Warum Atemwegsinfektionen vor allem bei kaltem Wetter auftreten
Herbst und Winter sind Hochsaison für Infektionen der oberen Atemwege. Ein Forschungsteam entdeckte nun eine bislang unbekannte Immunreaktion in der Nase, die eine biologische Erklärung dafür bietet, warum Atemwegsinfektionen überwiegend bei kälteren Temperaturen auftreten.
Forschende der Massachusetts Eye and Ear Infirmary, einem Spezialkrankenhaus in Boston, Massachusetts (USA), das auf die Heilkunde von Augen, Hals, Nase und Ohren spezialisiert ist, haben eine neue Immunreaktion in der Nase entdeckt, die erklärt, warum kalte Temperaturen den Körper anfälliger für Atemwegsinfektionen machen. Die Studienergebnisse wurden in dem „Journal of Allergy and Clinical Immunology“ präsentiert.
Zusammenhang zwischen Kälte und Infektionen
Erkältungen, Grippe und COVID-19 sind einige Beispiele für weit verbreitete Atemwegserkrankungen, die überwiegend bei kaltem Wetter auftreten. Eine gängige Erklärung für den Zusammenhang war bislang, dass die Nasenschleimhaut durch Kälte und trockene Heizungsluft ausgetrocknet und daher anfälliger für Viren ist.
Ein weiterer Erklärungsansatz ist, dass im Winter das Immunsystem geschwächt ist, weil beispielsweise aufgrund der mangelnden Lichtverhältnisse weniger Vitamin D im Körper produziert wird.
„Konventionell wurde auch angenommen, dass die Erkältungs- und Grippesaison in den kühleren Monaten stattfindet, weil die Menschen dann mehr in den Häusern sitzen, wo sich die Viren leichter verbreiten können“, ergänzt Studienhauptautor Dr. Benjamin S. Bleier.
Bislang unbekannte Immunreaktion in der Nase entdeckt
Die Arbeitsgruppe des amerikanischen Spezialkrankenhauses zeigt nun einen bislang unbekannten Mechanismus für die Verbindung zwischen Kälte und erhöhter Infektanfälligkeit auf. Eine temperaturabhängige Immunreaktion in der Nase soll demnach das erhöhte Infektionsrisiko bei geringen Temperaturen erklären.
„Unsere Studie deutet auf eine biologische Ursache für die saisonalen Schwankungen bei Virusinfektionen der oberen Atemwege hin, die wir jedes Jahr erleben und die sich zuletzt während der COVID-19-Pandemie besonders deutlich gezeigt haben“, so Bleier.
Nase erste Verteidigungslinie gegen Erreger
Die Nase ist der größte Austauschort zwischen der Außenwelt und dem Körperinneren. Ebenso ist die Nase der wahrscheinlichste Eintrittspunkt für Krankheitserreger wie Viren und Bakterien. Von dort gelangen die Keime in die oberen Atemwege, wo sie Zellen infizieren, was schließlich die Atemwegserkrankung auslöst.
Mit welchen Methoden sich die Atemwege vor solchen Krankheitserregern schützen, war lange Zeit kaum bekannt. In einer Studie aus dem Jahr 2018, an der Dr. Bleier ebenfalls beteiligt war, wurde erstmals eine angeborene Immunreaktion entdeckt, die ausgelöst wird, wenn Bakterien durch die Nase eingeatmet werden.
Erreger lösen Schwarmreaktion in der Nase aus
Dabei erkennen spezielle Zellen im vorderen Teil der Nase eingeatmete Krankheitserreger und setzten daraufhin Millionen winziger, mit Flüssigkeit gefüllter Bläschen frei, die als extrazelluläre Vesikel (EV) bezeichnet werden. Diese Bläschen umgeben die Erreger und greifen sie an. Die Forschenden vergleichen den Effekt mit einem Tritt in ein Wespennest.
Die Vesikel haben noch eine weitere Aufgabe: Sie transportieren antimikrobielle Proteine durch den Nasenschleim von der Nasenöffnung bis tief in die Nase hinein, um Erreger auf dem Weg in die Atemwege abzufangen, bevor sie zu weit ins Innere des Körpers gelangen.
Immunreaktion findet auch bei Corona- und Rhinoviren statt
Im Rahmen der aktuellen Studie untersuchte das Team diese entdeckte Immunreaktion der Nase nun genauer anhand von Nasengewebeproben. Dabei zeigte sich, dass die Reaktion auch bei drei weit verbreiteten Erkältungsviren stattfindet, wie beispielsweise bei Coronaviren und Rhinoviren.
Jedes der untersuchten Erkältungsviren verursachte die EV-Schwarmreaktion in den Nasenzellen. Zudem entdeckten die Forschenden, dass die EV über Rezeptoren verfügen, an denen sich die Viren binden und sie so abfangen.
Bei Kälte werden deutlich weniger Vesikel freigesetzt
In einem weiteren Versuch testete die Arbeitsgruppe, wie die Temperatur der eingeatmeten Luft diesen Prozess beeinflusst. Hierzu hielten sich Probandinnen und Probanden für 15 Minuten in einer Außentemperatur von 4,4 Grad Celsius auf. Die Innentemperatur der Nase sank in diesem Zeitraum um rund fünf Grad Celsius.
Bei der Auswertung von Proben vor und nach dem Temperatursturz zeigte sich, dass durch die Kälte das Freisetzen der EV um 42 Prozent abnahm. Auch der Transport der antiviralen Proteine in der Nase wurde durch die Kälte beeinträchtigt.
„Zusammengenommen liefern diese Ergebnisse eine mechanistische Erklärung für die saisonalen Schwankungen bei Infektionen der oberen Atemwege“, resümiert Studienerstautor Dr. Di Huang.
Ansatz für neue Therapien
Auf der Grundlage der neuen Erkenntnisse können sich die Forschenden vorstellen, dass es möglich ist, Therapeutika wie beispielsweise Nasensprays zu entwickeln, die darauf abzielen, die Bildung von Vesikeln zu erhöhen und so die Abwehrkraft der Nase zu stärken. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Angela L. Nocera, Sarina K. Mueller, Jules R. Stephan, et al.: Exosome swarms eliminate airway pathogens and provide passive epithelial immunoprotection through nitric oxide; in: Journal of Allergy and Clinical Immunology (2018), jacionline.org
- Di Huang, Maie S. Taha, Angela L. Nocera, et al.: Cold exposure impairs extracellular vesicle swarm–mediated nasal antiviral immunity; in: Journal of Allergy and Clinical Immunology (2022), jacionline.org
- Massachusetts Eye and Ear Infirmary: Scientists uncover biological explanation behind why upper respiratory infections are more common in colder temperatures (veröffentlicht: 06.12.2022), eurekalert.org
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.