Kürzeres Leben durch fehlendes Geschlechtschromosom?
Wenn Männer unter einem relativ weit verbreitetem Verlust des männlichen Geschlechtschromosoms leiden, führt dies unter anderem zur verstärkten Vernarbung des Herzmuskel, was einen vorzeitigen Tod durch Herzversagen begünstigt. Betroffene könnten jedoch von einem bereits vorhandenen Medikament profitieren, welches den schädlichen Auswirkungen des Chromosomenverlusts entgegenwirkt.
In einer neuen Studie unter Beteiligung von Fachleuten der University of Virginia wurde untersucht, welche kausalen und mechanistischen Zusammenhänge zwischen dem sogenannten hämatopoetischen Mosaikverlust des Y-Chromosoms (mLOY) und dem erhöhten Risiko für einen vorzeitigen Tod und altersbedingte Krankheiten bestehen. Die Ergebnisse können in der Fachzeitschrift „Science“ nachgelesen werden.
Untersuchung fand teilweise an Mäusen statt
Mit der Hilfe von hochmoderner CRISPR-Geneditierungstechnologie wurde für die neue Untersuchung zunächst ein spezielles Mausmodell entwickelt. Dieses Modell ermöglichte ein besseres Verständnis der Auswirkungen des Verlusts des Y-Chromosoms im Blut.
Altersbedingte Krankheiten beschleunigt
So stellte sich heraus, dass der Verlust des Chromosoms altersbedingte Krankheiten beschleunigt, welche die Tiere anfälliger für Herzvernarbungen machen und zu einem früheren Tod führen, berichten die Fachleute.
Tiere litten und Fibrose
Dies war laut den Forschenden nicht nur auf eine Entzündung zurückzuführen, sondern die Mäuse litten unter einer komplexen Reihe von Reaktionen des Immunsystems, die im gesamten Körper zu einer sogenannten Fibrose führte. Dies könnte die Krankheitsentwicklung beschleunigen, so die Fachleute.
Herzversagen durch fehlendes Y-Chromosom
Das Team untersuchte die Auswirkungen des Verlusts des Y-Chromosoms zusätzlich auch bei Männern. Dafür wurden die Daten aus der UK Biobank analysiert. Dabei stellten die Forschenden fest, dass der Verlust des Y-Chromosoms mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Herzversagen verbunden ist.
Mit dem Chromosomenverlust war bei Männern auch ein Anstieg des Sterberisikos feststellbar.
Frauen leben meist länger als Männer
Durchschnittlich leben Frauen in den USA fünf Jahre länger als Männer, berichten die Forschenden. Der Verlust des Y-Chromosoms betreffe etwa 40 Prozent der Männer im Alter von 70 Jahren und wirke sich negativ auf die Lebenserwartung aus, was eine Erklärung dafür sein könnte, warum Frauen meist länger leben als Männer.
„Besonders nach dem 60. Lebensjahr sterben Männer schneller als Frauen. Es ist, als ob sie biologisch schneller altern“, erläutert Studienautor Dr. Kenneth Walsh in einer Pressemitteilung. Die neue Studie liefere Hinweise darauf, warum Männer eine kürzere Lebenserwartung haben als Frauen.
Chromosomenverlust durch das Rauchen?
Frauen tragen zwei X-Chromosomen in sich. Männer weisen dagegen ein X- und ein Y-Chromosom auf. Mit zunehmendem Alter verlieren viele Männer jedoch ihr Y-Chromosom in einem Teil ihrer Zellen, was besonders stark auf rauchende Männer zuzutreffen scheint, so das Team.
Verlust des Y-Chromosoms wird nicht weitervererbt
Der Verlust tritt vor allem in Zellen auf, die sich schnell verändern. Als Beispiel nennen die Forschenden Blutzellen. Dabei ist zu beachten, dass der Verlust des Y-Chromosoms nicht in männlichen Fortpflanzungszellen auftritt. Somit kann der Y-Chromosomverlust nicht weiter vererbt werden.
Alzheimer durch fehlendes Y-Chromosom
In früheren Studien wurde bereits beobachtet, dass Männer, welche ihr Y-Chromosom verlieren, mit größerer Wahrscheinlichkeit im jüngeren Alter versterben und an altersbedingten Krankheiten wie Alzheimer erkranken.
Die neuen Ergebnisse liefern jedoch die ersten eindeutigen Beweis dafür, dass der Chromosomenverlust direkt schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Männern hat, berichten die Fachleute.
Längeres und gesünderes Leben für Männer
Außerdem deuten die Ergebnisse laut den Forschenden darauf hin, dass eine gezielte Behandlung der Auswirkungen des Y-Chromosomenverlusts Männern zu einem längeren und gesünderen Leben verhelfen könnte.
Als mögliche Behandlungsoption nennt Dr. Walsh das Medikament Pirfenidon. Dieses wurde bereits von der Food and Drug Administration (FDA) für die Behandlung der idiopathischen Lungenfibrose zugelassen, wobei es sich um eine Form von Lungenvernarbung handelt.
Außerdem werde bereits getestet, ob sich Pirfenidon für die Behandlung von Herzinsuffizienz und chronischen Nierenerkrankungen eignet. Bei diesen beiden Erkrankungen stellt die Vernarbung des Gewebes ein charakteristisches Merkmal dar, erklären die Fachleute.
Dr. Walsh ist aufgrund der neuen Studienergebnisse der Meinung, dass Männer mit einem Verlust des Y-Chromosoms besonders gut auf Pirfenidon und andere in der Entwicklung befindliche Klassen sogenannter antifibrotischer Arzneimittel ansprechen könnten. Doch sei weitere Forschung erforderlich, um dies zu bestätigen.
Preiswerter Test kann Verlust des Y-Chromosoms feststellen
Bisher ist es problematisch, festzustellen, welche Männer von einem Verlust des Y-Chromosoms betroffen sind. Es gibt zwar bereits einen kostengünstigen Polymerase-Kettenreaktionstest (PCR), mit dem der Verlust des Y-Chromosoms festgestellt werden kann. Allerdings ist dessen Verwendung bisher weitgehend auf das Labor der Forschungsgruppe von Dr. Walsh beschränkt.
Dies könnte sich in Zukunft jedoch ändern. „Wenn das Interesse an diesem Test anhält und sich zeigt, dass er für die Prognose von Männerkrankheiten nützlich ist und zu einer personalisierten Therapie führen kann, wird er vielleicht zu einem diagnostischen Routinetest“, fügt der Mediziner hinzu. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Soichi Sano, Keita Horitani, Hayato Ogawa, Jonatan Halvardson, Nicholas W. Chavkin, et al.: Hematopoietic loss of Y chromosome leads to cardiac fibrosis and heart failure mortality; in: Science (veröffentlicht Vol. 377, No. 6603, 14.07.2022), Science
- University of Virginia Health System: Loss of male sex chromosome leads to earlier death for men (veröffentlicht 14.07.2022), University of Virginia Health System
Wichtiger Hinweis:
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