Blick in das betrunkene Hirn offenbart Sucht-Risikofaktoren
Rund 6,7 Millionen Menschen in Deutschland trinken regelmäßig Alkohol in einem gesundheitlich riskantem Ausmaß. Circa 1,6 Millionen Personen gelten hierzulande als alkoholabhängig. Welche molekularen Mechanismen im Gehirn dazu führen, dass verstärkt positive Assoziationen zu Alkohol entstehen, wurde nun von einem deutschen Forschungsteam untersucht.
Forschende der Universitäten Düsseldorf, Heidelberg, Mannheim und Köln analysierten im Rahmen einer aktuellen Studie Veränderungen im Gehirn nach einer einzigen Gabe von Alkohol. Die Ergebnisse, die kürzlich in dem renommierten Fachjournal „PNAS“ präsentiert wurden, eröffnen neue Erkenntnisse über die Entstehung von Alkoholsucht.
Gedächtnis und Suchtgedächtnis gehen Hand in Hand
Wie die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten, ist bereits bekannt, dass molekulare und zelluläre Mechanismen, die für das normale Gedächtnis wichtig sind, auch beim Suchtgedächtnis von zentraler Bedeutung sind.
So bildet das Gehirn unter bestimmten Umständen schneller positive Assoziationen mit Drogen und Alkohol aus. Ein bekannter Faktor ist das Alter der Konsumierenden. Bei jüngeren Personen ist die normale Gedächtnisleistung besser als bei älteren Menschen.
Je früher der Kontakt, desto höher das Suchtrisiko
Die gleichen Mechanismen, die zu einem besseren Gedächtnis führen, sind nach Angaben der Arbeitsgruppe auch für ein stärkeres Suchtgedächtnis verantwortlich. Wer bereits im jungen Alter einen intensiven Kontakt mit Alkohol hat, wird daher auch mit größerer Wahrscheinlichkeit im Erwachsenenalter alkoholabhängig.
Alkohol führt zu Veränderungen im Gehirn
Mithilfe von hochauflösender Zwei-Photonen Mikroskopie konnten diese Mechanismen nun erstmals in unter Alkoholeinfluss stehenden Gehirnen von Mäusen beobachtet werden. Das Forschungsteam um Dr. Sidney Cambridge fand so unter anderem heraus, dass eine einzige Gabe von Alkohol zu Veränderungen im Gehirn führen kann, die wesentlich länger anhalten als der Alkoholspiegel im Blut nachweisbar ist.
Erlerntes Suchtverhalten
Solche anhaltenden Änderungen an den Synapsen stellen die Grundlage des Gedächtnis und des Lernens dar, folgern die Forschenden. Daher liege es nah, dass die entdeckten Veränderungen auch die Grundlage des Suchtgedächtnis sind.
Alkoholbedingte Veränderungen an den Nervenzellen-Mitochondrien
Darüber hinaus konnte das Team eine erhöhte Mobilität der Mitochondrien in den Nervenzellen der unter Alkoholeinfluss stehenden Mäusehirnen messen. Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zellen. Sie stellen die universelle Energieeinheit ATP (Adenosintriphosphat) bereit. Die Erhöhung der Mitochondrien-Mobilität blieb ebenfalls länger bestehen, als Alkohol im Blut messbar war.
In einem ergänzenden Versuch an Fruchtfliegen führte eine gezielte Blockade dieser Mitochondrien-Mobilität dazu, dass die Fliegen keine positiven Assoziationen mit Alkohol aufbauen konnten und das Interesse verloren. Im Normalfall gewöhnen sich Fruchtfliegen jedoch sehr schnell an den Konsum von Alkohol.
Neuer Ansatz zur Behandlung von Alkoholsucht
Die Forschenden vermuten daher, dass es auch bei Menschen zu alkoholbedingten Veränderungen im Gehirn kommt, und dass diese Veränderungen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Alkoholsucht spielen.
Die Erkenntnisse stellen nach Angaben der Forschenden die Grundlage für die Entwicklung von Medikamenten dar, die dazu führen könnten, dass Suchterkrankte das Interesse an Alkohol und vielleicht auch an anderen Drogen verlieren. Hierzu sei aber weitere Forschung notwendig. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: Blick in das betrunkene Hirn - - neue molekulare und zelluläre Mechanismen des Suchtgedächtnisses (veröffentlicht: 24.06.2022), idw-online.de
- Johannes Knabbe, Jil Protzmann, Niklas Schneider, et al.: Single-dose ethanol intoxication causes acute and lasting neuronal changes in the brain; in: PNAS (2022), pnas.org
- Bundesministerium für Gesundheit: Alkoholkonsum in Deutschland (Abruf: 24.06.2022), bundesgesundheitsministerium.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.