Psychotherapie ohne Zusatznutzen bei schweren Depressionen und Antidepressiva-Einnahme
Depressionen sind ein wachsendes Problem in unserer Gesellschaft und die Betroffenen sprechen oftmals nicht wie gewünscht auf die Behandlung mit Antidepressiva an. Dann kommt häufig eine begleitende Psychotherapie zum Tragen, allerdings ist deren Wirkung bis heute umstritten.
Während frühere Studien klare Hinweise auf einen Zusatznutzen der psychotherapeutischen Maßnahmen bei schweren Depressionen lieferten, kommt eine neuere umfangreiche Untersuchung der kombinierten Behandlung mit Antidepressiva und Psychotherapie zu einem gegenteiligen Ergebnis. Die entsprechenden Studienergebnisse wurden in dem „Journal of Psychiatric Research“ veröffentlicht und auf dem „European Congress of Psychiatry“ vorgestellt.
Depressionen oftmals schlecht therapierbar
Die Inzidenz von Depressionen ist in den letzten 30 Jahren weltweit stark gestiegen und in Deutschland zeigten im Jahr 2017 laut Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) 10,1 Prozent der Bevölkerung eine depressive Symptomatik. Diese kann zwar nicht mit schweren Depressionen gleichgesetzt werden, doch wird deutlich, wie weit verbreitet depressive Stimmungslagen sind.
Bei schweren Depressionen ist eine Behandlung mit Antidepressiva vorgesehen, doch etwa ein Drittel der Betroffenen mit schweren Depressionen spricht nicht gut auf die Therapie an, berichtet die European Psychiatric Association in einer aktuellen Pressemitteilung.
Nutzen der Psychotherapie bislang unklar
Oft erfolgt eine begleitende Psychotherapie, die auch in verschiedenen Behandlungsleitlinien verankert ist. Deren Nutzen blieb bislang jedoch unklar.
In der groß angelegten internationalen Studie hat das Forschungsteam um Professor Dr. Siegfried Kasper von der Medizinischen Universität Wien nun den Effekt einer kombinierten Behandlung mit Antidepressiva und Psychotherapie bei schweren Depressionen untersucht.
Die Forschenden der European Group for the Study of Resistant Depression analysierten die Auswirkungen der Behandlung an 1.279 schwer depressiven Erwachsenen. Alle Teilnehmenden wurden angemessen mit antidepressiven Medikamenten behandelt und 31,2 Prozent erhielten anschließend eine zusätzliche Psychotherapie.
Bei der nicht-pharmakologischen Behandlung erfolgte eine Besprechung des eigenen Zustandes mit qualifiziertem Fachpersonal, wobei in rund drei Viertel dieser Fälle eine kognitive Verhaltenstherapie durchgeführt wurde, erläutern die Forschenden.
Zunächst sei festzuhalten, dass eine zusätzliche Psychotherapie tendenziell häufiger jüngeren, höher gebildeten, berufstätigen Personen angeboten wurde. Außerdem traten bei Personen mit zusätzlicher Psychotherapie die schweren Depressionen früher auf, sie hatten häufiger Migräne und Asthma und erhielten niedrigere Tagesdosen an Antidepressiva, so die Fachleute.
Psychotherapie verbessert nicht das Behandlungsergebnis
Bezüglich des Schweregrades der Depressionen (ermittelt anhand der Hamilton Rating Scale for Depression und der Montgomery and Åsberg Depression Rating Scale) seien bei einer zusätzlichen Psychotherapie jedoch keine besseren Ergebnissen feststellbar gewesen.
Auch sei in einer Folgeuntersuchung mit 292 depressiven Teilnehmenden unter kognitiver Verhaltenstherapie und 107 Teilnehmenden, die mit anderen psychotherapeutischen Verfahren behandelt wurden, kein Unterschied bei dem Behandlungsergebnis feststellbar gewesen.
„Es gibt zwei Hauptpunkte, die aus unserer Arbeit hervorgehen“, fasst Professor Dr. Kasper zusammen.
- Wenn man bereits mit Antidepressiva behandelt wurde, scheint eine zusätzliche Psychotherapie nicht zu besseren Behandlungsergebnissen zu führen, auch wenn sie das subjektive Wohlbefinden verbessern kann.
- Patientinnen und Patienten mit schweren Depressionen, die eine zusätzliche Psychotherapie erhielten, weisen günstigere soziodemografische und klinische Merkmale auf als jene, die keine zusätzliche Psychotherapie erhielten.
Der zweite Punkt spiegele möglicherweise die bessere Verfügbarkeit von Psychotherapie für sozial und wirtschaftlich besser gestellte Patientinnen und Patienten wider.
Anwendung der Psychotherapie überdenken
„Trotz klinischer Leitlinien und Studien, die Psychotherapie und die Kombination von Psychotherapie mit Antidepressiva befürworten, zeigt diese Studie, dass in der Praxis kein zusätzlicher Nutzen für Psychotherapie bei Personen, die bereits mit Antidepressiva gegen schwere Depressionen behandelt werden, nachgewiesen werden kann“, so Dr. Lucie Bartova von der Medizinische Universität Wien.
Dies bedeute jedoch nicht unbedingt, dass Psychotherapie wirkungslos ist, so die Expertin bei Vorstellung der Studienergebnisse auf dem „European Congress of Psychiatry“. Allerdings sei es ein deutliches Zeichen dafür, dass die Art und Weise, wie depressive Menschen derzeit mit Psychotherapie behandelt werden, kritisch bewertet werden muss. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Lucie Bartova, Gernot Fugger, Markus Dold, Marleen Margret Mignon Swoboda, Joseph Zohar, Julien Mendlewicz, Daniel Souery, Stuart Montgomery, Chiara Fabbri, Alessandro Serretti, Siegfried Kasper: Combining psychopharmacotherapy and psychotherapy is not associated with better treatment outcome in major depressive disorder - evidence from the European Group for the Study of Resistant Depression; in: Journal of Psychiatric Research, Volume 141, 2021, sciencedirect.com
- European Psychiatric Association: Psychotherapy found to be ineffective or unavailable for medicated patients with severe depression (veröffentlicht 04.06.2022), eurekalert.org
- Robert Koch-Institut (RKI): Depressive Symptomatik bei Erwachsenen in Deutschland (Abruf 05.06.2022), rki.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.