Übergewicht und Adipositas: Oft vernachlässigte Ursachen
Übergewicht und Adipositas sind in den letzten Jahrzehnten zu einem immer größeren Problem in der öffentlichen Gesundheit geworden. Bereits zwei Drittel aller Männer und die Hälfte aller Frauen gelten hierzulande mit einem BMI über 25 als übergewichtig. Die Ursachen für diese „Adiposita-Epidemie“ sind vielschichtig und gehen über eine erhöhte Kalorienaufnahme und Bewegungsmangel hinaus.
Professorin Dr. Dorothea Portius ist Studiengangsleiterin im Bachelor-Studiengang Ernährungstherapie und -beratung an der SRH Hochschule für Gesundheit. In einem aktuellen Beitrag der Hochschule klärt die Expertin über die wichtigsten Ursachen von Übergewicht und Adipositas auf.
Zu viel Kalorien sind nicht der alleinige Grund
„Man nahm an beziehungsweise so denken immer noch einige Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen, dass die Ursache der Epidemie sehr einfach sei“, erläutert die Professorin. Viele Menschen denken, dass der Konsum zu vieler Kalorien und zu wenig Bewegung an dem Übergewicht Schuld sind. Doch oft sind die Gründe für Fettleibigkeit viel komplexer, als sie im ersten Moment erscheinen.
Weniger bekannte Risikofaktoren für Übergewicht
„Natürlich spielen Nahrungsaufnahme und Bewegung eine entscheidende Rolle“, betont Dr. Portius. Doch darüber hinaus beeinflussen weitere Faktoren das Körpergewicht, die oftmals nicht berücksichtigt werden. Die Ernährungsexpertin nennt fünf wichtige, aber oft vernachlässigte Risikofaktoren für Übergewicht:
- Diäten,
- chronischer Stress,
- Schlafmangel,
- das Mikrobiom im Darm (Darmflora),
- Umweltgifte.
Der Teufelskreis der Diäten
Eine Diät ist oft die erste Maßnahme, die ergriffen wird, wenn die Waage ein nicht gewünschtes Ergebnis anzeigt. Unter Diät verstehen viele Menschen eine temporäre Einschränkung der Kalorien, um überflüssige Pfunde loszuwerden.
Nach Absetzung der Diät erfolgt oft eine Rückkehr zu dem gewohnten Lebensstil, der zu der Gewichtszunahme geführt hat. Die mühsam losgewordenen Pfunde sammeln sich langsam wieder an, bis die nächste Diät angesetzt wird, Stichwort: Jo-Jo-Effekt. Doch nach Angaben von Professorin Portius führen die stetigen Gewichtsschwankungen auch zu Veränderungen im Stoffwechsel.
Stoffwechselstörungen durch Gewichtsschwankungen
Die ständige Folge aus Gewichtsabnahme und Gewichtszunahme ist laut Portius mit einer „Verringerung der Stoffwechselrate“ verbunden. Solche Veränderungen im Stoffwechsel machen das Halten eines gesunden Körpergewichts langfristig schwieriger.
Eine enorme und schlagartige Drosselung der Kalorienzufuhr legt beispielsweise auch den Stoffwechsel lahm. Wird nach der Diät die Kalorienzufuhr wieder erhöht, ist der Stoffwechsel überfordert, was zu einer schnelleren Bildung von Fettmasse führt.
Stress wird als Risikofaktor für Übergewicht oft übersehen
Studiengangsleiterin Portius weist zudem auf den oft übersehenen Zusammenhang zwischen Stress und Übergewicht hin. So kommt es bei Stress zu einer erhöhten Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Bei erhöhten Cortisol-Werten steigt wiederum der Appetit.
Dies äußert sich häufig durch „emotionales Essen“. Bei Stress, Angst, Depression, Frust, Anspannung und Ärger ist die aufgenommene Kalorienanzahl oft höher als in einem ausgeglichenen Zustand. Portius rät daher zum gezielten Stressabbau, beispielsweise durch Bewegung oder Meditation.
Zu wenig Schlaf begünstigt Übergewicht
Hinzu kommt, dass Schlafmangel ebenfalls das Risiko für Übergewicht erhöht. Wie Ernährungsexpertin Portius erklärt, haben Personen, die sechs oder weniger Stunden pro Nacht schlafen, ein größeres Risiko für Adipositas.
Neben der reinen Schlafdauer spielt auch die Schlafqualität eine Rolle. Alkohol, späte Mahlzeiten, langes Fernsehen, Arbeiten bis kurz vor das Schlafengehen oder zu wenig Bewegung am Tag können Faktoren sein, die die Schlafqualität mindern.
Wie beeinflusst die Darmflora das Risiko für Übergewicht?
Dr. Portius verweist auf neuere Studien, die gezeigt haben, dass Veränderungen im Darm-Mikrobiom eine Rolle bei der Entwicklung von Übergewicht spielen können. Dies ist oft der Fall, wenn über die Ernährung zu wenig Ballaststoffe, zu viel Einfachzucker, zu viele ungesunde Fette und zu viele Zusatzstoffe aufgenommen werden.
Eine Ernährung, die durch solche Faktoren geprägt ist, kann die Darmflora schädigen. Dr. Portius empfiehlt daher die regelmäßige Aufnahme von präbiotischen Lebensmitteln wie beispielsweise Hülsenfrüchte, Rohkost und Vollkorngetreide sowie probiotischen Lebensmitteln wie beispielsweise Sauerkraut und Naturjoghurt.
Chemikalien in Alltagsprodukten
Ein weiterer oft vernachlässigter Faktor für Übergewicht ist der regelmäßige Kontakt mit Umweltgiften über alltägliche Produkte wie Pflegeartikel, Reinigungsmittel, Kunststoffe und Baumaterialien.
Typische Beispiele für schädliche Chemikalien sind laut Portius Bisphenol A und Phthalate. Diese Stoffe zählen zur Gruppe der sogenannten endokrinen Disruptoren. Sie stehen in Verbindung mit einem erhöhten Risiko für Fettleibigkeit, da sie vom Aufbau her Hormonen ähneln und vom Körper als solche interpretiert werden können.
Dr. Portius empfiehlt deshalb, Glas- und Edelstahlbehälter für die Aufbewahrung von Essen und Getränken zu nutzen, statt Plastikbehälter. Bei der Pflege sollten natürliche Schönheitsprodukte bevorzugt werden. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- SRH Hochschule für Gesundheit: Übergewicht vorbeugen (veröffentlicht: 14.03.2022), idw-online.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.