Reizdarmsyndrom durch Histamin produzierende Darmbakterien
Durch die Produktion von Histamin können bestimmte Darmbakterien zu chronischen Bauchschmerzen und einem Reizdarmsyndrom führen. Diäten mit reduzierten fermentierbaren Kohlenhydraten und Arzneien, die gegen bakterielles Histamin gerichtet sind, könnten hier als Therapie dienen.
Ein Forschungsteam der McMaster University und der Queen’s University hat den bakteriellen „Histamin-Superproduzenten“ im Darm entdeckt, der zu chronischen Bauchschmerzen und dem Reizdarmsyndrom führen kann. Die entsprechenden Studienergebnisse wurden in dem Fachmagazin „Science Translational Medicine“ veröffentlicht.
Darmflora beeinflusst die Gesundheit
Die Darmflora wird mit weitreichenden Auswirkungen auf die Gesundheit in Zusammenhang gebracht, wobei diese deutlich über den Verdauungstrakt hinausreichen. So haben jüngere Studien zum Beispiel gezeigt, dass die Darmflora Einfluss auf die Entstehung von rheumatischen Erkrankungen hat und über die Darm-Hirn-Achse das Gehirn und Verhalten beeinflusst.
Im Verdauungstrakt sind die gesundheitlichen Effekte der Darmmikrobiota jedoch besonders deutlich zu erkennen. So wurde die Darmflora bereits mit chronischen Bauchschmerzen und dem Reizdarmsyndrom in Verbindung gebracht, doch die spezifischen pathophysiologischen Mechanismen blieben unklar.
Suche nach pathophysiologischen Mechanismen
In der aktuellen Studie versuchten die Forschenden diese nun zu entschlüsseln. Hierfür untersuchten sie zunächst Stuhlproben aus kanadischen und amerikanischen Patientenkohorten.
„Wir haben diese Patienten über mehrere Monate hinweg verfolgt und hohe Histaminwerte im Stuhl festgestellt, wenn die Patienten über starke Schmerzen berichteten, und niedrige Histaminwerte, wenn sie schmerzfrei waren”, erläutert Studienhauptautor Professor Premysl Bercik von der McMaster University.
Klebsiella aerogenes wichtigster Histaminproduzenten
In Versuchen an Mäusen konnte das Forschungsteam anschließend das Bakterium Klebsiella aerogenes als den wichtigsten Histaminproduzenten identifizieren. Das Bakterium könne ernährungsbedingtes Histidin, eine essenzielle Aminosäure, die in tierischem und pflanzlichem Eiweiß vorkommt, in Histamin umwandeln, so die Forschenden.
Der Bakterienstamm war laut den Forschenden auch in der fäkalen Mikrobiota von drei unabhängigen Patientenkohorten mit Reizdarmsyndrom im Vergleich zu gesunden Personen sehr häufig vertreten.
In den Versuchen sei zudem deutlich geworden, dass das bakterielle Histamin das Immunsystem des Darms über den Histamin-4-Rezeptor aktiviert, der immunologische Mastzellen in den Darm zieht. Durch die Mastzellen werden noch mehr Histamin und andere Schmerzmediatoren produziert, was Entzündungen und Schmerzen verursacht, erläutert das Team.
Diät mit weniger fermentierbaren Kohlenhydraten
Wurden die Mäuse mit einer Diät mit reduzierten fermentierbaren Kohlenhydraten gefüttert, sei ein Rückgang der sogenannten viszeralen Hypersensibilität und der Mastzellanreicherung im Dickdarm feststellbar gewesen.
Auch bei Patientinnen und Patienten mit Reizdarmsyndrom habe die Verringerung der Aufnahme fermentierbarer Kohlenhydrate die Bauchschmerzen gelindert, was mit Veränderungen in der Darmflora und geringeren Histaminkonzentrationen im Urin einherging.
Neue therapeutische Optionen
In den Untersuchungen an Mäusen habe eine pharmakologische Blockade des Histamin-4-Rezeptors zudem die sogenannte viszerale Hypersensibilität gehemmt und die Mastzellenakkumulation im Dickdarm verringert.
Dies deute darauf hin, dass therapeutische Strategien, die gegen bakterielles Histamin gerichtet sind, zur Behandlung bei vielen Menschen mit Reizdarmsyndrom und chronischen Bauchschmerzen beitragen könnten.
„Jetzt, da wir wissen, wie das Histamin im Darm produziert wird, können wir Therapien identifizieren und entwickeln, die auf die histaminproduzierenden Bakterien abzielen“, resümiert Erstautorin Giada de Palma von der McMaster University.
„Obwohl die Behandlung von Mastzellen bei Reizdarmsyndrom bereits erforscht wurde, wäre ein neuartiger Ansatz, der auf unserer Forschung basiert, die bakterielle Histaminproduktion oder den H4R-Weg ins Visier zu nehmen“, ergänzt Professor Bercik.
Durch eine Blockierung der H4-Rezeptoren könnte die Rekrutierung von Mastzellen im Dickdarm und damit die Entstehung von Bauchschmerzen verhindert werden, hofft auch Co-Autor Professor Stephen Vanner von der Queen’s University. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Giada De Palma, Chiko Shimbori, David E. Reed, Yang Yu, Virginia Rabbia, Jun Lu, Nestor Jimenez-Vargas, Jessica Sessenwein, Cintya Lopez-Lopez, Premysl Bercik, et al.: Histamine production by the gut microbiota induces visceral hyperalgesia through histamine 4 receptor signaling in mice; in Science Translational Medicine (veröffentlicht 27.07.2022), science.org
- McMaster University: Histamine-producing gut bacteria can trigger chronic abdominal pain (veröffentlicht 27.07.2022), eurekalert.org
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.