Studie widerlegt das Klischee des faulen Kiffers
Die weit verbreitete Vorstellung von faulen, antriebslosen Cannabis-Konsumentinnen und -Konsumenten scheint laut einer aktuellen Studie nicht zuzutreffen. Auch die Reaktion des Gehirns auf Belohnungen wird durch den Cannabis-Konsum nicht beeinträchtigt.
In der Studie unter Beteiligung von Fachleuten der University of Cambridge wurde untersucht, ob Cannabis-Konsum mit einem höheren Maß an Apathie (Motivationsverlust) und Anhedonie (Verlust des Interesses an oder der Freude an Belohnungen) oder einer geringeren Bereitschaft, sich für Belohnungen körperlich anzustrengen, verbunden ist.
Die Ergebnisse wurden im englischsprachigen Fachblatt „International Journal of Neuropsychopharmacology“ veröffentlicht.
274 Teilnehmende konsumierten regelmäßig Cannabis
An der neuen Untersuchung nahmen 274 Jugendliche und Erwachsene teil, welche innerhalb der letzten drei Monate mindestens wöchentlich Cannabis konsumiert hatten. Durchschnittlich lag der Konsum bei vier Tagen in der Woche. Zusätzlich gab es eine Kontrollgruppe aus Personen, die kein Cannabis konsumierten.
Die Teilnehmenden wurden angewiesen, Fragebögen zur Bestimmung der Anhedonie auszufüllen. In diesen wurden sie zu ihrer Reaktion auf bestimmte Aussagen befragt.
Zusätzlich galt es einen Fragebogen zur Messung der Apathie auszufüllen, in dem Merkmale wie das Interesse am Erlernen neuer Dinge oder die Bereitschaft, eine Aufgabe bis zum Ende zu erledigen, bewertet wurden.
Welche Unterschiede wurden festgestellt?
Bei der Anhedonie schnitten Teilnehmende, welche Cannabis konsumierten, tatsächlich etwas schlechter ab als die Personen aus der Kontrollgruppe, berichten die Forschenden. Ein Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des Cannabis-Konsums und Anhedonie sei dabei allerdings nicht nachweisbar gewesen und es habe keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf Apathie gegeben.
„Wir waren überrascht zu sehen, dass es wirklich nur sehr geringe Unterschiede zwischen Cannabiskonsumenten und Nichtkonsumenten gab, wenn es um mangelnde Motivation oder mangelnden Genuss ging, selbst bei denjenigen, die täglich Cannabis konsumierten“, berichtet Studienautorin Martine Skumlien in einer Pressemitteilung.
Schadet Cannabis Jugendlichen mehr als Erwachsenen?
In Bezug auf die Nutzung von Cannabis gibt es oft Bedenken, dass der Konsum sich stärker negativ auf Jugendliche als auf Erwachsene auswirken könnte.
„Unsere Studie, eine der ersten, die Cannabis konsumierende Jugendliche und Erwachsene direkt miteinander vergleicht, deutet jedoch darauf hin, dass Jugendliche nicht anfälliger für die schädlichen Auswirkungen von Cannabis auf die Motivation, das Genusserlebnis oder die Reaktion des Gehirns auf Belohnung sind als Erwachsene“, so Studienautor Dr. Will Lawn.
Cannabis scheine keinen oder höchstens einen schwachen Zusammenhang mit diesen Faktoren zu haben. „Wir brauchen jedoch Studien, die diese Zusammenhänge über einen langen Zeitraum hinweg untersuchen, um die Ergebnisse zu bestätigen“, fügt der Mediziner hinzu.
Wie wirkt sich Cannabis auf körperliche Anstrengung aus?
Etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmenden, welche Cannabis zu sich nahmen, führte zusätzlich auch verschiedene Verhaltensaufgaben durch. Bei der ersten dieser Aufgaben wurde die körperliche Anstrengungsbereitschaft bewertet.
Die Teilnehmenden hatten die Möglichkeit, durch das Drücken von Tasten Punkte zu sammeln, welche später gegen Schokolade oder Süßigkeiten eingetauscht werden konnten. Dabei standen drei unterschiedliche Schwierigkeitsgerade mit drei Stufen von Belohnungen zur Verfügung.
Schwierigere Versuche erforderten ein schnelleres Drücken der Tasten. Vor dem Versuch mussten die Teilnehmenden jeweils bestimmen, ob sie teilnehmen wollten oder nicht. Punkte gab es dabei lediglich für erfolgreich abgeschlossene Versuche.
Wie wurde die Freunde an Belohnungen ermittelt?
In einer zweiten Aufgabe, wurde gemessen, wie viel Freunde die Teilnehmenden an ihren Belohnungen hatten. Dabei sollten sie zuerst anhand von einer Skala angeben, wie sehr sie jede der drei Belohnungen (30 Sekunden eines ihrer Lieblingssongs, ein Stück Schokolade oder eine Süßigkeit und eine 1-Pfund-Münze) haben wollten.
Nach der Einschätzung wurde den Teilnehmenden dann nacheinander jede der Belohnungen zur Verfügung gestellt und sie wurden angewiesen, auf einer Skala zu bewerten, wie angenehm sie die Belohnungen fanden.
Sowohl bei der Aufgabe zur körperlichen Anstrengung als auch bei der Aufgabe zum Vergnügen durch die Belohnungen konnten die Forschenden zwischen der Versuchs- und der Kontrollgruppe sowie zwischen den Jungendlichen und den Erwachsenen keine Unterschiede feststellen. Nach Aussagen des Teams bestätigt dies die Ergebnisse anderer Untersuchungen, in denen es keine oder nur sehr geringe Unterschiede gab.
Cannabis beeinträchtigt nicht die Motivation
Die Ergebnisse weisen insgesamt darauf hin, dass Menschen, welche Cannabis konsumieren, nicht häufiger unmotiviert oder faul sind als Menschen, die es nicht tun. Das Bild vom faulen Kiffer ist daher unangebracht.
„Unfaire Annahmen können stigmatisierend wirken und könnten die Botschaften zur Schadensbegrenzung beeinträchtigen. Wir müssen ehrlich und offen darüber sprechen, was die schädlichen Folgen des Drogenkonsums sind und was nicht“, erläutert Skumlien.
Bereits anfang dieses Jahres veröffentlichte das Team eine Studie, in der mit Hilfe der sogenannten funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) die Gehirnaktivität derselben Teilnehmenden untersucht wurde.
Währenddessen sollten diese eine Aufgabe zur Messung ihrer Belohnungsverarbeitung lösen, wobei es finanzielle Belohnungen gab. Die Forschenden untersuchten, wie das Gehirn auf Belohnungen reagiert, und konzentrierten sich dabei insbesondere auf das sogenannte ventrale Striatum -eine Schlüsselregion im Belohnungssystem des Gehirns.
Die Fachleute konnten jedoch keinen Zusammenhang zwischen der Aktivität in dieser Region und dem Konsum von Cannabis identifizieren. Das Belohnungssystem der Cannabis konsumierenden Personen schien demnach auch in dieser Untersuchung nicht beeinträchtigt.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Cannabiskonsum keine Auswirkungen auf die Motivation zu haben scheint. Zu den Teilnehmern unserer Studie gehörten Konsumenten, die im Durchschnitt vier Tage pro Woche Cannabis konsumierten, und bei ihnen war die Wahrscheinlichkeit eines Motivationsmangels nicht größer“, resümiert Studienautorin Professorin Barbara Sahakian.
Trotzdem ist laut der Medizinerin nicht auszuschließen, dass ein höherer Konsum, wie er bei einigen Menschen mit einer Cannabiskonsumstörung vorliegt, durchaus einen Einfluss haben kann.
„Solange wir keine Studien haben, die jugendliche Konsumenten vom Beginn bis zum jungen Erwachsenenalter verfolgen und die Messungen der Motivation und der Bildgebung des Gehirns kombinieren, können wir nicht mit Sicherheit sagen, dass regelmäßiger Cannabiskonsum keine negativen Auswirkungen auf die Motivation und das sich entwickelnde Gehirn hat“, fasst Professorin Sahakian zusammen. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Martine Skumlien, Claire Mokrysz, Tom P Freeman, Vincent Valton, Matthew B Wall, et al.: Anhedonia, apathy, pleasure, and effort-based decision-making in adult and adolescent cannabis users and controls; in: International Journal of Neuropsychopharmacology (veröffentlicht 24.08.2022), International Journal of Neuropsychopharmacology
- University of Cambridge: Cannabis users no less likely to be motivated or able to enjoy life’s pleasure (veröffentlicht 01.09.2022), University of Cambridge
- Claire Mokrysz, Tom P. Freeman, Matthew B. Wall, Michael Bloomfield, Rachel Lees, et al.: Neural responses to reward anticipation and feedback in adult and adolescent cannabis users and controls; in: Neuropsychopharmacology (veröffentlicht 06.04.2022), Neuropsychopharmacology
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.