Grippe: Universeller Impfstoff in Sicht?
Im Gegensatz zur normalen Erkältung (grippaler Infekt) ist die Grippe eine ernst zu nehmende Erkrankung, die auch einen schweren Verlauf nehmen und sogar tödlich enden kann. Daher wird vor allem Menschen aus Risikogruppen empfohlen, sich gegen Influenza-Viren impfen zu lassen. Neueste Ergebnisse lassen nun darauf hoffen, dass künftig keine jährliche Auffrischung mehr nötig wird.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die jährliche Impfung gegen Grippe für alle, die ein erhöhtes Risiko haben, besonders schwer daran zu erkranken. Die Impfung sollte jedes Jahr, vorzugsweise ab Oktober bis Mitte Dezember, durchgeführt werden. Möglicherweise reicht es in Zukunft, dass nur noch einmal geimpft werden muss.
- Forschende haben eine neue Klasse breit neutralisierender Antikörper gegen das Influenza-Virus identifiziert.
- Ihre Ergebnisse lassen auf einen universellen Grippeimpfstoff hoffen.
- Damit wäre in Zukunft möglicherweise keine jährliche Auffrischung mehr nötig.
Jährlich angepasste Impfstoffe erforderlich
Laut einer aktuellen Mitteilung der Universität Innsbruck, erkranken in einem typischen Jahr allein in Österreich circa 5 -15 Prozent der Bevölkerung an Influenza und rund 1.000 Personen sterben an einer Ansteckung mit Grippeviren.
Impfstoffe gegen das Grippevirus bringen das Immunsystem in der Regel dazu, Antikörper zu bilden, die den Kopf des Hämagglutinins (HA) erkennen, ein Protein, das sich von der Oberfläche des Virus nach außen erstreckt.
Der Kopf ist der am besten zugängliche Bereich des HA und damit ein gutes Ziel für das Immunsystem; leider ist er jedoch auch einer der variabelsten: Von Jahr zu Jahr mutiert der HA-Kopf oft, so dass jährlich angepasste Impfstoffe gegen das Grippevirus erforderlich sind.
Körper zur Bildung von Antikörpern angeregt
Forschende haben experimentelle Grippeimpfstoffe entwickelt, die universeller sind und den Körper dazu anregen, Antikörper gegen die weniger variable Stielregion des HA zu bilden, die sich wie ein Stiel zwischen dem Influenzavirus und dem HA-Kopf erstreckt. Derzeit befinden sich einige dieser universellen Grippeimpfstoffe in frühen klinischen Versuchen.
In einer neuen Studie hat ein internationales Forschungsteam 358 verschiedene Antikörper im Blut von Personen analysiert, die entweder einen saisonalen Grippeimpfstoff erhalten haben, an einer Phase-I-Studie für einen experimentellen universellen Grippeimpfstoff teilnahmen oder sich auf natürliche Weise mit Grippe angesteckt hatten.
Bei vielen der im Blut der Teilnehmenden vorhandenen Antikörper handelte es sich um Antikörper, von denen bereits bekannt war, dass sie entweder den HA-Kopf oder den HA-Stiel erkennen. Eine Gruppe neuer Antikörper stach aber heraus: Diese Antikörper binden an den unteren Teil des Stiels, den die Forschenden in weiterer Folge als Anker bezeichneten.
Den Angaben zufolge befindet sich dieser Anker in der Nähe der Stelle, an der jedes HA-Molekül an der Membran des Grippevirus befestigt ist. Insgesamt identifizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 50 verschiedene Antikörper gegen den HA-Anker, die von insgesamt 21 Personen stammten.
Die Studie, die von Monica Fernández-Quintero und Klaus Liedl vom Institut für Allgemeine, Anorganische und Theoretische Chemie der Uni Innsbruck zusammen mit Forschenden der University of Chicago, des Scripps Research Institute und der Icahn School of Medicine durchgeführt wurde, ist in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht worden.
Ergebnisse bestätigt
„Unser Beitrag im Rahmen dieser internationalen Kooperation bestand aus der Simulation und Optimierung von Modellen der Antikörper“, erklärt Liedl.
„Aufbauend auf unsere jahrelange Arbeit in diesem Bereich sind wir in der Lage, Antikörper und ihr Verhalten mithilfe von Graphics Processing Units (GPU) zu simulieren. Da wir unsere Rechnersysteme selbst zusammenbauen, können wir sie an besonders herausfordernde Problemstellungen anpassen.“
Andrew Ward und seine Kollegen bei Scripps Research in den USA haben die Antikörper im Anschluss mittels Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) untersucht und es zeigte sich, dass diese im Labor erzielten Resultate die Ergebnisse der ersten Simulationen bestätigten.
„Nachdem die Zuverlässigkeit unserer Simulationen bestätigt war, untersuchten wir anhand weiterer Modelle vier Antikörper und konnten so wesentliche Erkenntnisse über ihr Verhalten und ihre Bindeeigenschaften liefern“, so Fernández-Quintero.
„Diese Modelle bestätigten auch, dass die neu identifizierte Art der Antikörper sowohl in ihrer Struktur als auch in ihrer Funktion sehr stark konserviert ist. Das hat uns auch den Vergleich dieser Strukturen immens erleichtert, denn wenn alle relativ gleich sind, kann man die Dynamiken und Unterschiede gezielt lokalisieren und genauer untersuchen“, sagt die Nachwuchswissenschaftlerin.
Die Forscherinnen und Forscher planen nun weitere Studien zur Entwicklung eines Impfstoffs, der möglichst direkt auf den HA-Anker verschiedener Grippestämme abzielt und so die Bildung der neu identifizierten Antikörper-Klasse auslöst. Die Antikörper selbst könnten laut den Fachleuten auch als Arzneimittel mit breiter therapeutischer Anwendung entwickelt werden. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universität Innsbruck: Neueste Ergebnisse lassen auf universellen Grippeimpfstoff hoffen, (Abruf: 12.02.2022), Universität Innsbruck
- Guthmiller, J.J., Han, J., Utset, H.A. et al.: Broadly neutralizing antibodies target a haemagglutinin anchor epitope; in: Nature, (veröffentlicht: 23.12.2021), Nature
Wichtiger Hinweis:
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