Hauptgift des Knollenblätterpilzes gegen Krebs
Der dem gewöhnlichen Champignon ähnelnde Knollenblätterpilz enthält eines der tödlichsten Gifte des Pflanzenreichs, das α-Amanitin. Forschenden ist jetzt die Synthese dieses Pilzgifts gelungen. Damit wird sein Einsatz als Medikament zur Bekämpfung von Krebs erleichtert.
Schon vor Jahren berichtete das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), dass das Gift α-Amanitin aus dem Knollenblätterpilz Krebs stoppen kann. Nun gelang Forschenden aus Berlin die Synthese des Gifts.
Synthetische Herstellung von alpha-Amanitin
Laut einer aktuellen Mitteilung hat ein Team um Professor Dr. Roderich Süssmuth von der Technischen Universität (TU) Berlin einen Weg zur synthetischen Herstellung von alpha-Amanitin gefunden.
Den Angaben zufolge spielt dieses Pilzgift eine entscheidende Rolle bei einer innovativen Methode zur Tumorbekämpfung: Bei der sogenannten ATAC-Technologie wird Amanitin an Antikörper gekoppelt, die spezifisch an Krebszellen andocken und in diese eindringen können. Das Gift wird dann in der Zelle freigesetzt und führt zum Zelltod.
Bislang war es aber nur schwer möglich, die für eine klinische Nutzung erforderlichen Mengen von Amanitin herzustellen – weder über die Zucht von Knollenblätterpilzen noch über biotechnologische Pilzkulturen ist das gelungen. Der nun gefundene Weg zur klassischen chemischen Synthese eröffnet dagegen einen neuen und eleganten Weg zur Amanitin-Produktion im industriellen Maßstab.
Die Arbeitsgruppe Süssmuth und die Firma „Heidelberg Pharma Research GmbH“ berichten von diesem Erfolg in einem Artikel für das Fachmagazin „Journal of the American Chemical Society“.
Chemikalien müssen möglichst effizient eingesetzt werden
„Es ist ein bisschen wie Schachspielen, kombiniert mit der Knotentheorie“, so Süssmuth. Die Herausforderung: Ausgehend von acht, zum Teil komplexen Aminosäuren das alpha-Amanitin-Molekül aufzubauen, das aus zwei Molekül-Ringen besteht.
Wie im Schach komme es bei Synthesewegen laut dem Experten auf die „Eröffnung“ an; hier also darauf, wie zunächst die komplexen Aminosäuren synthetisiert werden können und an welcher Stelle an welchem der beiden Molekül-Ringe dann mit dem Aufbau des Amanitins begonnen wird. „Im Verlauf der Synthese müssen Sie immer wieder geschickt kombinieren und Entscheidungen treffen, zum Beispiel auch, welchen der beiden Ringe Sie zuerst schließen“, erläutert der Forscher.
Die dazu notwendigen Reaktionsschritte haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei ganz klassisch im Chemielabor ausprobiert, sozusagen mit Pipette und Erlenmeyerkolben. „Dabei sollte die Synthese in möglichst wenigen Reaktionsschritten zum Ziel führen. Und die verwendeten Chemikalien müssen möglichst effizient eingesetzt werden, um eine hohe Ausbeute an Amanitin zu gewährleisten“, erklärt Süssmuth.
Zum einen sei das wichtig, um nachher in der industriellen Produktion überhaupt wirtschaftlich arbeiten zu können. Zum anderen ist das Ziel, den schnellsten und effizientesten Weg zu beschreiten, auch patentrechtlich wichtig.
Vielversprechende Ergebnisse
Das Gift des Knollenblätterpilzes wurde bereits in den 1950er-Jahren durch den Nobelpreisträger Heinrich Otto Wieland und seinen Sohn Theodor untersucht. Seit über zehn Jahren wird auch versucht, alpha-Amanitin in der Bekämpfung von Tumoren einzusetzen.
Der dabei angewandte Trick: Das starke Zellgift wird an spezielle Antikörper gebunden, welche an bestimmte Strukturen auf Tumorzellen andocken. Dann dringen die Antikörper mit dem Gift im Schlepptau in die Zelle ein. Das Amanitin hemmt dort den Prozess, mit dem die Erbgutinformationen aus der DNA im Zellkern abgelesen und in Baupläne für die lebenswichtigen Proteine der Zelle umgewandelt werden – die Zelle stirbt ab.
Diese sogenannten „Antibody Targeted Amanitin Conjugates” sind die Grundlage der ATAC-Technologie von Heidelberg Pharma. „Die an die ATACs gestellten Anforderungen sind sehr hoch“, sagt Süssmuth. „Die Antikörper dürfen ihre Fracht beim Weg durch den Körper nicht verlieren, sonst würde das Gift zu schweren Nebenwirkungen führen. Andererseits muss sich das Amanitin in den Tumorzellen vom Antikörper lösen, sonst kann es nicht wirken.“
Wie in der Mitteilung erklärt wird, ist ein großer Vorteil, dass Amanitin nicht von den Enzymen der Zelle inaktiviert wird. Die Ergebnisse aus Tierversuchen seien sehr vielversprechend: Die ATACs zeigten demnach eine hohe Wirksamkeit, überwanden häufige Resistenzmechanismen und konnten auch ruhende Tumorzellen bekämpfen.
Den Angaben zufolge steht der Einsatz gegen das Multiple Myelom kurz vor der klinischen Phase, der gegen das Non-Hodgkin-Lymphom und gegen eine spezielle Form von Prostatakrebs befinden sich in der präklinischen Prüfung.
Aussicht auf industrielle Wirkstoffproduktion
Voraussetzung für diese Erfolge ist die Aussicht auf eine industrielle Wirkstoffproduktion. Weil sich Amanitin nur in Hut und Stil des Knollenblätterpilzes bildet, war eine Produktion über Zellkulturen nicht möglich. Ebenso ist bisher auch keine Zucht der Pilze selber erfolgreich gewesen. „Mit der chemischen Synthese haben wir nicht nur einen einfachen Zugang zu alpha-Amanitin geschaffen“, so Süssmuth.
Durch gezielte Modifikationen in der Synthese ließe sich jetzt auch eine Vielzahl von neuen Varianten in der Molekülstruktur von Amanitin erzeugen. „Dadurch kann die ATAC-Plattform noch deutlich erweitert werden, was neue Eigenschaften in der Therapie möglich machen könnte.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Technische Universität Berlin: Pilzgift gegen Krebs, (Abruf: 18.12.2021), Technische Universität Berlin
- Guiyang Yao, Caroline H. Knittel, Simone Kosol, Marius T. Wenz, Bettina G. Keller, Hendrik Gruß, Alexandra C. Braun, Christian Lutz, Torsten Hechler, Andreas Pahl & Roderich D. Süssmuth: Iodine-Mediated Tryptathionine Formation Facilitates the Synthesis of Amanitins; in: Journal of the American Chemical Society, (veröffentlicht: 30.08.2021), Journal of the American Chemical Society
- Deutsches Krebsforschungszentrum: Gift aus Knollenblätterpilz stoppt Bauchspeicheldrüsenkrebs in Mäusen, (Abruf: 18.12.2021), Deutsches Krebsforschungszentrum
Wichtiger Hinweis:
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