Erdnussallergie: Bietet der Wirkstoff AR101 einen Zusatznutzen?
Vor einigen Jahren wurde in der Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“ eine Studie veröffentlicht, derzufolge die kontrollierte Aufnahme von Erdnussprotein über den Wirkstoff AR101 helfen kann, bei Menschen mit einer Erdnussallergie eine Toleranz aufzubauen. Nun wurde untersucht, ob dieser Stoff einen Zusatznutzen für Betroffene bringt.
Der Wirkstoff AR101, ein Erdnussproteinpulver in definierter Dosis, ist für die orale Dauertherapie von Patientinnen und Patienten mit einer diagnostisch bestätigten Erdnussallergie zugelassen, die zu Beginn der Therapie vier bis 17 Jahre alt sind. Wie es in einer Mitteilung heißt, hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in einer frühen Nutzenbewertung nun untersucht, ob die Substanz den Betroffenen einen Zusatznutzen bietet.
AR101 mit Placebo verglichen
Den Angaben zufolge enthält das Dossier des Herstellers Daten zweier randomisierter, doppelblinder Zulassungsstudien, in denen AR101 mit Placebo verglichen wurde. In beiden Studienarmen war jeweils eine erdnussvermeidende Diät vorgeschrieben, und bei allergischen Symptomen war jeweils der Einsatz von Medikamenten wie etwa Antihistaminika oder Adrenalin erlaubt.
Das entspricht der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegten zweckmäßigen Vergleichstherapie. Die Unterschiede zwischen den Studien waren laut dem IQWiG so gering, dass sie in einer Metaanalyse zusammengefasst werden konnten.
Bei einer Hyposensibilisierung mit AR101 schließt sich an eine initiale Dosis eine Steigerungsphase von 20 bis 40 Wochen an, bis schließlich die Erhaltungsdosis von 300 mg pro Tag erreicht ist. In den Studien wurde die Medikation nach einer Erhaltungsphase von weiteren 12 bis 28 Wochen beendet; im Alltag muss die Medikation aber dauerhaft fortgesetzt werden.
Aufgrund des Risikos allergischer Reaktionen finden der Behandlungsbeginn sowie die Dosissteigerung unter ärztlicher Aufsicht statt. Wer dieses Mittel einnimmt, kann zudem weder auf eine erdnussvermeidende Ernährung noch auf einen Adrenalin-Pen verzichten.
Kein statistisch signifikanter Unterschied
In den beiden Studien traten keine Todesfälle auf. In der Kategorie Morbidität gab es bei dem patientenrelevanten Endpunkt „allergische Reaktionen infolge versehentlicher Exposition mit Erdnüssen“ keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den Studienarmen. Etwa ein Drittel dieser allergischen Reaktionen waren jeweils systemisch. Damit ist ein Zusatznutzen in diesem Endpunkt nicht belegt.
Erhoben wurde auch die Symptomfreiheit in einer doppelblinden, placebokontrollierten Provokationstestung mit 1000 mg Erdnussprotein am Ende der Erhaltungsphase. Ob dieser Surrogatendpunkt Vorhersagen über allergische Reaktionen nach versehentlicher Erdnussexposition im Zuge einer außerklinischen Hyposensibilisierungstherapie bei Erdnussallergie erlaubt, steht aber nicht fest: Möglicherweise können im Alltag auch kleinere Mengen Erdnussprotein allergische Reaktionen hervorrufen, zum Beispiel wenn die Betroffenen sich körperlich angestrengt oder heiß geduscht haben, ihr Magen leer ist oder sie zugleich einen Infekt haben.
Der in den Studien beobachtete Vorteil im Surrogatendpunkt schlug sich laut den Fachleuten nicht in einem Rückgang der allergischen Reaktionen nach versehentlicher Erdnussexposition oder der allergischen Reaktionen insgesamt nieder. Stattdessen wurde – selbst noch in der Erhaltungsphase – ein Anstieg der allergischen Reaktionen gegenüber dem Vergleichsarm beobachtet.
Behandlung häufiger abgebrochen
Eine Behandlung mit AR101 wurde öfter wegen unerwünschter Ereignisse abgebrochen als die zweckmäßige Vergleichstherapie; etwa jede beziehungsweise jeder Zehnte beendete die Behandlung mit AR101 vorzeitig: ein Beleg für einen höheren Schaden. Auch systemische allergische Reaktionen traten nach Gabe des AR101-Erdnussproteinpulvers öfter auf als nach Gabe des Placebos. Dies ist ebenfalls ein Beleg für einen höheren Schaden.
Zudem zeigten sich in den Endpunkten „Bauchschmerzen“, „Bauchschmerzen im Oberkörper“, „Juckreiz im Mundraum“, „Parästhesie oral“, „Engegefühl im Hals“ sowie „Erkrankungen des Ohrs und des Labyrinths“ Nachteile, aus denen sich jeweils ein Beleg für einen höheren Schaden von AR101 im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie ergibt.
All diese Symptome sind typische allergischen Reaktionen auf das Erdnussprotein. Eine Behandlung mit AR101 führt somit zu einem vermehrten Auftreten genau der Symptome, die durch eine Hyposensibilisierung vermieden werden sollen.
In den Endpunkten „schwerwiegende unerwünschte Ereignisse“, „schwere unerwünschte Ereignisse“ und „schwere systemische allergische Reaktionen“ gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungsarmen.
Gesundheitsbezogene Lebensqualität
Neben den Symptomen wurde auch die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Studienteilnehmenden abgefragt, doch die Fragebögen wurden nicht adäquat eingesetzt. Zum Beispiel kann mit einer einmaligen Befragung am Ende der Behandlung weder die Belastung in den verschiedenen Therapiephasen noch die Belastung durch die Allergie nach dem Hyposensibilisierungsversuch angemessen erfasst werden. Daher ist für die gesundheitsbezogene Lebensqualität ein Zusatznutzen nicht belegt.
„Dabei wären Daten zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität besonders wichtig, um den Einfluss der Dauertherapie auf die Patientinnen und Patienten zu beurteilen“, so Daniela Preukschat aus dem IQWiG-Ressort Arzneimittelbewertung. „Schließlich müssen sie sich weiterhin erdnussfrei ernähren und in ihrer Kost und Lebensweise alles vermeiden, was die Schwelle zur allergischen Reaktion absenken kann. Zum Beispiel sollen sie unmittelbar vor und drei Stunden nach der Behandlung körperliche Anstrengung vermeiden.“
Auch die systemischen allergischen Reaktionen traten in den Studien bis zuletzt, einschließlich der Erhaltungsphase, öfter auf als unter der Vergleichstherapie. All dies kann sich auf die Lebensqualität auswirken.
Beleg für einen geringeren Nutzen
„Unklar bleibt auch, wie lange die Behandlung fortgesetzt werden sollte“, sagt Preukschat. „Grundsätzlich wären bei Nahrungsmittelallergien Informationen zu allergischen Reaktionen nach einem Abbruch der Behandlung vonnöten. Denn selbst wenn eine Hyposensibilisierung eine gewisse Toleranz bewirkt, könnte diese womöglich kurze Zeit nach Behandlungsabbruch wieder verschwinden. Solange dazu keine Daten vorliegen, müssen die Nachteile der Therapie auch vor dem Hintergrund einer potenziell lebenslangen Einnahme betrachtet werden. Aussagekräftige Daten sind dringend notwendig, da zahlreiche Menschen sehr auf eine wirksame Therapie ihrer Allergien hoffen.“
Weil die Behandlung mit AR101 – abgesehen von einem artifiziellen Surrogatendpunkt – ausschließlich negative Effekte hatte, lautet das Fazit: Für Patientinnen und Patienten mit bestätigter Diagnose einer Erdnussallergie, die zu Behandlungsbeginn vier bis 17 alt sind, gibt es auf Basis der derzeit vorliegenden Evidenz einen Beleg für einen geringeren Nutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: Hyposensibilisierung mit AR101 bei Erdnussallergie: Beleg für einen geringeren Nutzen, (Abruf: 18.01.2022), Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
- The PALISADE Group of Clinical Investigators: AR101 Oral Immunotherapy for Peanut Allergy; in: New England Journal of Medicine, (veröffentlicht: 22.11.2018), New England Journal of Medicine
Wichtiger Hinweis:
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