Besseres Verständnis der Metastasierung von Brustkrebs
Krebs ist am tödlichsten, wenn sich die Tumorzellen über den Blutkreislauf im Körper ausbreiten. Jetzt wurde festgestellt, dass dieser als Metastasierung bezeichnete Vorgang bei Brustkrebs häufiger nachts stattfindet. Die neuen Erkenntnisse machen deutlich, wie der zirkadiane Rhythmus des Körpers Krebs beeinflusst.
In einer aktuellen Studie unter Beteiligung von Fachleuten der University of Manchester wurde untersucht, wie sich der zirkadiane Rhythmus auf die Ausbreitung von zirkulierenden Tumorzellen auswirkt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.
Brustkrebs durch unregelmäßige Arbeitszeiten
Bereits im Jahr 2007 stufte die International Agency for Research on Cancer einen gestörten zirkadianen Rhythmus als wahrscheinliches Karzinogen ein. Dies führten die Fachleute damals darauf zurück, dass Langzeitstudien ergeben hatten, dass Menschen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten (beispielsweise Flugbegleiterinnen) häufiger an Brustkrebs erkrankten.
Was ist die innere Uhr?
Die sogenannte innere Uhr des Menschen, in der Fachsprache als zirkadianer Rhythmus bezeichnet, wird von verschiedenen Genen gesteuert, welche bestimmte Moleküle in einem 24-Stunden-Zeitplan exprimieren.
Der zirkadiane Rhythmus beeinflusst viele Prozesse, welche im menschlichen Körper ablaufen, beispielsweise auch den Stoffwechsel und den Schlaf. Bisher gingen viele Forschende jedoch davon aus, dass Krebszellen zu stark mutiert sind, um vom zirkadianen Rhythmus betroffen zu sein.
In der Fachwelt wird bereits seit Jahrzehnten darüber diskutiert, wie der zirkadiane Rhythmus des Körpers Krebs beeinflusst. Erste Hinweise darauf, dass die Metastasierung durchaus von der inneren Uhr beeinflusst sein könnte, fanden die Forschenden in Mäusen.
Einfluss der Tageszeit auf zirkulierende Tumorzellen
In den Tieren mit Tumoren zeigte sich bei Bluttests, dass die Menge der zirkulierenden Tumorzellen anhängig von der Tageszeit variierte. Diese Beobachtung veranlasste die Forschungsgruppe dazu, 30 Frauen mit Brustkrebs einmal um vier Uhr morgens und ein zweites Mal um zehn Uhr morgens Blut abzunehmen.
Mehr zirkulierende Tumorzellen in Probe zur Ruhezeit
Das Team stellte fest, dass der Großteil der in den Blutproben nachgewiesenen zirkulierenden Tumorzellen (knapp 80 Prozent) in der um vier Uhr morgens entnommenen Probe vorlag. „Zunächst war ich überrascht, denn das Dogma besagt, dass Tumore ständig zirkulierende Zellen aussenden“, berichtet Studienautor Nicola Aceto.
Als nächstes verpflanzten die Forschenden dann Brustkrebstumore in Mäuse und untersuchten die Werte der zirkulierenden Tumorzellen der Tiere im Laufe des Tages. Im Vergleich zum Menschen haben Mäuse einen umgekehrten zirkadianen Rhythmus, sie sind nachts am aktivsten und ruhen tagsüber.
Die Fachleute stellten dabei fest, dass die Konzentrationen von zirkulierenden Tumorzellen der Tiere tagsüber (in der Ruhephase) am höchsten ausfiel, teilweise sogar bis zu 88-mal höher als die Ausgangskonzentration.
Außerdem sammelte das Team zirkulierende Tumorzellen von den Mäusen. Dies geschah sowohl im Ruhezustand als auch während der aktiven Zeit der Tiere. Die beiden Zellgruppen wurden mit unterschiedlichen fluoreszierenden Markierungen versehen und dann den Mäusen zurück injiziert.
Die meisten Zellen, die zu neuen Tumoren heranwuchsen, waren Zellen, welche gesammelt wurden, als die Mäuse sich ausruhten, berichtet das Team. Dies deute darauf hin, dass diese zirkulierenden Tumorzellen aus irgendeinem Grund besser metastasieren können.
Verzerrte Untersuchungsergebnisse in der Praxis
Der Gehalt der zirkulierenden Tumorzellen im Blut (eine Art Flüssigbiopsie) wird von Fachleuten auch genutzt, um festzustellen, wie eine Krebserkrankung fortschreitet. Laut Studienautor Chi Van Dang ist daher die Erkenntnis, dass die Tageszeit, zu der man eine Blutprobe entnimmt, irreführende Informationen liefern kann, sehr wichtig.
„Warum Brustkrebszellen beim Menschen nachts aktiver sind, hängt wahrscheinlich von einer Vielzahl von Faktoren ab, die noch untersucht werden müssen“, ergänzt Studienautor Aceto. Dabei könnten spezielle Hormone eine Rolle spielen, mit denen der Körper unter anderem signalisiert, wann es Zeit ist aufzuwachen oder ins Bett zu gehen.
Wurden die Mäuse mit Hormonen wie Testosteron oder Insulin behandelt, senkten oder erhöhten sich die Werte der zirkulierenden Tumorzellen, abhängig davon wann die Hormone verabreicht wurden, berichtet das Forschungsteam.
Bessere Behandlung von Krebs in Aussicht
Nun seien weitere Studien nötig, um das komplizierte Geflecht zwischen zirkadianen Rhythmen und Krebs zu entwirren. Aber wenn der Prozess verstanden wird, wie sich die zirkadianen Rhythmen auf die Metastasierung auswirken, könnte dies eines Tages zu verbesserten Krebsbehandlungen führen, betont Dang.
Ausreichend Schlaf auch bei Krebs wichtig
Menschen mit Krebs sollten laut den Forschenden zudem nicht anfangen, den Schlaf negativ in Bezug auf ihre Erkrankung zu betrachten. So hätten einige Studien bereits gezeigt, dass Menschen mit Krebs, welche weniger als sieben Stunden pro Nacht schlafen, eine höheres Risiko für einen vorzeitigen Tod aufweisen.
Zusätzlich haben Untersuchungen ergeben, dass eine Störung der zirkadianen Rhythmen bei Mäusen zu einem schneller Voranschreiten der Krebserkrankung beiträgt. Es sei daher nicht ratsam, den eigenen Rhythmus zu durchbrechen und möglichst wenig zu schlafen.
Die neue Untersuchung habe allerdings gezeigt, dass zirkulierenden Tumorzellen eine bestimmte Phase des 24-Stunden-Zyklus bevorzugen, um in den Blutkreislauf zu gelangen, fügt Studienautor Qing-Jun Meng hinzu. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Freda Kreier: These cancer cells wake up when people sleep; in: Nature (veröffentlicht 22.06.2022), Nature
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.