Diabetes: Mehr Lebensqualität durch KI
Typ-1-Diabetes ist laut Fachleuten die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter. In Deutschland sind etwa 32.500 Kinder und Jugendliche im Alter bis 19 Jahren davon betroffen. Wenn kleine Kinder an Diabetes leiden, ist dies nicht nur für sie selbst, sondern auch für die Eltern eine enorme Belastung. Forschende berichten nun, dass Künstliche Intelligenz (KI) dazu beitragen kann, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Wie es in einer aktuellen Mitteilung heißt, stellt die Diagnose Typ-1-Diabetes bei Kindern im Vorschulalter Eltern vor große Herausforderungen. Ein von der Universität Cambridge (Großbritannien) entwickeltes „Closed-Loop-System“ – Glukosemanagement per Handy-App, Glukosesensor sowie Insulinpumpe – kann den Alltag der Betroffenen extrem erleichtern und die Blutzuckereinstellung der Kinder sicher und effektiv verbessern. Dies sind die Ergebnisse aus dem soeben abgeschlossenen EU-Projekt KidsAP, an dem auch die Medizinischen Universitäten Wien, Graz und Innsbruck beteiligt waren. In dem Fachmagazin „New England Journal of Medicine“ wird über das Projekt berichtet.
Aufwendige Behandlung
Die Behandlung von Typ-1-Diabetes bei Kleinkindern ist aufwendig und raubt Eltern im wahrsten Sinn des Wortes oft den Schlaf. Nicht nur tagsüber muss der Blutzucker mehrmals gemessen und je nach Kohlenhydrataufnahme die entsprechende Insulindosis berechnet und verabreicht werden. Auch nachts bedarf es mehrmaliger Blutzuckerkontrollen und gegebenenfalls einer Insulin- oder Kohlenhydratzufuhr.
Den Angaben zufolge haben Kleinkinder ausgeprägte Blutzuckerschwankungen, einen sehr geringen Insulinbedarf und ein unvorhersehbares Ess- und Bewegungsverhalten und sind somit gefährdet, gefährlich niedrige Blutzuckerspiegel (Hypoglykämie) und hohe Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie) zu haben.
Wenn der Blutzucker zu stark und plötzlich sinkt, kann das zu Bewusstlosigkeit und Krampfanfällen führen, ein zu lange anhaltender hoher Blutzuckerspiegel erhöht die Gefahr der akuten schweren Stoffwechselentgleisung und Entwicklung der lebensbedrohlichen diabetischen Ketoazidose.
Hohe Belastung der Eltern verringern
In Verbindung mit Künstlicher Intelligenz (KI), einem Algorithmus zur Steuerung des sogenannten „Closed-Loop-Systems“, lassen sich die hohe Belastung der Eltern verringern und das Glukosemanagement erheblich verbessern. Dies ist das Ergebnis des von der Universität Cambridge koordinierten und soeben abgeschlossenen internationalen EU-Projekts KidsAP, an dem neben weiteren europäischen Studienzentren auch die Medizinischen Universitäten in Innsbruck, Graz und Wien maßgeblich beteiligt waren.
Dieses System, das in sieben Studienzentren (Cambridge, Leeds, Luxemburg, Leipzig, Graz, Innsbruck, Wien) an insgesamt 74 Kindern zwischen 1 und 7 Jahren getestet wurde, funktioniert mit einer von Roman Hovorka an der Universität Cambridge entwickelten App (CamAPS FX), die in Kombination mit einem Glukosesensor und einer Insulinpumpe als künstliche Bauchspeicheldrüse fungiert.
Wie in der Mitteilung erklärt wird, wird die abgegebene Insulinmenge basierend auf vorhergesagten oder Echtzeit-Glukosewerten automatisch angepasst. Für die lückenlose Anpassung des Glukose- und Insulinbedarfs muss die Betreuungsperson des Kindes nur zu den Mahlzeiten Insulin verabreichen, zu allen anderen Zeiten arbeitet der Algorithmus von selbst, um den programmierten Glukosezielwert (meist 100 mg/dl) zu erreichen und stabil zu halten. Die Frequenz der blutig gemessenen Werte kann damit deutlich verringert werden.
Verbesserung der Glukoseseinstellung
Um Sicherheit und Wirksamkeit des Closed-Loop-Systems im Vergleich zur sensorunterstützten Insulinpumpentherapie zu überprüfen, verwendeten die teilnehmenden Kinder 16 Wochen lang das von der App gesteuerte System und anschließend 16 Wochen lang die Kontrolltherapie mit der herkömmlichen sensorunterstützten Insulinpumpenbehandlung.
Die Auswertung der Daten hat ergeben, dass die Zeit im Glukose-Zielbereich (70-180 mg/dl) signifikant erhöht werden konnte, so dass die Kinder zusätzliche 125 Minuten pro Tag länger im Zielbereich waren. Das hatte bei ohnedies schon sehr gut eingestellten jungen Patientinnen und Patienten eine Senkung des HbA1c-Wertes um 0,7 Prozent zur Folge. Dieser Laborwert gibt Auskunft über die Einstellung des Stoffwechsels: je niedriger, desto besser die Prognose und geringer das Risiko für durch Diabetes bedingte Spätfolgen.
Zusätzlich zu dieser Verbesserung konnte auch die Zeit mit erhöhten Blutzuckerwerten mithilfe des Closed-Loop-Systems um neun Prozentpunkte reduziert werden. Laut den Fachleuten konnte diese Verbesserung der Glukoseseinstellung ohne eine Zunahme von Hypoglykämien erfolgen. In beiden Untersuchungen war das Hypoglykämierisiko gleichwertig niedrig.
Zudem berichteten die Leiterinnen der drei österreichischen Studienzentralen Innsbruck (Sabine E. Hofer, Univ.-Klinik für Pädiatrie I), Graz (Elke Fröhlich-Reiterer, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde und Julia Mader, Universitätsklinik für Innere Medizin) und Wien (Birgit Rami-Merhar, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde) von Eltern, die das Closed-Loop-System als „enorme Erleichterung sowohl tags- wie auch nachtsüber“ einstufen. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Medizinische Universität Innsbruck: Mit künstlicher Bauchspeicheldrüse zu mehr Lebensqualität, (Abruf: 22.01.2022), Medizinische Universität Innsbruck
- Julia Ware, M.D., Janet M. Allen, R.N., Charlotte K. Boughton, Ph.D., Malgorzata E. Wilinska, Ph.D., Sara Hartnell, B.Sc., Ajay Thankamony, M.Phil., Carine de Beaufort, Ph.D., Ulrike Schierloh, M.D., Elke Fröhlich-Reiterer, M.D., Julia K. Mader, M.D., Thomas M. Kapellen, Ph.D., Birgit Rami-Merhar, M.D., et al., for the KidsAP Consortium: Randomized Trial of Closed-Loop Control in Very Young Children with Type 1 Diabetes; in: New England Journal of Medicine, (veröffentlicht: 20.01.2022), New England Journal of Medicine
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.