Neue Erkenntnisse zur Entstehung von Atherosklerose
Wenn sich Ablagerungen aus Fetten an den Wänden der Blutgefäße bilden und so der Blutfluss behindert wird, sprechen Medizinerinnen und Mediziner von einer Atherosklerose. Eine Arterienverkalkung ist oft Ursache für Schlaganfälle und Herzinfarkte. Ein deutsches Forschungsteam fand nun heraus, dass das Gehirn bei diesem Prozess eine größere Rolle spielt, als bislang angenommen.
Forschende der Ludwig-Maximilians-Universität München berichten über neuste Erkenntnisse zur Atherosklerose: Offenbar sind erkrankte Blutgefäße und das Gehirn direkt über Nervenbahnen miteinander verbunden. Die internationale Arbeitsgruppe sieht in dieser Verbindung den Schlüssel für eine ursächliche Behandlung. Die Studie wurde kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Nature“ publiziert und von der Deutschen Herzstiftung ausgezeichnet.
Was passiert bei Atherosklerose in den Blutgefäßen?
Wie Fachleute der Deutschen Herzstiftung erklären, kommt es im Verlauf der Atherosklerose zu Ablagerungen in den Wänden der Blutgefäße. Diese Plaques bestehen aus Blutfetten, Blutgerinnseln und Kalk. Der Körper reagiert darauf mit Entzündungsreaktionen, die die Gefäßwände zunehmend spröde und rau werden lassen, bis sie schließlich aushärten.
Auf diese Weise verringert sich der Durchmesser der Arterien und es gelangt weniger Blut und folglich auch weniger Sauerstoff zu den Organen. Wenn sich solche Ablagerungen lösen, treiben sie mit dem Blutfluss durch die Gefäße und können sie an anderen Stellen im Körper gänzlich verschließen.
Atherosklerose ist weltweit die häufigste Todesursache
Dies äußerst sich dann durch einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), also eine Durchblutungsstörung der Beine oder Arme. Nach Angaben der Deutschen Herzstiftung ist die Atherosklerose weltweit die häufigste Todesursache. Allein in Europa sterben jährlich rund vier Millionen Menschen an den Folgen.
Keine heilende Therapie verfügbar
Die chronische Gefäßentzündung kann derzeit nur symptomatisch therapiert werden. Das liegt zum Teil daran, dass bislang unbekannt war, wie genau die Entzündungsreaktionen, die mit einer Atherosklerose einhergehen, hervorgerufen werden. Dies konnte nun im Rahmen der aktuellen Studie aufgeklärt werden.
„Bahnbrechende Erkenntnisse“
„Das sind bahnbrechende Erkenntnisse, denn sie eröffnen bislang völlig neue Therapiestrategien, die Atherosklerose operativ und medikamentös ursächlich zu behandeln“, erläutert Herzchirurg Professor Dr. med. Armin Welz. Er ist der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Stiftung für Herzforschung (DSHF). Die Stiftung verlieh der Arbeitsgruppe den mit 15.000 Euro dotierten „August Wilhelm und Lieselotte Becht-Forschungspreis“.
Nerven- und Immunsystem eng miteinander verbunden
„Aus der Neuroimmunologie wussten wir bereits, dass Nerven- und Immunsystem eng miteinander verbunden sind“, erklärt der Biomediziner Dr. Sarajo Mohanta aus dem Forschungsteam. Frühere Studien hätten bereits gezeigt, dass sich nicht nur an den Plaques, sondern auch an der Außenschicht der Blutgefäße (Adventitia) weiße Blutkörperchen des Immunsystems sammeln.
Diese Immunzellen bilden dort regelrechte Aggregate, um Blutfette aufzunehmen. Aufgrund der Anwesenheit der Immunzellen fragte sich das Forschungsteam daher, ob eine atherosklerotische Arterie direkt mit dem Nervensystem kommuniziert.
Gehirn kennt atherosklerotische Stellen in den Blutgefäßen
„Diese Frage hatte sich bislang niemand gestellt, weil atherosklerotische Plaques nicht mit Nerven verbunden sind“, erklärt Dr. Mohanta. Doch die Forschenden haben erstmals Rezeptoren entdeckt, die erkennen, wo sich die Plaques und Entzündungen befinden. Diese Informationen werden mittels elektrischer Signale über die Nervenbahnen sowie über das Rückenmark direkt an das Gehirn gemeldet.
Stressreaktion befeuert die Entzündungen
Nach Angaben der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verarbeitet das Gehirn diese Signale und sendet eine Antwort an die erkrankten Blutgefäße zurück, wodurch eine Stressreaktion über das vegetative Nervensystem erzeugt wird. Als Folge wandern vermehrt Immunzellen in die Adventitia ein und die Entzündung verschlimmert sich.
„Ein weiteres Indiz dafür, dass zwischen den erkrankten Arterien und dem Gehirn intensiv über Nervenbahnen kommuniziert wird, ist die Tatsache, dass wir in der Außenwand erkrankter Blutgefäße sowohl im Tiermodell als auch bei Patienten zehnmal so viele Nervenzellen gefunden haben wie in gesunden Arterien“, betont Dr. Mohanta.
Eine „immense Bedeutung“ für die Atherosklerose-Behandlung
Dieser Kommunikations-Kreislauf zwischen den Arterien und dem Gehirn war laut der Arbeitsgruppe bislang völlig unbekannt. Für die Behandlung von Atherosklerose habe der entdeckte Mechanismus eine „immense Bedeutung“.
Bei Mäusen haben die Forschenden bereits versucht, die Kommunikation zwischen Gehirn und atherosklerotischen Blutgefäßen zu unterbrechen, woraufhin die Plaques in den erkrankten Blutgefäßen tatsächlich abnahmen.
„Daraus können sich zahllose Behandlungsstrategien ergeben, die die Atherosklerose an der Ursache bekämpfen“, resümiert Dr. Mohanta. Bis solche Therapien jedoch bei Menschen eingesetzt werden können, dauert es noch eine ganze Weile, unterstreicht der Biomediziner. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Mohanta S.K. et al.: Neuroimmune cardiovascular interfaces control atherosclerosis; in: Nature (2022). https://doi.org/10.1038/s41586-022-04673-6, nature.com
- Deutsche Herzstiftung: Forscher entdeckt, wie kranke Blutgefäße und Gehirn kommunizieren (veröffentlicht: 14.11.2022), herzstiftung.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.