Nebenwirkungen von Corona-Impfung meist auf Placebo-Effekt zurückzuführen
Zahlreiche Menschen haben nach Impfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 beziehungsweise die durch den Erreger ausgelöste Erkrankung COVID-19 über Nebenwirkungen berichtet. Forschende haben nun festgestellt, dass der Placebo-Effekt für mehr als zwei Drittel dieser unerwünschten Ereignisse verantwortlich ist.
Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 gelten als gut wirksam und ihr Nutzen überwiegt bei weitem mögliche Risiken. Doch wie auch bei allen anderen Impfstoffen kann es nach einer Impfung mit COVID-19-Impfstoffen zu Nebenwirkungen kommen. Für einen Großteil dieser unerwünschten Ereignisse ist jedoch der sogenannte Placebo-Effekt verantwortlich, wie Forschende nun berichten.
Zahlreiche Nebenwirkungen nach Placebo-Verabreichung
Der Placebo-Effekt ist das bekannte Phänomen, dass sich die körperliche oder geistige Gesundheit einer Person verbessert, nachdem sie eine Behandlung ohne pharmakologischen therapeutischen Nutzen bekommen hat – zum Beispiel eine Zuckerpille oder eine Spritze mit Kochsalzlösung.
Manchmal können Placebo-Effekte auch schaden – der sogenannte „Nocebo-Effekt“ tritt auf, wenn eine Person nach einer Behandlung ohne pharmakologische Wirkung unangenehme Nebenwirkungen erfährt.
In einer neuen Meta-Analyse von randomisierten, placebokontrollierten COVID-19-Impfstoffstudien verglichen Forschende des Beth Israel Deaconess Medical Center (BIDMC) in Boston (USA) die Raten von Nebenwirkungen, die von Teilnehmenden gemeldet wurden, die die Impfstoffe erhielten, mit den gemeldeten Raten von unerwünschten Ereignissen von Personen, die eine Placebo-Injektion ohne Impfstoff erhielten.
Während die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler feststellten, dass deutlich mehr Studienteilnehmende, die den Impfstoff erhielten, über Nebenwirkungen berichteten, berichtete auch fast ein Drittel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die das Placebo erhielten, über mindestens ein unerwünschtes Ereignis, wobei Kopfschmerzen und Müdigkeit am häufigsten auftraten. Die Ergebnisse des Teams wurden in dem Fachjournal „JAMA Network Open“ veröffentlicht.
Unerwünschte Ereignisse nach der ersten Dosis
„Unerwünschte Ereignisse nach einer Placebobehandlung sind in randomisierten kontrollierten Studien häufig“, erläutert die Hauptautorin Julia W. Haas, PhD, eine Forscherin im Programm für Placebostudien am BIDMC, in einer Mitteilung. „Das Sammeln systematischer Beweise für diese Nocebo-Reaktionen in Impfstoffstudien ist für die COVID-19-Impfung weltweit wichtig, insbesondere weil die Sorge um Nebenwirkungen Berichten zufolge ein Grund für die Zurückhaltung bei der Impfung ist.“
Haas sowie Kolleginnen und Kollegen analysierten Daten aus 12 klinischen Studien mit COVID-19-Impfstoffen. Diese Studien umfassten Berichte über Nebenwirkungen von 22.578 Placeboempfängerinnen und -empfängern sowie 22.802 Impfstoffempfängerinnen und -empfängern.
Nach der ersten Injektion traten bei mehr als 35 Prozent derjenigen, die ein Placebo erhielten, systemische Nebenwirkungen auf – Symptome, die den ganzen Körper betreffen, wie Fieber –, wobei Kopfschmerzen und Müdigkeit mit 19,6 Prozent beziehungsweise 16,7 Prozent am häufigsten auftraten. 16 Prozent der Placeboempfängerinnen und -empfänger berichteten über mindestens ein lokales Ereignis, wie Schmerzen an der Injektionsstelle, Rötung oder Schwellung.
Im Vergleich dazu kam es bei 46 Prozent der Impfstoffempfängerinnen und -empfänger nach der ersten Injektion zu mindestens einem systemischen unerwünschten Ereignis und zwei Drittel von ihnen berichteten von mindestens einem lokalen Ereignis.
Obwohl diese Gruppe eine pharmakologisch aktive Behandlung erhielt, sind zumindest einige ihrer unerwünschten Ereignisse auf den Placebo- oder in diesem Fall Nocebo-Effekt zurückzuführen, da viele dieser Effekte auch in der Placebo-Gruppe auftraten. Die Analyse von den Forschenden deutet darauf hin, dass Nocebo für 76 Prozent aller unerwünschten Ereignisse in der Impfstoffgruppe und fast ein Viertel aller gemeldeten lokalen Wirkungen verantwortlich war.
Teilnehmende weiter informieren
Nach der zweiten Dosis sanken die Nebenwirkungen in der Placebo-Gruppe auf 32 Prozent. Im Gegensatz dazu berichteten Teilnehmende, die den Impfstoff erhielten, über mehr Nebenwirkungen, wobei 61 Prozent über systemische unerwünschte Ereignisse und 73 Prozent über lokale unerwünschte Ereignisse berichteten. Die Forschenden berechneten, dass Nocebo für fast 52 Prozent der Nebenwirkungen verantwortlich war, die nach der zweiten Dosis gemeldet wurden.
„Unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen und Müdigkeit – von denen wir gezeigt haben, dass sie besonders noceboempfindlich sind – werden in vielen Informationsbroschüren zu den häufigsten Nebenwirkungen nach der COVID-19-Impfung aufgeführt“, erläutert der leitende Autor Ted J. Kaptchuk vom BIDMC und Professor für Medizin an der Harvard Medical School.
Während manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler annehmen, dass die Information der Patientinnen und Patienten über Nebenwirkungen Schaden anrichten kann, ist Kaptchuk der Ansicht, dass es ethisch notwendig ist, die Teilnehmenden vollständig über die möglichen Nebenwirkungen der Impfstoffe zu informieren.
„Medizin basiert auf Vertrauen“, so Kaptchuk. „Unsere Ergebnisse führen uns zu der Annahme, dass die Information der Öffentlichkeit über das Potenzial von Nocebo-Reaktionen dazu beitragen könnte, die Sorgen über die COVID-19-Impfung zu reduzieren, was die Impfzögerung verringern könnte.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Beth Israel Deaconess Medical Center: Placebo Effect Accounts for More Than Two-Thirds of COVID-19 Vaccine Adverse Events, Researchers Find, (Abruf: 19.01.2022), Beth Israel Deaconess Medical Center
- Julia W. Haas, PhD; Friederike L. Bender, MS; Sarah Ballou, PhD; et al: Frequency of Adverse Events in the Placebo Arms of COVID-19 Vaccine Trials: A Systematic Review and Meta-analysis; in: JAMA Network Open, (veröffentlicht: 18.01.2022), JAMA Network Open
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.