Viele Hypertonie-Betroffene werden nicht gemäß Standard versorgt
Die Behandlung von Bluthochdruck entspricht in Deutschland in einem Großteil der Fälle nicht den Standards, die in der Leitlinie festgelegt sind. Obwohl Hypertonie eigentlich sehr gut behandelbar ist, bleiben Therapie-Erfolge zu oft auf der Strecke.
Fachleute der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) kritisieren, dass die Therapie von Bluthochdruck (Hypertonie) hierzulande selten den Leitlinien-Standards entspricht. Zum einen liege dies an der mangelnden Therapie-Treue der Betroffenen, zum anderen werden aber auch vorhandene Möglichkeiten ärztlicher Seite nicht ausgeschöpft.
Bluthochruck erhöht das Risiko schwerer Komplikationen
Die arterielle Hypertonie zählt zu den häufigsten chronischen Krankheiten in Deutschland. Gleichzeitig ist Bluthochdruck die häufigste Ursache für schwere Folgeerkrankungen wie:
- Schlaganfall,
- Demenz,
- Herzinfarkt,
- Herzschwäche (Herzinsuffizienz)
- und Nierenschwäche (Niereninsuffizienz).
Wie sich eine Senkung von 10 mmHg auswirkt
„Aus Studien wissen wir, dass eine effektive Blutdrucksenkung das Risiko für schwerwiegende Komplikationen deutlich reduzieren kann: Pro 10 mmHg systolischer Blutdrucksenkung verringert sich das Risiko für einen Schlaganfall um 27 Prozent, für Herzinsuffizienz um 28 Prozent und für eine schwerwiegende kardiovaskuläre Erkrankung um 20 Prozent“, betont Professor Dr. Felix Mahfoud vom Universitätsklinikum des Saarlandes.
Bluthochdruck-Leitlinie wurde im Jahr 2018 aktualisiert
Um die Therapie von Bluthochdruck zu verbessern, wurde im Jahr 2018 die europäische Leitlinie zum Management der Hypertonie überarbeitet. Ziel der Aktualisierung war, Patientinnen und Patienten von Beginn der Krankheit an eine intensivere und zielgerichtetere Therapie anbieten zu können.
Die größten Veränderungen im Standard
Eine der größten Änderungen in der Leitlinie war, dass die Zielwerte von Hypertonie-Betroffenen nach unten angepasst wurden. Patientinnen und Patienten sollen nun Werte zwischen 120 bis 130 mmHg systolisch und 70 bis 80 mmHg diastolisch erreichen. Je nach Schwere der Krankheit können diese Werte durch Anpassung des Lebensstils und/oder mit einer medikamentösen Therapie erzielt werden.
„Eine ganz wesentliche Neuerung in den europäischen Empfehlungen ist, dass die meisten Betroffenen von Anfang an mit einer dualen Wirkstoff-Kombination behandelt werden sollten“, fügt DGK-Pressesprecher Professor Dr. Michael Böhm hinzu.
Durch eine duale Wirkstoff-Kombination kann der DGK zufolge eine größere und raschere Blutdrucksenkung erreicht werden. Auf diese Weise gelangen Patientinnen und Patienten schneller in den angestrebten Zielwerte-Bereich und senken gleichzeitig die Last der täglich einzunehmenden Tabletten.
Kombinationspräparate vereinfachen die Bluthochdruck-Behandlung
Laut DGK erleichtern Kombinationspräparate die Therapie von Bluthochdruck für die Betroffenen. Doch eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts e. V. (veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Journal Clinical Research in Cardiology“) zeigte, dass die Verschreibung von Kombinationspräparaten trotz Leitlinien-Empfehlung in den letzten Jahren sogar rückläufig war.
Entwicklung entgegen der Empfehlungen
„Fast zwei Jahre nach der Veröffentlichung der europäischen Leitlinien, zeigt sich in Deutschland eine erschreckend niedrige Rate an Hypertonie-Patient*innen, die eine leitliniengerechte Therapie erhalten“, so Dr. Mahfoud.
Dies ist ihm zufolge von klinischer Relevanz, da eine Therapie mit Kombinationspräparaten nachweislich zu einer besseren Blutdruckkontrolle führt. Zudem vereinfachen die Präparate die Einnahme für die Betroffenen, wodurch die Einnahmetreue erhöht wird.
Eine wesentlicher Punkt, da die unregelmäßige Einhaltung der medikamentösen Therapie nach Angaben der DGK eine der häufigsten Ursachen dafür bildet, dass die Bluthochdruck-Behandlung nicht den gewünschten Erfolg erzielt.
Standards haben viele Praxen noch nicht erreicht
„Die Daten zeigen, dass strukturierte Fortbildungsprogramme notwendig sind, um Ärztinnen und Ärzten von der Wichtigkeit von Leitlinienempfehlungen zu überzeugen“, resümiert Böhm.
Laut Mahfoud befürchten viele Medizinerinnen und Mediziner, dass es zu Regressansprüchen seitens der Krankenkassen kommt. Ein Blick in den Medikationskatalog der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) kann laut der DGK solche Befürchtungen entkräften.
Denn der Katalog unterstützt eine evidenzbasierte, sichere und indikationsgerechte Verordnungsentscheidung, die durch die Leitlinie gesichert ist. Viele der Fixkombinationen zur Behandlung von Bluthochdruck seien in dem Medikationskatalog als „Standard“ eingestuft.
Ein Regressanspruch der Krankenkassen sei auf dieser Grundlage nicht gegeben.
DGK-Präsident fordert stärkere Umsetzung der Leitlinie
„Es bleibt zu hoffen, dass die Verordnungsrealität in Deutschland rasch den klaren Empfehlungen der Fachgesellschaften nachkommt“, mahnt DGK-Präsident Professor Dr. Stephan Baldus. Nur so könne die Blutdruckkontrolle langfristig verbessert werden. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- DGK: Bluthochdruck: Behandlung in Deutschland entspricht selten den Leitlinien-Standards (PDF, veröffentlicht: 12.04.2022), dgk.org
- Mahfoud et al.: Use of fixed-dose combination antihypertensives in Germany between 2016 and 2020: an example of guideline inertia; in: Clinical Research in Cardiology (2022), link.springer.com
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.