Alzheimer: Identifizierung von 75 genetischen Risikofaktoren
Ein internationales Forschungsteam hat 75 Regionen des Genoms identifiziert, die mit der Alzheimer-Krankheit in Verbindung gebracht werden. 42 dieser Regionen sind neuartig, sie wurden also noch nie zuvor mit der Krankheit in Verbindung gebracht.
Um die Alzheimer-Demenz besser verstehen und behandeln zu können, ist es von entscheidender Bedeutung, genetische Risikofaktoren zu identifizieren. Forschende haben nun zahlreiche Regionen des Genoms identifiziert, die mit Alzheimer assoziiert werden. Die in der Fachzeitschrift „Nature Genetics“ veröffentlichten Ergebnisse bringen neue Erkenntnisse über die beteiligten biologischen Mechanismen und eröffnen neue Wege der Behandlung und Diagnose.
Auch mehrere molekulare Signalwege identifiziert
Wie Univ.-Prof. Dr. Dr. Alfredo Ramirez von der Uniklinik Köln und der Medizinischen Fakultät, in einer aktuellen Mitteilung erklärt, ist die neue Studie das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung des größten europäischen Konsortiums für die Alzheimer-Krankheit, der Europäischen Alzheimer DNA Biobank (EADB).
„In dieser Studie konnten wir die Anzahl der genetischen Regionen verdoppeln, die das Risiko der Alzheimer-Krankheit modulieren. Damit haben wir nun 75 Regionen, die Varianten tragen, die das Risiko einer Alzheimer-Demenz erhöhen“, so der Wissenschaftler, dessen Gruppe federführend für die Etablierung und Testung des Risiko-Scores zuständig war, der die genetische Belastung für die Alzheimer-Krankheit widerspiegelt.
Wie der Experte, der auch am CECAD Exzellenzcluster für Alternsforschung der Universität zu Köln forscht, weiter erklärt, haben sie auch mehrere molekulare Signalwege identifiziert, die mit dem Alzheimer-Risiko in Verbindung stehen und die ein interessantes Ziel für zukünftige Interventionen darstellen.
Häufigste Form der Demenz
Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz, einer chronischen neurodegenerativen Erkrankung, von der weltweit mehr als 26 Millionen Menschen betroffen sind, heißt es in einer Mitteilung der University of Bristol, von der ebenfalls Forschende an der Studie beteiligt waren.
In Deutschland sind rund 1,6 Millionen Menschen betroffen. Die Erkrankung, bei der die genetische Komponente eine große Rolle spielt, tritt in der Regel erst nach dem 65. Lebensjahr auf. Meist wird sie auf ein Zusammenwirken verschiedener genetischer Dispositionen mit Umweltfaktoren zurückgeführt.
Auch wenn die Krankheit immer besser verstanden wird, gibt es derzeit keine Heilmethode. Die gängigen Medikamente zielen hauptsächlich darauf ab, den kognitiven Abbau zu verlangsamen sowie bestimmte Verhaltensstörungen zu reduzieren.
Um der Entstehung der Erkrankung weiter auf den Grund zu gehen, besteht eine der Hauptaufgaben der Forschung darin, die genetischen Risikofaktoren durch die Identifikation der beteiligten pathophysiologischen Prozesse genauer zu kennzeichnen und in der Folge neue Therapieziele zu formulieren.
Dysfunktion der angeborenen Immunantwort
In genomweiten Assoziationsstudien werden die Proben von mehreren zehntausend gesunder und erkrankter Personen mit dem Ziel untersucht, ob sich genetische Varianten bei Alzheimer-Betroffenen von denen bei Gesunden unterscheiden.
Um das gesamte Genom zu erforschen, werden mehrere Millionen spezifische genetische Varianten verglichen, die über das gesamte menschliche Genom verteilt sind. Mit dieser Methode konnten nun die mit Alzheimer assoziierte Regionen (loci) des Genoms identifiziert werden.
Für Alzheimer sind zwei charakteristische pathologische Vorgänge bereits gut dokumentiert: zum einen die Akkumulation von Beta-Amyloid-Peptiden, zum anderen die Veränderung des Tau-Proteins und dessen Aggregation in den Neuronenzellen.
Diesbezüglich bestätigten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Bedeutung dieser pathologischen Prozesse. Ihre Analysen der verschiedenen Genomregionen bestätigen, dass einige davon an der Produktion des Peptids Amyloid und der Funktion des Tau-Proteins beteiligt sind.
Zudem zeigen die Analysen, dass bei der Alzheimer-Krankheit eine Dysfunktion der angeborenen Immunantwort und der Mikroglia (Immunzellen im zentralen Nervensystem, die als „Müllabfuhr“ Giftstoffe beseitigen) vorliegt. Und die Studie zeigt erstmals, dass die Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α)-abhängige Signaltransduktion an der Erkrankung beteiligt ist.
Diese Ergebnisse bestätigen und erweitern das Wissen über die an der Krankheit beteiligten pathologischen Prozesse und öffnen der Therapieforschung neue Wege.
Zum Beispiel bestätigen sie den Nutzen der Durchführung klinischer Studien mit Behandlungen, die auf das Amyloid-Precursor-Protein abzielen, die Fortsetzung der vor einigen Jahren begonnenen Erforschung der Bedeutung von Mikrogliazellen und die gezielte Beeinflussung der TNF-α-Signaltransduktion.
Weitere Forschung geplant
Auf der Grundlage ihrer Ergebnisse erstellten die Forschenden einen genetischen Risiko-Score für eine bessere Einschätzung des Fortschreitens in eine Alzheimerdemenz bei Patientinnen und Patienten mit leichten kognitiven Störungen innerhalb von drei Jahren.
„Obwohl dieses Instrument noch nicht für den Einsatz in der klinischen Praxis vorgesehen ist, könnte es aber bei der Erstellung von Therapiestudien sehr nützlich sein, um die Teilnehmer nach ihrem Risiko zu kategorisieren und die Bewertung der getesteten Medikamente zu verbessern“, sagt Prof. Ramirez.
Um die Ergebnisse zu validieren und auszuweiten, möchte das Team seine Forschung nun mit einer noch breiter angelegten Gruppe fortführen. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Uniklinik Köln: Identifikation von 75 genetischen Risikofaktoren, (Abruf: 10.04.2022), Uniklinik Köln
- Bellenguez et al.: New insights into the genetic etiology of Alzheimer’s disease and related dementias; in: Nature Genetics, (veröffentlicht: 04.04.2022), Nature Genetics
- University of Bristol: Identification of 75 genetic risk factors brings new insights for Alzheimer’s, (Abruf: 10.04.2022), University of Bristol
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.