Migräne: Mit Antikörpern Attacken vorbeugen
Millionen Menschen leiden an Migräne. Betroffene können durch die Erkrankung regelrecht außer Gefecht gesetzt werden. Typisch sind pochende, hämmernde und einseitige Kopfschmerzen. Oft kommen weitere Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen, Schwindel sowie Appetitlosigkeit hinzu. Zudem sind viele Patientinnen und Patienten geräusch- und lichtempfindlich. Fachleute berichten nun, dass Antikörper bei der Vorbeugung von Migräneattacken helfen können.
Migräne beeinträchtigt das Leben der Betroffenen in fast allen Bereichen. Wenn die Behandlung einzelner Migräneattacken nicht ausreicht oder wenn die Attacken zu oft kommen, kann eine Prophylaxe mit verschiedenen Medikamenten erfolgen. Dabei können aber Nebenwirkungen die Einnahmetreue sehr erschweren. Seit wenigen Jahren steht hierzulande der monoklonale Antikörper Erenumab zur Verfügung, der kausal an dem Migräne-auslösenden Protein „CGRP“ beziehungsweise dessen Rezeptor angreift, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) in einer aktuellen Mitteilung. Eine Studie verglich jetzt Erenumab direkt mit einem anderen Prophylaxemedikament und konnte eine klare Überlegenheit hinsichtlich der Effektivität und Verträglichkeit belegen.
Migräneprophylaxe wird häufig abgebrochen
In Deutschland leiden laut der DGN etwa 20 Prozent aller Frauen und acht Prozent der Männer an Migräne. Sie ist die häufigste Kopfschmerzform. Die wiederkehrenden Attacken können das Leben der Betroffenen enorm belasten: es kommt nicht nur zu Arbeitsausfällen, sondern auch Familie, Freundinnen und Freunde, Partnerschaft und die gesamte individuelle Lebensqualität sind beeinträchtigt.
Zur Therapie der Migräne stehen verschiedene Medikamente und auch Hausmittel zur Verfügung. Für die Akutbehandlung werden in der Regel zunächst nichtsteroidale Analgetika wie Ibuprofen empfohlen. Wenn die Wirkung unzureichend ist, folgen an zweiter Stelle Triptane wie beispielsweise Sumatriptan.
Den Fachleuten zufolge wird bei zunehmender Krankheitslast (Häufigkeit, Dauer, Stärke) eine dauerhafte Migräneprophylaxe empfohlen. Dazu eignen sich Topiramat, Beta-Blocker, Flunarizin Amitriptylin sowie einige andere. Die Wahl der Arzneimittel richtet sich nach Aspekten wie Begleiterkrankungen, Verträglichkeit oder individueller Wirkung. Oft wird eine Migräneprophylaxe wegen Nebenwirkungen abgebrochen.
Neue Behandlungsstrategie setzt am CGRP-Rezeptor an
Inzwischen hat die Erforschung der komplexen Pathomechanismen der neurovaskulären Erkrankung auch zur Entwicklung von kausal ansetzenden Therapien geführt. Wie die DGN erklärt, steht am Beginn eines Migräneanfalls die endogene Freisetzung von Serotonin, es kommt zu einer Erweiterung von Hirngefäßen und zur verstärkten Produktion von Neuropeptiden wie dem „Calcitonin-Gene-Related-Peptide“ (CGRP).
Eine neue Behandlungsstrategie setzt am CGRP-Rezeptor an. Dabei gibt es Substanzen für die Akuttherapie (sogenannte Ditane und Gepante) und für die Prophylaxe. Zu letzteren gehören monoklonale Antikörper gegen CGRP oder gegen den CGRP-Rezeptor (Erenumab). Erenumab ist hierzulande seit drei Jahren zugelassen.
Die jetzt in der Fachzeitschrift „Cephalalgia“ veröffentlichte Studie verglich die Verträglichkeit und Effektivität einer Migräneprophylaxe mit Erenumab gegenüber Topiramat. Letzteres ist ein Antiepileptikum, aber auch für die Vorbeugung der Migräne zugelassen.
An der Studie nahmen 82 Zentren in Deutschland teil. Von 2019 bis 2020 wurden insgesamt 777 Patientinnen und Patienten mit mindestens vier Migräne-Tagen pro Monat, die bisher weder Erenumab noch Topiramat erhalten hatten, zu gleichen Teilen in zwei Gruppen randomisiert.
Die Teilnehmenden erhielten über 24 Wochen entweder Erenumab (monatlich 70 oder 140 mg subkutan) oder Topiramat (oral 50 bis 100 mg/d nach individueller optimaler Wirksamkeit). Primärer Endpunkt war der Therapieabbruch aufgrund unerwünschter Ereignisse. Ein sekundärer Endpunkt war der Anteil an Patientinnen und Patienten, die eine mindestens 50-prozentige Reduktion ihrer ursprünglichen Migräne-Tage erreichten.
Beträchtlicher Zusatznutzen
Im Ergebnis schlossen insgesamt 95,1 Prozent der Teilnehmenden die Studie ab. In der Erenumab-Gruppe brachen 10,6 Prozent die Behandlung aufgrund unerwünschter Ereignisse ab – gegenüber 38,9 Prozent in der Topiramat-Gruppe. Signifikant mehr Patientinnen und Patienten erreichten mit Erenumab eine mindestens 50-prozentige Reduktion ihrer monatlichen Migräne-Tage (55,4 % versus 31,2 %). Das Sicherheitsprofil zeigte laut den Fachleuten keine Auffälligkeiten. Verträglichkeit und Effektivität von Erenumab waren insgesamt besser als von Topiramat.
„Die hier gezeigte Überlegenheit von Erenumab gegenüber Topiramat ist erfreulich. Dies ist die erste Studie, die einen monoklonalen Antikörper gegen ein traditionelles Migräneprophylaktikum untersucht hat“, kommentiert Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN. „Bei der Migräneprophylaxe stellt neben der Wirksamkeit auch die Verträglichkeit einen entscheidenden Faktor für den Therapieerfolg dar“, so der Experte.
„Gerade bei der Migräneprophylaxe ist eine zielgerichtete personalisierte Therapie heute sehr wichtig, um eine optimale Adhärenz zu erreichen. Grundsätzlich sollten aber auch nicht-medikamentöse Verfahren nicht unversucht bleiben wie beispielsweise Ausdauertraining, kognitive Verhaltenstherapie, Biofeedback und Entspannungstechniken. Bei Therapieresistenz bzw. wenn die Behandlung der akuten Migräneattacken nicht ausreicht, stellt Erenumab eine vielversprechende Erweiterung der therapeutischen Möglichkeiten für die Prävention dar.“
Allerdings gibt es eine Einschränkung des GBA (Gemeinsamer Bundesausschuss) für die Verschreibung der monoklonalen Antikörper. Diese können nur dann verordnet werden, wenn die konventionellen Medikamente zur Migräneprophylaxe nicht wirksam waren, nicht vertragen wurden oder kontraindiziert sind.
Der GBA stellt jedoch auch einen beträchtlichen Zusatznutzen von Erenumab gegenüber Topiramat fest. Die Jahresbehandlungskosten (ohne Rabatte) betragen für Erenumab 5.992,22 Euro und für Topiramat 277,07 Euro. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Effektive Migräne-Prophylaxe mit monoklonalen Antikörpern, (Abruf: 11.12.2021), Deutsche Gesellschaft für Neurologie
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, (Abruf: 11.12.2021), Deutsche Gesellschaft für Neurologie
- Reuter U, Ehrlich M, Gendolla A et al.: Erenumab versus topiramate for the prevention of migraine - a randomised, double-blind, active-controlled phase 4 trial; in: Cephalalgia, (veröffentlicht: 07.11.2021), Cephalalgia
- Gemeinsamer Bundesausschuss: Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie: Anlage XII – Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V Erenumab (Neubewertung aufgrund neuer Wissenschaftlicher Erkenntnisse (Migräne-Prophylaxe)), (Abruf: 11.12.2021), Gemeinsamer Bundesausschuss
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.