinander zu betrachten. „So haben wir herausgefunden, dass Medikamente die Signaturen von Krankheiten maskieren und potenzielle Biomarker oder therapeutische Ziele verbergen können“, erklärt Peer Bork aus der Forschungsgruppe.
Die Dosis macht das Gift
„Eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Arbeit ist die Erkenntnis, dass Medikamente – sowohl Antibiotika als auch Nicht-Antibiotika – die molekularen Merkmale des Mikrobioms und des Wirts in einem ähnlichen Ausmaß verändern, wie es die Krankheit und der Lebensstil, etwa die Ernährung und der Faktor Rauchen, zusammen tun“, resümiert Forslund die Studienergebnisse. Die Auswirkungen seien stark abhängig von der Dosis des Arzneien.
Darmflora spiegelt Gesundheitszustand wider
„Wir wissen, dass das Mikrobiom den Gesundheitszustand eines Patienten widerspiegeln und eine Reihe von Biomarkern zur Beurteilung des Schweregrads von Krankheiten liefern kann“, ergänzt Dr. Rima Chakaroun, eine der Hauptautorinnen der Studie und Wissenschaftlerin am Universitätsklinikum Leipzig.
Einfluss von Medikamenten auf Darmflora oft unbekannt
„Es wird jedoch oft übersehen, dass die zur Behandlung einer Krankheit eingesetzten Medikamente auch den Zustand des Mikrobioms beeinflussen“, betont Chakaroun. Darüber hinaus fand das Team heraus, dass gleichzeitig eingenommene Medikamente sich in ihrer Wirkung auf die Darmflora gegenseitig verstärken können.
Nicht alle Effekte sind negativ
Wie die Arbeitsgruppe feststellte sind aber nicht alle Effekte negativ. Die Kombination von Betablockern und Diuretika bei Bluthochdruck führte bei den untersuchten Betroffenen beispielsweise dazu, dass die Population von Darmbakterien der Gattung Roseburia anstieg. Laut den Forschenden wirken diese Keime antientzündlich, indem sie Ballaststoffe abbauen und daraus kurzkettige Fettsäuren herstellen, die vor entzündlichen Prozessen schützen. „Solch unerwartete Effekte von Medikamenten könnten sich künftig medizinisch nutzen lassen“, unterstreicht Forslund.
Antibiotika zerstören die Vielfalt im Darm
Dass Antibiotika auch schädlich für gesundheitsfördernde Bakterien sind, ist zwar schon lange bekannt, doch durch die aktuelle Untersuchung konnten die Forschenden erneut belegen, dass die wiederholte Gabe die Vielfalt im Darm nachhaltig zerstört. Neu ist zudem die Erkenntnis, dass sich dieser Prozess offenbar auch negativ auf den Verlauf von kardiometabolischen Erkrankungen auswirken kann.
Die Arbeitsgruppe rät daher, Antibiotika nur dann zu verordnen, wenn es aus medizinischer Sicht unumgänglich ist. Zudem müsse mehr Forschungsaufwand betrieben werden, um herauszufinden, wie sich die zerstörerischen Wirkungen von Antibiotika abmildern lassen.
Verlust von Darmkeimen beeinflusst chronische Krankheiten
„Abgesehen von kardiometabolischen Erkrankungen verschlimmert der Verlust der Darmkeime viele andere chronische Krankheiten und schwächt die Wirksamkeit ihrer Behandlung ab“, berichtet Studien-Co-Autor Professor Stanislav Dusko Ehrlich vom französischen Forschungsinstitut für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt. „Wichtig sind nun Folgeuntersuchungen, die unsere Erkenntnisse über den Einfluss von Medikamenten auf das Mikrobiom überprüfen“, kommentiert Forslund abschließend. (vb)
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Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin: Herz und Darm sind unzertrennlich (veröffentlicht: 08.12.2021), mdc-berlin.de
- Sofia K. Forslund, Rima Chakaroun, Peer Bork, et al.: Combinatorial, additive and dose-dependent drug microbiome associations; in: Nature, 2021, DOI: 10.1038/s41586-021-04177-9, nature.com
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