Atherosklerose per Augen-Analyse aufdecken
Das Auge verrät offenbar mehr über die Gesundheit der Gefäße als bislang gedacht. Ein deutsches Forschungsteam stellt eine neue Diagnose-Methode vor, mit der über ein Foto der Augen Gefäßerkrankungen wie Atherosklerose oder periphere arterielle Verschlusskrankheiten (paVK) aufgedeckt werden können.
Forschende der Universität Bonn, der Universitäts-Augenklinik Bonn und der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Bonn haben eine Methode entwickelt, die sich zur Diagnose von Atherosklerose und paVK eignen könnte. Ein Algorithmus wertet dabei die Aufnahme eines Auges aus und kann so Anzeichen von Gefäßerkrankungen im Frühstadium erkennen. Die Methode wurde kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Scientific Reports“ vorgestellt.
Die Augen als Fenster in die Blutgefäße
In der Poesie gelten die Augen als Fenster zur Seele. In der Medizin scheinen die Augen ein Fenster in die Blutgefäße zu sein. Die Arbeitsgruppe der Universität Bonn konnte mithilfe eines Algorithmus und einer selbstlernenden Software Patientinnen und Patienten mit paVK bereits im Frühstadium identifizieren.
Gefäßerkrankungen reduzieren die Lebenserwartung
Gefäßerkrankungen wie Atherosklerose (Arterienverkalkung) und paVK verursachen im frühen Krankheitsstadium selten Beschwerden. Das Vorhandensein solcher Erkrankungen steht jedoch mit einer verminderten Lebenserwartung in Verbindung – selbst wenn sie keine direkten Beschwerden verursachen.
Wie Augen und Blutgefäße verbunden sind
Wie die Forschenden erklären, ist der Augenhintergrund (fachsprachlich: Fundus) sehr gut durchblutet. Das liegt unter anderem daran, dass über 100 Millionen Fotorezeptoren in der Netzhaut samt zugehörigen Nervenzellen versorgt werden müssen. Die an das Auge angeschlossenen Gefäße lassen sich durch die Pupille besonders gut beobachten und fotografieren.
Verengungen und Verhärtungen in den Gefäßen erkennen
Dies lässt sich laut dem Forschungsteam auch zur Früherkennung von Atherosklerose ausnutzen. Charakteristisch sind für diese Erkrankung chronische Umbauvorgänge in den Gefäßen, die sich durch Verengungen und Verhärtungen den Arterien zeigen.
Solche Verengungen und Verhärtungen sind laut der Arbeitsgruppe die Hauptursache von Herzinfarkt und Schlaganfall – den häufigsten Todesursachen in den westlichen Industrienationen.
paVK über die Augen diagnostizieren
Darüber hinaus könnte über die Augen-Analyse auch paVK aufgedeckt werden. Von der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit sind allein in Deutschland über vier Millionen Menschen betroffen. „Weil sie in den ersten Jahren meist keinerlei Beschwerden verursacht, erfolgt die Diagnose oft erst, wenn schon Folgeschäden eingetreten sind“, betont Sudienautor Dr. Nadjib Schahab.
„Die Konsequenzen können dramatisch sein“, warnt Dr. Schahab. „Langfristig können die fortschreitenden Durchblutungsstörungen in den Beinen und Armen sogar eine Amputation nach sich ziehen.“ Zudem sei das Risiko für einen tödlichen Herzinfarkt oder Schlaganfall deutlich erhöht – und das schon in frühen Stadien der Erkrankung, so der Experte.
Bessere Prognose bei früher Diagnose
Daher sei eine frühe Diagnose sehr wichtig, um Betroffene rechtzeitig therapieren zu können. An dieser Stelle könnte die Augen-Analyse ansetzen, um Risikopersonen frühzeitig zu identifizieren. „Wir haben 97 Augen von Frauen und Männern fotografiert, die unter einer paVK litten“, ergänzt Dr. Maximilian Wintergerst von der Universitäts-Augenklinik Bonn.
„Bei mehr als der Hälfte von ihnen war die Krankheit noch in einem Stadium, in dem sie keine Beschwerden verursachte.“ Zusätzlich fotografierte die Arbeitsgruppe den Hintergrund von 34 Augen gesunder Kontrollpersonen.
Neuronales Netz erkennt frühe Gefäßveränderungen
Die Bilder wurden dann von dem künstlichen neuronalen Netzwerk (KNN) ausgewertet. Das System konnte anhand der Augenfotos „mit bemerkenswerter Genauigkeit diagnostizieren, ob sie von einem paVK-Patienten oder einem Gesunden stammten“, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
„Gut 80 Prozent aller Betroffenen wurden korrekt identifiziert, wenn wir 20 Prozent falsch-positive Fälle in Kauf nahmen – also Gesunde, die der Algorithmus fälschlicherweise als krank klassifizierte“, erläutert Professor Dr. Thomas Schultz aus der Forschungsgruppe.
Eine einfache, schnelle und zuverlässige Diagnosemethode
In weiteren Schritten soll die Genauigkeit des Systems weiter verbessert werden. Hierzu will das Team mit globalen Augenheilkunde- und Gefäßmedizin-Zentren kooperieren, um das Netzwerk mit weiteren Bildern zu trainieren. Langfristig soll so eine einfache, schnelle und zuverlässige Diagnosemethode zur Erkennung von Gefäßerkrankungen entstehen. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universität Bonn: Auge liefert Hinweise auf schleichende Gefäßerkrankung (veröffentlicht: 11.02.2022), uni-bonn.de
- Mueller, S., Wintergerst, M.W.M., Falahat, P. et al.: Multiple instance learning detects peripheral arterial disease from high-resolution color fundus photography; in: Scientific Reports (2022), nature.com
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.