Wie kann Cannabis-Missbrauch diagnostiziert werden?
Im Zuge der fortschreitenden Legalisierung von Cannabis wird die Identifizierung von Suchtverhalten und Missbrauch deutlich schwieriger. Die dafür vorgesehenen Modelle stammen aus Zeiten, wo Cannabis als illegale Droge galt. Laut Fachleuten sind diese Modelle aus heutiger Perspektive für die Diagnose einer Cannabis-Sucht ungeeignet.
Forschende der Rutgers University in New Jersey (USA) schlagen eine neue Methode zur Bewertung von Cannabis-Konsum vor, insbesondere, wenn dieser in einem medizinischen Kontext stattfindet. Der Fachartikel wurde kürzlich in dem renommierten Fachmagazin „JAMA Psychiatry“ veröffentlicht.
Veraltete Diagnose-Modelle für Cannabis-Missbrauch
Nach den derzeit verwendeten Diagnose-Modellen würden ein Großteil der Patientinnen und Patienten, die medizinisches Cannabis verschrieben bekommen, sowie viele Freizeit-Konsumentinnen und Konsumenten als Cannabis-süchtig gelten.
Ein problematisches Konsumverhalten bei Cannabis wird in der diagnostischen Fachliteratur als ein Muster definiert, das zu einer klinisch bedeutsamen Beeinträchtigung oder Belastung führt und Symptome wie erhöhte Toleranz, Entzugserscheinungen, ein starkes Verlangen nach Cannabis und einen hohen Zeitaufwand für den Konsum aufweisen kann.
Neue Methode zur Diagnose von Cannabis-Sucht gefordert
Das Team um Tammy Chung und Marc Steinberg von der Rutgers University fordert nun eine wichtige Klärung der Art und Weise, wie eine Cannabiskonsumstörung diagnostiziert werden soll, insbesondere, wenn Menschen Cannabis zu therapeutischen Zwecken verwenden.
Durch den zunehmenden Gebrauch von Cannabis zu medizinischen Zwecken sowie durch die fortschreitende Legalisierung im privaten Bereich wird Cannabis legal einer viel größeren Gruppe von Verbraucherinnen und Verbrauchern zur Verfügung stehen. In den Diagnosemodellen für Suchtverhalten wird Cannabis jedoch als illegale Substanz betrachtet.
Wie wird Cannabis-Sucht nach ICD-10 diagnostiziert?
Nach der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) müssen drei oder mehr der folgenden Kriterien über mindestens einen Monat hinweg auftreten, damit ein problematischer Konsum vorliegt:
- Ein starkes Verlangen oder eine Art Zwang, die Substanz zu konsumieren.
- Verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch.
- Ein körperliches Entzugssyndrom, wenn die Substanz reduziert oder abgesetzt wird.
- Toleranzentwicklung gegenüber den Substanzeffekten.
- Vernachlässigung anderer wichtiger Vergnügen oder Interessenbereiche wegen des Substanzgebrauchs.
- Anhaltender Substanzgebrauch trotz eindeutig schädlicher Folgen.
Ab wann wird Cannabis-Konsum problematisch?
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Rutgers University kritisieren an dem Modell, dass nahezu alle Patienten und Patientinnen, die medizinisches Cannabis konsumieren, mindestens zwei dieser Kriterien erfüllen werden – denn eine erhöhte Toleranz und Entzugssymptome werden als häufige Nebenwirkung von medizinischem Cannabis genannt. Bei beiden Symptomen müsse jedoch kein problematischer Konsum vorliegen.
Die Forschenden schlagen daher vor, dass zusätzlich zu der Toleranzentwicklung und den Entzugssymptomen mindestens zwei weitere Kriterien vorliegen müssen, die im psychiatrischen Klassifikationssystem in den USA (DSM-5) beschrieben werden:
- Substanz wird häufig in größeren Mengen oder länger als geplant konsumiert (Kontrollverlust).
- Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzgebrauch zu verringern oder zu kontrollieren.
- Hoher Zeitaufwand für Beschaffung und Konsum oder um sich von den Wirkungen des Konsums zu erholen.
- Craving oder starkes Verlangen nach der Substanz.
- Wiederholter Konsum, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen in der Schule, bei der Arbeit oder zu Hause führt.
- Fortgesetzter Substanzgebrauch trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme.
- Aufgabe oder Einschränkung wichtiger sozialer, beruflicher oder Freizeitaktivitäten aufgrund des Substanzkonsums.
- Wiederholter Konsum in Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann.
- Fortgesetzter Konsum trotz der Kenntnis von körperlichen oder psychischen Problemen, die durch den Substanzkonsum entstanden sind oder sich dadurch verschlechtert haben.
- Toleranzentwicklung gekennzeichnet durch Dosissteigerung oder verminderte Wirkung unter derselben Dosis.
- Entzugssymptome.
Fehl- und Überdiagnosen durch derzeitige Modelle?
Nach Angaben der Fachleute muss die Diagnose der Cannabiskonsumstörung dringend verbessert werden, vor allem für Personen, die aus therapeutischen Zwecken Cannabis konsumieren. Das derzeit verwendete Modell würde zwangsläufig zu Fehl- und Überdiagnosen führen. Hieraus könnten beispielsweise unnötige Behandlungen oder Stigmatisierungen der Betroffenen resultieren. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Eva Hoch, Ulrich W. Preuss: Cannabis, Cannabinoide und Cannabiskonsumstörungen; Georg Thieme Verlag KG (PDF, 2019), thieme-connect.com
- Rutgers University: Can Cannabis Use Disorder Be Accurately Diagnosed? (veröffentlicht: 27.03.2023), rutgers.edu
- Tammy Chung, Marc L. Steinberg, Mary Barna Bridgeman: Recommendation for Cannabis Use Disorder Diagnosis in a Context of Cannabis for Therapeutic Purposes; in: JAMA Psychiatry (2023), jamanetwork.com
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.