Depressionen: Alternative Medizin wird selten genutzt
Laut Fachleuten wurde bei rund 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland schon einmal eine Depression diagnostiziert. In den meisten Fällen kann Betroffenen mit einer Psychotherapie und Medikamenten geholfen werden. Alternative Medizin wird jedoch selten genutzt.
Im Schnitt vergehen 20 Monate, bis sich Menschen mit einer depressiven Erkrankung Hilfe suchen. Das zeigt das 6. Deutschland-Barometer Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention. Die Befragung untersucht jährlich Einstellungen und Erfahrungen zur Depression in der erwachsenen Bevölkerung, in diesem Jahr vor allem die Behandlungssituation.
Späte Suche nach Hilfe ist besorgniserregend
„Die Depression ist eine schwere, oft auch lebensbedrohliche Erkrankung. Dass ein großer Teil der Betroffenen Monate oder sogar Jahre braucht, um sich Hilfe zu suchen, ist besorgniserregend“, erläutert Prof. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention / Senckenberg-Professur an der Universität Frankfurt/Main, in einer Pressemitteilung.
„Gründe dafür sind die für eine Depression typische Hoffnungslosigkeit und Antriebslosigkeit, aber auch Versorgungsengpässe und die immer noch bestehende Stigmatisierung psychischer Erkrankungen“, so der Experte.
Lange Wartezeiten sind nicht akzeptabel
Für das 6. Deutschland-Barometer Depression wurde im September 2022 ein repräsentativer Bevölkerungsquerschnitt aus 5.050 Personen zwischen 18 und 69 Jahren befragt.
Den Angaben zufolge dauert es über alle befragten Betroffenen hinweg durchschnittlich 20 Monate, bis sich Menschen mit Depression Hilfe suchen. Dabei gibt es jedoch große Unterschiede: Ein Drittel aller Betroffenen sucht sich sofort Hilfe. Bei 65 Prozent hat es hingegen länger gedauert, bis sie professionelle Unterstützung in Anspruch genommen haben – im Schnitt 30 Monate.
Wenn sich die Betroffenen Hilfe suchen, wenden sie sich mehrheitlich zunächst an die Hausärztin oder den Hausarzt (51 Prozent). 25 Prozent der Betroffenen gehen direkt zur Fachärztin oder zum Facharzt und 19 Prozent als erstes zur Psychotherapeutin oder zum Psychotherapeuten. Nur 0,7 Prozent der Befragten mit Depression geben als erste Anlaufstelle Heilpraktikerinnen oder Heilpraktiker an.
In der Befragung berichten die Betroffenen rückblickend aber von wochenlangen Wartezeiten, ehe eine Behandlung beginnen konnte. So gaben die Betroffenen an, im Schnitt zehn Wochen auf ein Erstgespräch bei einer Psychotherapeutin oder beim Psychotherapeuten gewartet zu haben, bei Fachärztinnen und Fachärzten im Schnitt acht Wochen.
Durchschnittlich fünf Therapeutinnen oder Therapeuten mussten die Betroffenen nach eigener Erinnerung kontaktieren, ehe sie einen Termin bekamen. „Bei einer so leidvollen Erkrankung wie der Depression, die zudem mit hoher Suizidgefährdung einhergeht, sind so lange Wartezeiten nicht akzeptabel“, sagt Prof. Hegerl.
Psychotherapie und Medikamente werden als hilfreich angesehen
Medikamente und/oder Psychotherapie sind gemäß der Nationalen Versorgungsleitlinie die beiden wichtigsten Behandlungssäulen bei Depression. Von den Befragten, die aktuell erkrankt sind, bekommen 62 Prozent Medikamente und 48 Prozent eine Psychotherapie, 35 Prozent erhalten eine Kombination aus beidem.
Den Angaben zufolge erleben die Betroffenen beides als wirksam: Psychotherapie empfinden 85 Prozent der befragten Personen mit einer Depression als hilfreich oder eher hilfreich, bei Medikamenten sind es 80 Prozent.
Selbsthilfegruppen werden von acht Prozent der Betroffenen besucht. Digitale Gesundheitsangebote nutzen bisher lediglich sieben Prozent der an Depression erkrankten Menschen, 26 Prozent hatten dagegen noch nichts von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) gehört.
Insgesamt empfanden mehr als zwei Drittel der befragten Menschen mit einer Depression (68 Prozent) die leitlinienkonformen und vielen alternativen Behandlungsangebote als „Dschungel“, in dem es schwer sei, einen Überblick zu bekommen. Weitere Aufklärungsarbeit ist daher nötig.
Betroffenen sind wissenschaftliche Wirksamkeitsbelege wichtig
Neun Prozent nutzen alternative, nicht-evidenzbasierte Verfahren wie Homöopathie, Heilsteine oder Darmreinigung und geben dafür jährlich im Schnitt 227 Euro aus.
Als Hauptgrund wird genannt, selbst etwas zu der Behandlung beitragen zu wollen (57 Prozent), doch auch lange Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz oder Zweifel an der Schulmedizin spielen eine Rolle (je 19 Prozent).
Insgesamt ist den Befragten wichtig, dass es für den gewählten Therapieweg wissenschaftliche Wirksamkeitsbelege (Evidenz) gibt. So gaben 78 Prozent der Befragten mit Depression an, dass ihnen wissenschaftliche Wirksamkeitsbelege bei der Wahl der Behandlung wichtig seien.
„Es gibt einen großen Markt an Verfahren, die große Versprechen zur Genesung machen und viel Geld kosten. Ich kann Patienten nur empfehlen, sich in den Nationalen Versorgungsleitlinien Depression zu informieren. Dort sind alle Verfahren, die ausreichende wissenschaftliche Wirksamkeitsbelege haben, aufgeführt. Die Behandlung mit diesen Verfahren wird in den allermeisten Fällen von den Krankenkassen getragen“, so Hegerl. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Stiftung Deutsche Depressionshilfe: Studie: 20 Monate bis Menschen mit Depression sich Hilfe suchen, (Abruf: 09.11.2022), Stiftung Deutsche Depressionshilfe
- Stiftung Deutsche Depressionshilfe: Deutschland Barometer Depression, (Abruf: 09.11.2022), Stiftung Deutsche Depressionshilfe
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.