COVID-19: Altbekanntes Mittel mit großem Potential
Längst nicht alle Menschen, die sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren, müssen behandelt werden. Die Therapie von COVID-19 richtet sich nach den Symptomen, eine ursächliche Behandlung mit einem speziellen Medikament ist derzeit noch nicht möglich. Forschende berichten nun, dass eine bestimmte Kombination am besten wirkt und dass ein altbekanntes Mittel zum „Gamechanger“ werden könnte.
Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) sowie der Freien Universität (FU) Berlin haben die Wirkmechanismen von antiviralen und antientzündlichen Substanzen zur Behandlung von COVID-19 genauer untersucht. In der Fachzeitschrift „Molecular Therapy“ beschreiben sie, dass eine Kombination aus beiden am besten funktioniert und das Zeitfenster für den Einsatz einer Antikörpertherapie verlängert.
Manche Mittel bekämpfen das Virus, andere die Entzündung
Noch immer müssen manche Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 anstecken, in einem Krankenhaus behandelt werden.
Bei der stationären Behandlung von COVID-19-Patientinnen und -Patienten gibt es inzwischen eine Reihe von Medikamenten, die den Krankheitsverlauf abmildern oder bei Schwerkranken das Risiko eines tödlichen Verlaufs verringern. Einige Mittel bekämpfen das Virus, andere die Entzündung, die es hervorruft.
Wie in einer gemeinsamen Pressemitteilung von Charité, MDC und FU Berlin erklärt wird, werden besonders monoklonale Antikörper und das stark entzündungshemmende Medikament Dexamethason eingesetzt.
Antikörper fangen den Erreger ab, heften sich an die Oberfläche des Spikeproteins und verhindern so, dass es in die menschlichen Zellen eintritt. Diese Behandlung wird bis zum siebten Tag nach Beginn der Symptome angewandt.
Sauerstoffpflichtige COVID-19-Erkrankte im Krankenhaus erhalten in der Regel Dexamethason. Dieses Glukokortikoid hat sich seit etwa 60 Jahren bei einigen, auf einer übermäßigen Aktivierung des Immunsystems beruhenden Entzündungen bewährt.
Auch bei COVID-19 dämpft der Wirkstoff die Entzündungsreaktion des Körpers zuverlässig. Allerdings geht er mit verschiedenen Nebenwirkungen einher, so kann er zum Beispiel Pilzinfektionen nach sich ziehen. Daher sollte das Mittel nur sehr gezielt eingesetzt werden.
Kombination aus Antikörper- und Dexamethason-Behandlung
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Charité, des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie (BIMSB) am MDC sowie der FU Berlin haben die Wirkmechanismen beider Therapien untersucht.
„Dabei haben wir Hinweise dafür gefunden, dass eine Kombination aus Antikörper- und Dexamethason-Therapie besser wirkt als die einzelnen Therapien für sich genommen“, erläutert Dr. Emanuel Wyler, Wissenschaftler der Arbeitsgruppe RNA Biologie und Posttranscriptionale Regulation unter Leitung von Prof. Dr. Markus Landthaler am BIMSB, und Erstautor der Studie.
Weil nicht alle Lungenareale anhand von Proben von Patientinnen und Patienten untersucht werden können, suchten die Forschenden im vergangenen Jahr zunächst nach einem geeigneten Modell. Co-Letztautor Dr. Jakob Trimpert, Tiermediziner und Arbeitsgruppenleiter am Institut für Virologie der FU Berlin, entwickelte in diesem Zuge COVID-19-Hamstermodelle.
Den Angaben zufolge sind die Tiere derzeit der wichtigste nicht transgene Modellorganismus für COVID-19, da sie sich mit denselben Virusvarianten wie Menschen infizieren und ähnliche Krankheitssymptome entwickeln.
Laut den Fachleuten läuft die Erkrankung bei den einzelnen Arten unterschiedlich ab: Goldhamster erkranken nur moderat, während Roborovski-Zwerghamster einen schweren Verlauf zeigen, der dem von COVID-19-Patientinnen und -Patienten auf Intensivstationen ähnelt.
Infiziertes Lungengewebe untersucht
„In der aktuellen Studie haben wir die Auswirkungen von separaten und kombinierten antiviralen und entzündungshemmenden Behandlungen für COVID-19, also mit monoklonalen Antikörpern, Dexamethason oder einer Kombination aus beiden Therapien, in den vorhandenen Modellen geprüft“, sagt Dr. Trimpert.
Um das Ausmaß der Schädigung des Lungengewebes zu analysieren, untersuchte das Team der FU Berlin infiziertes Lungengewebe unter dem Mikroskop. Außerdem bestimmten die Forschenden zu verschiedenen Zeitpunkten der Behandlung die Menge an infektiösen Viren und Virus-RNA. So konnten sie überprüfen, ob und wie sich die Virenaktivität im Lauf der Therapie veränderte.
„Mithilfe von detaillierten Analysen verschiedener Parameter einer COVID-19-Erkrankung, die so nur im Tiermodell möglich sind, ist es uns gelungen, nicht nur die Grundlagen der Wirkungsweise von zwei besonders wichtigen COVID-19-Medikamenten besser zu verstehen, wir fanden auch deutliche Hinweise auf mögliche Vorteile einer Kombinationstherapie aus monoklonalen Antikörpern und Dexamethason“, so Dr. Trimpert.
Gefahr eines akuten Lungenversagens
Einzelzellanalysen haben den Einfluss der Medikamente auf das komplexe Zusammenspiel der Signalwege innerhalb der Gewebezellen und auf die Anzahl der Immunzellen gezeigt. Dabei lassen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die einzelnen Zellen einer Probe über einen Chip laufen. Dort werden sie zusammen mit einem Barcode in kleine wässrige Tröpfchen verpackt.
Auf diese Weise kann die RNA sequenziert und später der Zelle wieder zugeordnet werden. Aus den gewonnenen Daten lässt sich dann mit hoher Präzision auf die Funktion der Zelle schließen. Dr. Wyler zufolge konnte so beobachtet werden dass die Antikörper die Virusmenge effizient reduzieren konnten. Das half im Modell aber nicht viel.
Denn nicht die Viren schädigen das Lungengewebe, sondern die starke Entzündungsreaktion, die die Erreger auslösen. Die Immunzellen, die die Eindringlinge bekämpfen, schütten Botenstoffe aus, um Verstärkung herbeizurufen und die Massen an Abwehrkämpfern, die herbeiströmen, können die Lunge regelrecht verstopfen.
„Verschlossene Blutgefäße und instabile Gefäßwände können dann zu einem akuten Lungenversagen führen“, erklärt der Wissenschaftler.
Eskalation der Immunabwehr wird verhindert
Für eine Überraschung sorgte der altbekannte Entzündungshemmer Dexamethason. Wie die Co-Letztautorin Dr. Geraldine Nouailles, wissenschaftliche Arbeitsgruppenleiterin an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité erklärt, wirkt dieser ganz besonders stark auf eine bestimmte Art von Immunzellen, die Neutrophilen.
Diese gehören zu den weißen Blutkörperchen und treten bei Infektionen mit Viren und Bakterien sehr schnell auf den Plan. „Das Kortison-Präparat unterdrückt das Immunsystem und hindert die Neutrophilen daran, Botenstoffe zu produzieren, die andere Immunzellen anlocken“, erläutert Dr. Nouailles. „So verhindert das Medikament sehr effektiv eine Eskalation der Immunabwehr.“
Die besten Behandlungsergebnisse erreichten die Forscherinnen und Forscher, als sie die antivirale mit der antientzündlichen Therapie kombinierten. Die medizinischen Leitlinien sehen eine solche Kombinationstherapie bislang nicht vor.
„Hinzu kommt, dass eine Antikörpertherapie bislang nur bis zum maximal siebten Tag nach Symptombeginn bei Hochrisikopatientinnen und -patienten verabreicht werden darf“, sagt Dr. Nouailles.
„Dexamethason wird in der Praxis erst verabreicht, wenn Patientinnen oder Patienten sauerstoffpflichtig werden, also ihre Erkrankung bereits weit fortgeschritten ist. In der Kombination hingegen eröffnen sich ganz neue Zeitfenster der Behandlung.“
Ein Ansatz, der jetzt in klinischen Studien überprüft werden muss, bevor er für die Behandlung von Patientinnen und Patienten infrage kommt. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Charité – Universitätsmedizin Berlin: COVID-19-Therapie: Zusammen ist besser als allein, (Abruf: 16.04.2022), Charité – Universitätsmedizin Berlin
- Emanuel Wyler et al.: Key benefits of dexamethasone and antibody treatment in COVID-19 hamster models revealed by single-cell transcriptomics; in: Molecular Therapy, (veröffentlicht: 24.03.2022), Molecular Therapy
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.