Placebo- und Nocebo-Effekt
Von dem Placebo-Effekt haben die meisten Menschen bereits gehört, doch der Nocebo-Effekt ist deutlich weniger bekannt. Der Mediziner Dr. Daniel Allan von der Cleveland Clinic in den USA erläutert, wie Placebos ihre positive Wirkung entfalten und warum bei dem Nocebo-Effekt negativen Folgen auftreten können.
Placebos zur Arzneimittel-Überprüfung
Placebos werden in vielen klinischen Studien als Vergleich genutzt, um zu ermitteln, ob neue medizinische Behandlungsansätze wirken. Dabei nutzt man Placebos in verschiedenen Formen, beispielsweise Zuckerpillen oder Kochsalz- und Wasserinjektionen, berichtet der Experte in einer Pressemitteilung der Cleveland Clinic.
Durch den Vergleich mit der Wirkungen eines Placebos kann die Wirksamkeit neuer Arzneimittel bestimmt werden. Während eine Gruppe in einer Untersuchung beispielsweise lediglich ein Placebo erhält, bekommt eine andere Gruppe das Medikament. Dadurch, dass die Teilnehmenden nicht wissen, ob sie ein Placebo oder das reale Arzneimittel erhalten, können mögliche Verzerrungen vermieden werden.
Oft zeigen die Teilnehmenden, welche einen Placebo eingenommen haben, eine ähnlich positive Wirkung wie anderen Versuchspersonen – mit real messbaren gesundheitlichen Verbesserungen. So stellt sich die Frage, wie ein Placebo eine echte Heilwirkung haben kann, wenn es doch nur Zucker, Salz oder Wasser enthält.
Verbindung zwischen Psyche und Placebos
„Placebos sind nicht dazu gedacht, eine Behandlung zu bewirken, aber wenn man sie jemandem gibt, können sie aufgrund ihrer Wirkung auf die Psyche einer Person manchmal eine Verbesserung bewirken”, erläutert Dr. Allan. Hierbei seien psychologischen Zusammenhänge entscheidend. Eine wichtige Rolle spielen ihm zufolge die Erwartungshaltung, die Konditionierung und auch die Ausschüttung bestimmter Hormone.
Zwar bleibe zu den genauen Gründen für die positive Wirkung noch weitere Forschung erforderlich, doch werde die Wirkung insbesondere auf die Erwartungen einer Person zurückgeführt, dass ein Mittel tatsächlich eine Krankheit heilen kann. „Je stärker die Erwartungen und der Glaube einer Person an die Behandlung sind und daran, ob sie anschlägt oder nicht, desto mehr beeinflusst dies das Ergebnis”, berichtet Dr. Allan.
Und je öfter man die Erwartungen mit positiven Ergebnissen in Verbindung bringen könne, desto häufiger greife man auf diese Art von Behandlung zurück. Dieses Verhalten, werde als Konditionierung bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein erlerntes Verhalten, bei dem man beginnt, sich auf ein bestimmtes Ergebnis zu verlassen, erläutert der Mediziner.
Als Beispiel nennt Dr. Allan die Nutzung von Arzneien gegen Kopfschmerzen. Wenn man im Laufe der Jahre gegen Kopfschmerzen immer wieder Paracetamol einnimmt, assoziiere das Gehirn mit der Einnahme der Medikamente bereits eine Schmerzlinderung und es sei möglich, dass die Kopfschmerzen verschwinden, noch bevor das Medikament seine eigentliche Wirkung im Körper entfaltet.
Placebo-Effekt bei Yoga und Meditation
Auch bei Yoga und Meditation wirke ein ähnlicher Mechanismus. Wenn bei einem dieser Rituale bereits ein Gefühl der inneren Ruhe aufgetreten ist, sei es wahrscheinlicher, dass dieses Gefühl der Ruhe auch beim nächsten Mal erlebt wird, weil das Gehirn begonnen habe, Yoga und Meditation mit Stressabbau zu assoziieren.
„Wenn man etwas mehr als einmal erlebt und ein bestimmtes Ergebnis erzielt hat, fängt der Verstand an, ein bestimmtes Ergebnis zu erwarten, sobald man eine ähnliche Erfahrung durchlebt”, erklärt Dr. Allan. Mit anderen Worten ausgedrückt: Diese Wiederholbarkeit kann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.
Rolle der Hormone beim Placebo-Effekt
Laut dem Experten setzt das Gehirn als Reaktion auf bestimmte Erwartungen und Verhaltensweisen Hormone frei. Werde beispielsweise ein Placebo eingenommen, von dem berichtet wurde, dass es bei der Entspannung und dem Schlaf hilft, und eine medizinisch glaubhafte Erklärung hierfür geliefert, könnte das Gehirn die Produktion von Stresshormonen einstellen (oder weniger davon bilden) und Endorphine ausschütten, was helfe, sich zu entspannen.
Es sei aber auch das Gegenteil möglich. Wenn jemand ein Placebo erhält und ihm gesagt wird, dass es ein Stimulans ist, steigen dadurch der Pulsschlag und der Blutdruck und die Reaktionszeit verbessert sich, erläutert Dr. Allan. Dies gelte auch für umstrittenere Formen der Behandlung, wie beispielsweise unregulierte Produkte, die angeblich hohe Konzentrationen von CBD-Öl enthalten.
„Selbst wenn sie nichts enthalten, wird es einen gewissen Prozentsatz von Menschen geben, in manchen Fällen fast 50 Prozent, die sich besser fühlen, auch wenn sie nichts davon haben”, erläutert Dr. Allan. Mit anderen Worten ausgedrückt: Da den herstellenden Firmen der Placebo-Effekt bekannt ist, benötigen sie kein besonders wirksames Produkt, weil die nutzenden Personen den Eindruck haben, dass es ihnen durch die Behandlung besser geht und deswegen das Produkt erneut erwerben.
Therapeutische Nutzung von Placebos
Placebos wurden bereits in verschiedenen Studien erfolgreich zur Behandlung von zahlreichen Gesundheitsebschwerden verwendet, berichtet Dr. Allan. Insbesondere habe sich die vorteilhafte Wirkung des Placebo-Effekts beispielsweise gezeigt bei:
- Chronischen Schmerzen,
- Übelkeit,
- Schlafstörungen,
- Depressionen und andere Stimmungsstörungen.
Migräne mit Placebo behandeln
Auch gab es bereits eine Untersuchung, welche sich mit der Behandlung von Migräne mit der Hilfe von Placebos befasst hat. In dieser wurde analysiert, wie sich die Kennzeichnung eines Medikaments auf den Erfolg einer Behandlung auswirkt. Dabei wurde festgestellt, dass Menschen, denen gesagt wurde, sie bekämen ein Placebo, genauso viel Verbesserungen verspürten wie Personen, denen ein Placebo verabreicht wurde, das als Markenmedikament gekennzeichnet war.
„Die Theorie war, dass die Menschen das Ritual der Medikamenteneinnahme mit einer positiven Heilwirkung in Verbindung bringen. Man weiß vielleicht intellektuell, dass das, was man einnimmt, keine Wirkung hat, aber es bleibt der Gedanke, dass einige dieser Placebo-Reaktionen außerhalb der eigenen bewussten Wahrnehmung liegen“, erläutert Dr. Allan.
Placebo zur Behandlung des Reizdarmsyndroms
In einer weiteren Untersuchung befassten sich Fachleute mit der Behandlung des Reizdarmsyndroms. So zeigte sich, dass Menschen, welche ein Placebo einnehmen, in 40 bis 50 Prozent der Fälle positive Wirkungen erfahren, wenn sie eine positive Beziehung zu der Therapeutin beziehungsweise dem Therapeuten hatten.
Was ist der Nocebo-Effekt?
In manchen Fällen tritt auch ein sogenannter Nocebo-Effekt oder ein negatives Ergebnis auf. Dabei gilt laut Dr. Allan die Regel: Wenn man einen negativen Effekt erwartet, ist es wahrscheinlicher, dass man ein negatives Ergebnis erlebt. Ein relativ aktuelles Beispiel hierfür liefere eine Studie zu den COVID-19 Impfstoffen.
In der Studie wurde festgestellt, dass 76 Prozent der Nebenwirkungen (beispielsweise Kopfschmerzen und Müdigkeit), die bei 45.380 Teilnehmenden aufgetreten waren, nachdem sie entweder den COVID-19-Impfstoff oder ein Placebo erhalten hatten, auf den Nocebo-Effekt zurückgingen, berichtet der Mediziner.
Insgesamt lasse sich sagen, dass positive Erwartungen und Erfahrungen, beispielsweise durch die Einnahme eines Medikaments oder Placebos, zu vorteilhaften Auswirkungen beitragen. Wenn Menschen jedoch das Auftreten eines Problems erwarten, werden solche Probleme häufig durch die Psyche ausgelöst, resümiert Dr. Allan hinzu.
Zudem scheint die Ausschüttung von Hormonen und Botenstoffen dabei maßgeblich entscheidend, doch wie genau diese mit den Erwartungshaltungen zusammenhängt und welche Prozesse hierbei im Körper ablaufen, bleibt weiterhin unklar. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Cleveland Clinic: What’s the Placebo Effect? (veröffentlicht 04.02.2022), Cleveland Clinic
- Slavenka Kam-HansenMoshe JakubowskiJohn M. KelleyIrving KirschDavid C. Hoaglin, et al.: Altered Placebo and Drug Labeling Changes the Outcome of Episodic Migraine Attacks; in: Science Translational Medicine (veröffentlicht 08.01.2014), Science Translational Medicine
- Ching-Liang Lu, Full-Young Chang: Placebo effect in patients with irritable bowel syndrome; in: European Journal of Gastroenterology & Hepatology (veröffentlicht 28.03.2011), European Journal of Gastroenterology & Hepatology
- Julia W. Haas, Friederike L. Bender, Sarah Ballou, John M. Kelley, Marcel Wilhelm, et al.: Frequency of Adverse Events in the Placebo Arms of COVID-19 Vaccine Trials; in: JAMA Network Open (veröffentlicht 18.01.2022), JAMA Network Open
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.