Fünf thematische Auslöser für Weinen identifiziert
Emotionales Weinen scheint eine rein menschliche Eigenschaft zu sein. Doch was lässt bei uns die Tränen fließen? Das haben Forschende nun untersucht. Sie identifizierten fünf Gründe für emotionale Tränen.
Forschende der Universitäten Ulm und Sussex haben in mehreren Studien untersucht, warum wir in bestimmten Situationen weinen. Sie konnten anhand von insgesamt über eintausend Berichten erwachsener Personen eine Reihe thematischer Auslöser identifizieren, die oft mit emotionalen Tränen assoziiert sind. Dazu zählen die Kategorien Einsamkeit, Machtlosigkeit, Überforderung, Harmonie sowie Medienkonsum. Ihre Arbeit ist in dem Fachjournal „Motivation and Emotion“ erschienen.
Verschiedene Arten von Tränen
Wie es in einer aktuellen Mitteilung der Universität Ulm heißt, ist der Mensch wahrscheinlich das einzige Lebewesen, das in der Lage ist, emotionale Tränen zu vergießen, das heißt aufgrund von Gefühlen zu weinen. Dazu zählen Tränen aus Trauer, Angst oder Wut, aber auch Freudentränen.
Neben den untersuchten emotionalen Tränen existieren auch basale Tränen, die die Augen stets feucht halten und schützen. Die dritte Art sind Reflextränen, die zum Beispiel bei Kälte, Wind oder beim Zwiebelschneiden auftreten.
Der neuen Untersuchung von Forschenden der Uni Ulm und der University of Sussex in Brighton, Großbritannien, zufolge lassen sich die meisten Episoden, in denen Erwachsene aus emotionalen Gründen weinen, zuverlässig einer von fünf Kategorien zuordnen: Einsamkeit, Machtlosigkeit, Überforderung, Harmonie und Medienkonsum.
Psychologische Grundbedürfnisse
Der Einteilung in die fünf Kategorien liegt die Überlegung zugrunde, dass emotionale Tränen immer dann auftreten, wenn psychologische Grundbedürfnisse entweder verletzt oder sehr intensiv befriedigt werden.
„Ähnlich wie bei biologischen Grundbedürfnissen, wie Schlaf oder Essen, geht man davon aus, dass die Frustration oder die Befriedigung dieser psychologischen Faktoren unser subjektives Wohlbefinden beeinflussen“, erläutert Erstautor Michael Barthelmäs, inzwischen Postdoc in der Abteilung Sozialpsychologie der Universität Ulm.
In der Forschung haben sich die Bedürfnisse nach „Nähe“ (sich verbunden fühlen), „Autonomie“ (Dinge beeinflussen können) und „Kompetenz“ (etwas erfolgreich ausführen können) als zentrale psychologische Grundbedürfnisse etabliert.
Verschiedene Auslöser
Wie von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erwartet, zeichnete sich in der Studie „Einsamkeit“ insbesondere durch eine erlebte Frustration des Bedürfnisses nach Nähe aus. Dieser Kategorie wurden Tränen aus Liebeskummer oder auch aufgrund von Heimweh zugeordnet.
Tränen der Kategorie „Harmonie“ waren hingegen durch eine intensive Befriedigung des Bedürfnisses nach Nähe gekennzeichnet und traten beispielsweise als Freudentränen bei einer Hochzeitsfeier auf.
Tränen in Reaktion auf eine Todesnachricht (Frustration von Autonomie) waren ein Beispiel für „Machtlosigkeit“; Tränen der „Überforderung“ wurden oft im Arbeitskontext berichtet (Frustration von Kompetenz).
Den Angaben zufolge fiel jede vierte beobachtete Episode in die Kategorie „Medienkonsum“, die mehrere Besonderheiten aufweist. Im Vergleich zu den anderen Kategorien ist der weinende Mensch dabei nur indirekt betroffen und die Tränen treten „stellvertretend“ auf.
Der Auslöser ist ein Erlebnis, das der Hauptfigur eines Buches oder Filmes widerfährt, in die sich die Person hineinversetzt. Außerdem können Tränen bei einem Drama vergossen werden, aber eben auch bei einer Komödie, in dieser Kategorie können also Freudentränen und Tränen der Traurigkeit fließen.
Drei Studien durchgeführt
Die Forschenden führten insgesamt drei Studien durch, in denen neben Personen aus der Allgemeinbevölkerung auch Studierende befragt wurden. Der Altersdurchschnitt der Teilnehmenden lag bei 30,3 Jahren, der Anteil weiblicher Versuchspersonen betrug 64 Prozent.
In zwei Studien wurden die Probandinnen und Probanden in Online-Umfragen gebeten, im Rückblick Auskunft über die letzte Episode zu geben, in der sie emotionale Tränen vergossen hatten.
In einer dritten Studie wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Rahmen einer 30-tägigen elektronischen Tagebuchstudie einmal täglich via Smartphone zu ihrem Befinden sowie zum Weinen befragt.
Es zeichnete sich der Trend ab, dass jüngere Personen im Vergleich zu älteren öfter aufgrund von Überforderung weinten.
In der Tagebuchstudie wurde zudem weniger Episoden der Machtlosigkeit berichtet, als in den beiden retrospektiven Studien. Es könnte also sein, dass eine Todesnachricht eher mit Weinen verknüpft wird als andere Kategorien. Somit erinnern sich die Studienteilnehmenden besser daran und berichten davon häufiger.
Erforschung von emotionalen Tränen
Die neuen Untersuchungen schließen eine Lücke in der Erforschung von emotionalen Tränen. Die Einteilung bildet einen wichtigen Grundstein in der weiteren Erforschung des Phänomens emotionale Tränen.
„Bislang weiß man bislang relativ wenig darüber, welche Rolle emotionale Tränen bei psychischen Erkrankungen spielen“, sagt Professor Johannes Keller, Leiter der Abteilung Sozialpsychologie der Uni Ulm.
„Außerdem fehlen systematische Erkenntnisse darüber, wie Tränen soziale Interaktionen regulieren. Das heißt, welchen Einfluss Tränen zum Beispiel darauf haben, ob ein Mensch einen anderen unterstützt“, so Keller. Die Identifikation der häufigsten Gründe des Weinens könnte dabei helfen, diese Fragen in Zukunft zu beantworten. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universität Ulm: Was bringt uns zum Weinen? Fünf Gründe für emotionale Tränen identifiziert, (Abruf: 15.08.2022), Universität Ulm
- Barthelmäs, M., Kesberg, R., Hermann, A. et al.: Five reasons to cry—FRC: a taxonomy for common antecedents of emotional crying; in: Motivation and Emotion, (veröffentlicht: 27.04.2022), Motivation and Emotion
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.