Immunsystem: Potenzieller Jungbrunnen für die Immunabwehr
Unsere Abwehrkräfte haben die Funktion, den Organismus vor Bakterien, Viren und anderen Krankheitserregern zu schützen. Mit zunehmendem Alter funktioniert die Immunabwehr aber immer schlechter und wir werden anfälliger für Infektionen. Forschende berichten nun über einen potenziellen Jungbrunnen für das Immunsystem.
Im Alter nimmt die Leistung des Immunsystems ab, ältere Menschen sind anfälliger für Infektionen. Forschende aus Würzburg und Freiburg haben jetzt einen Ansatz entdeckt, über den sich dieser Prozess bremsen lassen könnte. Über ihre neuen Erkenntnisse wird in der Fachzeitschrift „Nature“ berichtet.
T-Lymphozyten entwickeln sich vor allem in frühen Lebensjahren
Die Coronapandemie hat uns deutlich vor Augen geführt, dass ältere Menschen anfälliger für Infektionen sind und Infektionskrankheiten bei ihnen schwerer verlaufen als bei Jugendlichen. Zudem brauchen sie deutlich länger, bis sie wieder gesund sind. Tatsächlich nimmt die Leistungsfähigkeit unserer Immunabwehr etwa ab dem 60. Lebensjahr kontinuierlich ab.
Der Grund dafür ist bekannt: „Bei der Erkennung von Fremdkörpern und der Abwehr von Infektionen spielen sogenannte T-Lymphozyten eine zentrale Rolle“, erläutert Professor Dominic Grün, Inhaber des Lehrstuhls für Computational Biology of Spatial Biomedical Systems der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und Direktor des Instituts für System Immunologie, in einer Mitteilung.
T-Lymphozyten, die Teil des erworbenen Immunsystems sind, entwickeln sich vor allem in den frühen Lebensjahren im Thymus, einem kleinen lymphatischen Organ, das im Brustkorb hinter dem Brustbein liegt.
„Allerdings schrumpft der Thymus im Laufe des Alters und lässt immer weniger T-Zellen heranreifen mit der Folge, dass die Immunabwehr schwächer wird“, erklärt Professor Thomas Boehm, Leiter einer Arbeitsgruppe am Max Planck Institut für Immunbiologie und Epigenetik.
Warum der Thymus im Laufe des Lebens schrumpft
Die beiden Wissenschaftler haben jetzt gemeinsam neue Details der Vorgänge entschlüsselt, die ablaufen, wenn der Thymus schrumpft. Ihre Erkenntnisse könnten dazu beitragen, die altersbedingte Abnahme der Immunfunktion zumindest zu bremsen und neue Therapien zu entwickeln, die diese Risiken des Alters vermindern.
Dafür haben die Forschenden bereits in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Vorarbeiten geleistet. So konnten in der Arbeitsgruppe von Boehm die genetischen Schalter identifiziert werden, die im Thymus für die T-Zellreifung erforderlich sind. Wesentlich sind dabei sogenannte thymische Epithelzellen, die die T-Zellvorläufer anlocken und zur Reifung bringen.
Frühere Arbeiten in Boehms Labor hatten gezeigt, dass die beiden Hauptformen des thymischen Epithels aus bipotenten Vorläuferzellen hervorgehen. Unklar war jedoch bisher, ob es mehr als einen Vorläufertypus gibt, und in wie viele Unterformen die Vorläufer ausdifferenzieren.
„Um besser zu verstehen, warum der Thymus im Laufe des Lebens schrumpft, ist ein detailliertes Verständnis seiner Zelltypen erforderlich“, so Grün.
Aus Sicht der Wissenschaft wäre es besonders interessant, wenn sich im Gewebe sogenannte „naive Progenitorzellen“ nachweisen ließen. Diese Vorläuferzellen können in alle Epithelzelltypen des Thymus ausreifen und bieten so einen wichtigen Ansatzpunkt, um der Abnahme der Thymusfunktion entgegenzuwirken.
Zwei Vorläuferzelltypen entdeckt
Den beiden Arbeitsgruppen ist es nun gelungen, derartige Vorläuferzellen im Thymus erwachsener Mäuse nachzuweisen. Dabei kamen modernste Methoden der Einzelzellbiologie – insbesondere die sogenannte mRNA-Einzelzellsequenzierung – zum Einsatz.
Grün hat in den vergangenen Jahren maßgeschneiderte bioinformatische Methoden entwickelt, um biologische Erkenntnisse aus diesen komplexen Daten zu gewinnen.
„Diese Technik ermöglicht es, einen molekularen Fingerabdruck einer jeden Zelle auf Basis ihrer Genexpression zu erstellen. Mit Hilfe der molekularen Fingerabdrücke jeder Zelle lässt sich eine Karte aller Differenzierungspfade ableiten, welche die Verwandtschaftsverhältnisse der Zellen, und somit ihren Stammbaum widerspiegelt“, sagt der Forscher.
Mit Hilfe der CRISPR-Genschere und eines im Labor Boehm entwickelten transgenen „Barcoding“-Mausmodells gelang es den Forschungsteams zudem, alle Epithelzellen im heranwachsenden Thymus mit molekularen „Barcodes“ zu markieren.
Da diese individuellen Kennzeichen an alle Tochterzellen im Laufe des Lebens unverändert weitergegeben wurden, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Verwandtschaftsverhältnisse der Tochterzellen zu unterschiedlichen Zeitpunkten entschlüsseln.
Die im Labor Grün etablierte Kombination aus Einzelzell- und Barcode-Sequenzierung erlaubte es schließlich, die molekularen Identitäten der Zellen sowie ihre Verwandtschaftsverhältnisse gleichzeitig zu messen.
Über diesen Ansatz konnten die Forschenden zwei Vorläuferzelltypen entdecken – eine vornehmlich im Laufe der Embryonalentwicklung und in der Frühphase des Lebens aktive Population, und eine hieraus entstehende „postnatale“ Population mit erhöhter Aktivität im Erwachsenenalter.
Angriffspunkt für neue Behandlungsmöglichkeiten
„Wir haben auf diese Weise unterschiedliche Vorläuferzellpopulationen im embryonalen und im erwachsenen Thymus entdeckt, die in die verschiedenen reifen Epithelzelltypen des Thymus ausdifferenzieren können“, erläutert Grün.
Diese Vorläuferzellen seien essentiell, um die Gewebefunktion zu erhalten sowie die Entwicklung von T-Zellen des adaptiven Immunsystems zu unterstützen.
Überdies gelang es durch die Kombination transgener Tiermodelle aus dem Labor Boehm mit der Einzelzellmethodik der Arbeitsgruppe Grün, die Wirkung einer seit Jahren bekannten Methode zur Vermehrung von Thymus-Epithelzellen zu verstehen.
Die Forscherinnen und Forscher konnten zeigen, dass ein bestimmter Wachstumsfaktor die Vorläuferzellpopulation auch im alternden Thymus erhält und damit dem altersbedingten Schrumpfen dieses Organs entgegenwirkt
Diese Erkenntnisse können laut den Fachleuten die Basis für die Entwicklung neuartiger Therapien bilden, die dazu beitragen, die Funktion des Immunsystems im Alter zu erhalten. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Julius-Maximilians-Universität Würzburg: Ein potenzieller Jungbrunnen für das Immunsystem, (Abruf: 28.05.2022), Julius-Maximilians-Universität Würzburg
- Anja Nusser, Sagar, Jeremy B. Swann, Brigitte Krauth, Dagmar Diekhoff, Lesly Calderon, Christiane Happe, Dominic Grün & Thomas Boehm: Developmental dynamics of two bipotent thymic epithelial progenitor types; in: Nature, (veröffentlicht: 25.05.2022), Nature
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.