Studienergebnisse verändern Sichtweise auf das Darmmikrobiom
Ein internationales Forschungsteam untersuchte erstmals eingehend die Evolutionsgeschichte von menschlichen Darmbakterien und gewann dabei tiefreichende Erkenntnisse, die die Sichtweise auf die Mikroben im menschlichen Darm verändern.
Forschende des Max-Planck-Instituts für Biologie in Tübingen analysierten Darmmikroben und deren Genome bei 1.225 Personen aus Europa, Asien und Afrika. Dabei offenbarte sich eine gemeinsame Evolutionsgeschichte von Darmmikroben und ihren menschlichen Wirten. Über Hunderttausende Jahre hinweg haben sich demnach die Mikroorganismen im Darm parallel zum Menschen entwickelt. Die Studienergebnisse wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Science“ präsentiert.
Wie haben sich die Darmbakterien entwickelt?
Die Mikroorganismen, die in unserem Darm wohnen, haben einen weitreichenden Einfluss auf unsere Gesundheit, wie Forschungsarbeiten der letzten Jahre immer wieder gezeigt haben. Dennoch ist wenig über die Entwicklung der verschiedenen Darmbakterien bekannt. Im Angesicht der Tatsache, dass viele Stämme fast ausschließlich im menschlichen Darm vorkommen, wirf die Herkunft der Bakterien einige Fragen auf.
Evolution im menschlichen Darm
Die Darmflora einer Person ist individuell wie ein Fingerabdruck, dennoch gibt es laut der aktuellen Studie gemeinsame Nenner, die alle Mikrobiome miteinander eint. Denn offenbar haben sich einige Bakterien über tauschende von Jahren hinweg speziell im menschlichen Darm entwickelt und sich dabei so sehr auf den Wirt spezialisiert, dass sie fast wie Erbgut betrachtet werden können.
In den Proben aus den unterschiedlichen Bevölkerungen konnte die Arbeitsgruppe viele gleiche Mikroben-Spezies finden. Jedoch entwickelten sich die Stämme innerhalb der Mikroben-Arten alle unterschiedlich und waren teilweise durch die jeweilige Bevölkerung und teilweise durch das Individuum geprägt.
Gemeinsame Evolution von Menschen und Darmbakterien
Das Forschungsteam stellte die Vermutung auf, dass bestimmte Arten und Stämme den Menschen bei der Ausbreitung über die Erde begleitet und sich in seinem Darm parallel mitentwickelt haben.
An den unterschiedlichen Mikrobiom-Proben konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachweisen, dass über 60 Prozent der untersuchten Spezies eine parallele Stammesgeschichte zu ihrem menschlichen Wirt zeigen.
Bakterien spezialisierten sich im Laufe der Zeit auf den Menschen
Den Forschenden zufolge weist dies darauf hin, dass sich die Mikroben über Hunderttausende Jahre hinweg im menschlichen Darm weiterentwickelt haben, während sich die Menschen von Afrika aus über die verschiedenen Kontinente ausgebreitet haben.
„Wir wussten bisher nicht, dass unsere Darmmikroben unserer Evolutionsgeschichte so genau gefolgt sind“, betont die leitende Wissenschaftlerin Ruth Ley vom Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen
Bemerkenswert ist ihr zufolge auch, dass diejenigen Stämme, die unserer Entwicklungsgeschichte am engsten gefolgt sind, nun am meisten von der Darmumgebung abhängig sind.
Einige Spezies können nur im menschlichen Darm leben
Einige der Mikroorganismen besitzen ein so kleines Genom und reagieren so empfindlich auf Abweichungen im Sauerstoffgehalt sowie auf Temperaturänderungen, dass sie stark von der menschlichen Darmumgebung abhängig und an anderen Orten kaum überlebensfähig sind.
„Einige der Darmmikroben verhalten sich, als seien sie Teil des menschlichen Erbguts“, erklärt Studienerstautor Taichi Suzuki. Andere Darmbakterien zeigten jedoch auch eine schwächere Verbindung zum menschlichen Wirt und hatten mehr Eigenschaften von „freilebenden“ Bakterien.
Eine grundlegend neue Sichtweise auf die Darmflora
„Wir konnten zeigen, dass einige Darmbakterien des Menschen in diesem Spektrum weiter in Richtung irreversibler Abhängigkeit gekommen sind als bisher angenommen“, resümiert Ley. Diese Ergebnisse verändern ihr zufolge die gesamte Sichtweise auf das menschliche Darmmikrobiom grundlegend.
Die Erkenntnisse der Studie tragen zu einem besseren Verständnis von Darmmikroben bei, die seit langem zu bestimmten Bevölkerungsgruppen gehören. Dies kann in Zukunft beispielsweise entscheidend sein, um Therapien, die die Darmflora betreffen, auf die jeweilige Bevölkerung abzustimmen. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen: Gemeinsame Evolution: Darmmikroben und ihre Menschen (veröffentlicht: 15.09.2022), bio.mpg.de
- Taichi A. Suzuki, J. Liam Fitzstevens, Ruth E. Ley, et al.: Codiversification of gut microbiota with humans; in: Science (2022), science.org
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.