Cannabis: Mehr Forschung zur medizinischen Wirkungsweise nötig
In zahlreichen Ländern wird Cannabis auch als Medizin verwendet. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass die Heilpflanze unter anderem bei chronischen Schmerzen, gegen Darmentzündungen oder zur Appetitsteigerung bei HIV/AIDS eingesetzt werden kann. Fachleute betonen, dass noch mehr Forschung angebracht sei, um das enorme therapeutische Potenzial der Pflanze zu ergründen.
Wie das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) auf dem Portal „Patienten-Information.de“ schreibt, kann Cannabis bei schweren Krankheiten verordnet werden. Voraussetzung ist aber, dass andere Behandlungen nicht zur Verfügung stehen oder nicht möglich sind. Außerdem muss nach ärztlicher Einschätzung die Chance bestehen, dass sich Beschwerden durch Cannabis bessern.
Noch keine ausreichende Datenlage
Schon seit über zwanzig Jahren wird das Endocannabinoidsystem des menschlichen Körpers international erforscht, um auch die Wirkungsweise von Cannabis und dessen Inhaltsstoffen zu verstehen.
Es gibt zahlreiche Hinweise auf therapeutische Erfolge beim Einsatz von Cannabinoiden für Indikationen wie zum Beispiel Epilepsie oder Schmerztherapie, die nicht nur begleitend, sondern als Primärtherapie funktionieren könnten, heißt es in einer aktuellen Mitteilung (PDF) der Medizinischen Universität (MedUni) Wien.
Aber es gibt noch immer keine ausreichende Datenlage zur Entwicklung sicherer Cannabinoid-basierter Medikamente in Österreich, weshalb eine Forschungsgruppe um Tibor Harkany, Neurobiologe und Leiter der Abteilung für Molekulare Neurowissenschaften am Zentrum für Hirnforschung der MedUni Wien, das enorme therapeutische Potenzial des medizinischen Gebrauchs von Cannabis in einem kürzlich veröffentlichten Übersichtsartikel in dem Fachjournal „Science“ zusammengefasst hat.
Sehr spezifisch einsetzbar
Laut den Fachleuten ist es ein schwieriger gesellschaftspolitischer Diskurs, der den Fortschritt einer Entwicklung von Arzneimitteln hemmt, die Inhaltsstoffe der Heilpflanze Cannabis sativa enthalten. Denn einerseits steht die Gefahr des Missbrauchs von Cannabis als Rauschmittel permanent im Raum, und andererseits herrscht aktuell ein Trend mit großer Nachfrage nach im Handel frei erhältlichen Produkten mit Cannabinoiden.
Tibor Harkany konstatiert ein widersprüchliches Phänomen: „Wir wissen, dass Cannabis bei vielen Krankheiten eingesetzt werden könnte und zum Teil kennen wir auch die Wirkweise. Aber durch diese vielen Produkte entsteht auch der Eindruck, es hilft bei allem und nichts. Cannabis ist aber keine Wunderpflanze, sondern sehr spezifisch einsetzbar und dazu brauchen wir dringend mehrere evidenzbasierte wissenschaftliche klinische Studien“.
Den Angaben zufolge sind die klinischen Wirkungen von Cannabismedikamenten in der Mehrzahl auf eine Aktivierung von endogenen Cannabinoid-CB1- und CB2-Rezeptoren zurückzuführen. Die am höchsten konzentrierten Stoffe aus der Cannabis-Pflanze sind delta-9-tetrahydrydrocannabiol (THC) sowie Cannabidiol (CBD), wobei letzteres keine psychogenen Effekte bedingt.
CBD wird aus anekdotaler Beobachtung eine schmerzlindernde, angstlösende, antiepileptische, antipsychotische, sedierende und neuroprotektive Wirkung zugeschrieben. Die Substanz ist derzeit in einigen Ländern für die Behandlung therapieresistenter Epilepsie und spastischer Lähmungen zugelassen.
In Österreich sind die CBD-haltigen Medikamente Sativex zur Behandlung von Multipler Sklerose und Spasmen sowie Epidiolex zur Therapie von bestimmten genetische Epilepsieformen zugelassen. Außerdem wird Dronabinol als zusätzliche Medikation bei chronischen Schmerzen und im Rahmen von Krebstherapien gegeben.
Bessere Erforschung der spezifischen Wirkungen
Harkany betont den potenziellen Einsatz von Cannabinoiden sogar als primäre Therapieform bei Epilepsie, da hier der Krankheitsverlauf schnell und günstig beeinflusst werden könnte.
Der Psychiater Siegfried Kasper, emeritierter Leiter der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Wien, der große Erfahrung mit derartigen klinischen Studien hat und mit Harkany im Sinne der translationalen Forschung an mehreren Projekten zusammenarbeitet, resümiert:
„Es wäre von großer Wichtigkeit, dass sowohl Universitäten als auch Pharmafirmen grundlegende und translationale Studien zur besseren Erforschung der spezifischen Wirkungen von Cannabinoiden initiierten. Denn es gäbe eine große Zukunft, wenn man die Anwendungsformen von Cannabis standardisieren und dann mit diesem standardisierten Extrakt in speziellen klinischen Studiendesigns erforschen würde.“
Die beiden Wissenschaftler sind sich einig in der Überzeugung, „dass Cannabis in die wissenschaftliche Medizin geholt werden muss“. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Medizinische Universität Wien: Cannabis in der Medizin: Enormes therapeutisches Potenzial, aber wesentliche Studien fehlen noch, (Abruf: 28.12.2021), Medizinische Universität Wien (PDF)
- Erik Keimpema, Vincenzo Di Marzo, Tibor Harkany: Biological basis of cannabinoid medicines; in: Science, (veröffentlicht: 16.12.2021), Science
- Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin: Cannabis als Medizin?, (Abruf: 28.12.2021), Patienten-Information.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.