Wie Harnwegsinfekte mit dem Darmmikrobiom verbunden sind
Ein großes Problem bei Harnwegsinfektionen ist, dass sie häufig immer wieder auftreten. Auch wenn vorhandene Symptome normalerweise mit Antibiotika erfolgreich behandelt werden können, kommt es oft zu einer erneuten Infektion. Hierfür scheint laut neusten Erkenntnissen die Zusammensetzung des Darmmikrobioms verantwortlich.
In einer neuen Untersuchung unter Beteiligung von Fachleuten der University School of Medicine in St. Louis wurde festgestellt, dass bei der Behandlung von Harnwegsinfektionen mit Antibiotika zwar krankheitsverursachende Bakterien in der Blase abgetötet werden, schädliche Bakterien im Darm aber nicht betroffen sind. Diese Bakterien können dann in die Blase eindringen und eine weitere Harnwegsinfektion verursachen.
Die entsprechenden Studienergebnisse wurden in der englischsprachigen Fachzeitschrift „Nature Microbiology“ veröffentlicht.
Harnwegsinfektionen können regelmäßig auftreten
Die Forschenden berichten, dass es bei einem Viertel der von Harnwegsinfektionen betroffenen Frauen innerhalb von lediglich sechs Monaten zu einer zweiten Harnwegsinfektion kommt und manchmal treten Harnwegsinfekte immer wieder auf. In solchen Fällen müssen alle paar Monate Antibiotika eingenommen werden.
Die neue Untersuchung sollte helfen, zu bestimmen, warum manche Frauen immer wieder von Harnwegsinfektionen betroffen sind. Die Forschungsgruppe untersuchte dafür 15 Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen. Außerdem wurden weitere 16 Frauen untersucht, welche nicht unter dem Problem litten.
Stuhl-, Urin- und Blutproben untersucht
Es wurden zu Beginn der Untersuchung Urin- und Blutproben abgegeben, außerdem wurden jeden Monat Stuhlproben entnommen. Das Team analysierte die bakterielle Zusammensetzung in den Stuhlproben und untersuchte zusätzlich das Urin auf das Vorhandensein von Bakterien. Außerdem maßen die Teilnehmenden die Genexpression in den Blutproben.
Wurden während der Studie Harnwegsinfektion diagnostiziert, entnahm das Team jeweils zusätzliche Urin-, Blut- und Stuhlproben.
Rolle von Antibiotika bei wiederkehrenden Harnwegsinfektionen
Die neuen Ergebnisse deuten darauf hin, dass Frauen, die immer wieder an Harnwegsinfektionen erkranken, durch Antibiotika in eine Art Teufelskreis gelangen, berichtet das Team.
In diesem Teufelskreis tragen die zur Behandlung eingesetzten Antibiotika quasi zu weiteren Infektionen bei, weil Bakterien im Darm von der Behandlung nicht betroffen werden und dann erneut in die Blase gelangen.
Die meisten Harnwegsinfektionen werden durch sogenannte Escherichia coli (E. coli)-Bakterien aus dem Darm verursacht, welche in den Harntrakt gelangen, erläutern die Forschenden. Sie sind Teil der Gemeinschaft von Bakterien im Darm, die als Darmmikrobiom (Darmflora) bezeichnet wird.
Wiederholte Zyklen der Einnahme von Antibiotika richten erheblichen Schaden in dieser Gemeinschaft aus Bakterien, Viren, Pilze und anderen Mikroben an, wodurch nützliche Bakterien schwinden und pathologische Bakterien sich verstärkt ausbreiten können.
Weniger vielfältiges Mikrobiom begünstigt Harnwegsinfekte
Es zeigte sich in der Studie, dass Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen ein weniger vielfältiges Mikrobiom aufwiesen. Dieses zeichnete sich auch durch einen Mangel an bestimmten Bakterien aus, welche eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Entzündungen spielen.
Außerdem lag bei diesen Frauen eine ausgeprägte immunologische Signatur im Blut vor, welche auf Entzündungen hindeutet, so das Team.
Rolle der Hygiene bei Harnwegsinfektionen
Wenn es um die Vermeidung von wiederkehrenden Harnwegsinfektionen geht, wird oft mangelnde Hygiene als Grund angesehen. Dies ist aber laut der Studienautorin Professorin Dr. Helen L. Stoever von der Washington University nicht immer die zugrunde liegende Ursache.
Das Problem liegt vielmehr in der Krankheit selbst, um genauer zu sein, in der Verbindung zwischen Darm, Blase und Entzündungswerten, so Stoever.
Problematischer Einsatz von Antibiotika
Laut der Expertin kann eine Behandlung von wiederkehrenden Harnwegsinfektionen aus ärztlicher Sicht nur mit Antibiotika vorgenommen werden. Dies hat zur Folge, dass immer mehr Antibiotika verschrieben werden, wodurch sich das Problem wahrscheinlich noch weiter verstärkt.
In der neuen Studie traten im Laufe eines Jahres insgesamt 24 Harnwegsinfektionen auf. Es zeigte sich, dass diese allesamt Teilnehmerinnen betrafen, welche eine Vorgeschichte von wiederholten Harnwegsinfektionen hatten.
Bei den wiederkehrenden Harnwegsinfektionen spielten laut den Forschenden die Art der E. coli im Darm oder sogar deren Anwesenheit in der Blase keine große Rolle. Es zeigte sich, dass sowohl bei Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen, als auch bei Frauen ohne solche wiederkehrenden Erkrankungen E. coli-Stämme in ihren Därmen vorhanden waren.
Rolle der Zusammensetzung des Darmmikrobioms
Der eigentliche Unterschied habe in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms gelegen. Teilnehmerinnen mit wiederholten Infektionen wiesen eine geringere Vielfalt gesunder Darmmikrobiomarten auf, so die Fachleute. Dies könnte dazu führen, dass krankheitsverursachenden Arten mehr Möglichkeiten haben, Fuß zu fassen und sich zu vermehren.
Wenig entzündungshemmende Bakterien
Besonders bemerkenswert fanden die Forschenden, dass das Mikrobiom von Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen besonders wenig Bakterien enthielt, welche Butyrat produzieren. Dabei handelt es sich um eine kurzkettige Fettsäure, welche eine entzündungshemmende Wirkung hat.
„Wir vermuten, dass die Frauen in der Kontrollgruppe in der Lage waren, die Bakterien aus ihrer Blase zu entfernen, bevor sie eine Erkrankung verursachten, während dies bei den Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen nicht der Fall war“, erläutert Studienautor Dr. Colin Worby in einer Pressemitteilung.
Die Immunantwort auf die bakterielle Invasion der Blase werde möglicherweise durch das Darmmikrobiom vermittelt, so Worby weiter.
Notwendigkeit von Alternativen zu Antibiotika
Die Forschenden betonen, dass die Ergebnisse der neuen Studie zeigen, wie wichtig es ist, Alternativen zu Antibiotika für die Behandlung von Harnwegsinfektionen zu identifizieren.
„Unsere Studie zeigt deutlich, dass Antibiotika künftige Infektionen nicht verhindern und die Stämme, die Harnwegsinfektionen verursachen, nicht aus dem Darm entfernen, sondern sogar einen Rückfall wahrscheinlicher machen, da sie das Mikrobiom in einem gestörten Zustand halten“, resümiert Dr. Worby.
Das Team um Professorin Dr. Stoever arbeitet bereits seit längerer Zeit an der Entwicklung von innovativen Therapien, mit deren Hilfe krankheitsverursachende E. coli-Stämme aus dem Körper entfernt werden können, ohne dass die übrige bakterielle Gemeinschaft betroffen wird.
Diese Forschung dient als Grundlage für ein experimentelles Medikament auf der Basis des Zuckers Mannosid und für einen Impfstoff. Beides werde aktuell an Menschen getestet. Das Mikrobiom wieder ins Gleichgewicht zu bringen, könnte eine andere Strategie zum Schutz vor wiederkehrenden Harnwegsinfektionen sein, so das Team. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Colin J. Worby, Henry L. Schreiber IV, Timothy J. Straub, Lucas R. van Dijk, Ryan A. Bronson, et al.: Longitudinal multi-omics analyses link gut microbiome dysbiosis with recurrent urinary tract infections in women; in: Nature Microbiology (veröffentlicht 02.05.2022), Nature Microbiology
- Washington University School of Medicine: Recurrent UTIs linked to gut microbiome, chronic inflammation (veröffentlicht 02.05.2022), Washington University School of Medicine
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.